Muster für morgen. Frank Westermann
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Название: Muster für morgen

Автор: Frank Westermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Andere Welten

isbn: 9783862871834

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СКАЧАТЬ und ohne Sinn für ihr weiteres Leben zurückgelassen. Viele von ihnen ließen sich freiwillig einschläfern, weil sie der Überzeugung waren, weder sich noch der Gesellschaft zu nutzen.

      Fußgänger waren tagsüber sowieso selten unterwegs. Die Freizeit- und Konsumindustrie stellte alles für den Hausgebrauch zur Verfügung, so dass niemand gezwungen war, einen Fuß auf die Straße zu setzen. Jedenfalls nicht in diesem Teil von Neu-Ing.

      Das Mädchen schüttelte ärgerlich den Kopf. Sie sollte sich von solchen Gedanken nicht ablenken lassen. Denn sie musste sich trotzdem vorsehen. Der Kern von Neu-Ing war für Bettler, Säufer, Drop-Outs, fliegende Händler und anderes Gesindel absolut gesperrt. Zwar gehörte sie nicht unbedingt in eine dieser Kategorien, aber sie hatte keine Lust, sich von einem Cop ausfragen zu lassen, warum sie nicht in der Schule war.

      Sie vermied also so gut es ging die Mini-Spionkameras und andere Suchgeräte und drang auch nicht direkt ins Zentrum ein.

      Auf der anderen Seite freute sie sich, dass ihr Instinkt sie hierher geführt hatte. Die Luft war hier, fernab von den Industriezentren, einigermaßen gut zu atmen und es gab hier einige alte Bauwerke aus der Zeit vor dem großen Krieg, die sie immer wieder gern betrachtete. Auch der Reinigungsdienst funktionierte hier noch, so dass sie nicht dauernd durch knöcheltiefen Abfall waten musste.

      So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihre Gedanken heute einfach nicht zusammenhalten. Schulen erinnerten sie daran, dass sie noch vor knapp zwei Jahren in einem dieser bunt bemalten, aber nichtsdestotrotz sterilen Jahrgangszimmer gesessen hatte zusammen mit ungefähr 70 anderen Jungen und Mädchen. Halb umschlossen von einer durchsichtigen Plastiktrennwand hatte sie wie alle unter ihrem Kopfhörer vor dem Demopult gehockt und auf die seelenlose Stimme des Lehrcomputers gelauscht. Zum Glück hatte sie ziemlich weit hinten gesessen, und wenn sie genug hatte von dem sinnlosen Geplärre, hatte sie die Kopfhörer einfach ein Stück verschoben und mit anderen, die ähnlich verfuhren, heimlich Zettel ausgetauscht. Das war ihre einzige direkte Kommunikationsmöglichkeit untereinander. Andere Kommunikationsmittel waren hier nicht erlaubt. Mit halbem Ohr hörte sie dann noch, wenn eine Frage an sie gerichtet wurde und antwortete jedes Mal mit dem stereotypen: »Weiß ich nicht.« Natürlich waren sie und einige andere dadurch immer weiter heruntergestuft worden, aber der Idioten-Computer hatte nie gemerkt, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging.

      Schließlich wollte man sie zu einer Psychologin schicken, einem Menschen diesmal. Sie hatte sich mit Händen und Füßen gesträubt, und da ihren Eltern sowieso alles egal war, konnte sie sich damit auch so lange durchsetzen, bis zum wiederholten Mal die seltsamen Phänomene auftauchten: sie hörte ab und zu Stimmen oder sah Bilder oder Szenenabläufe unbekannter Ereignisse. Manchmal waren es auch nur plötzliche Eindrücke oder Ideen, die sie überfielen. Soweit sie es beurteilen konnte, steckte kein Schema oder Muster dahinter. Manchmal passierte wochenlang nichts und dann hatte sie diese Visionen tagelang hintereinander. Zuerst hatte sie sich davor gefürchtet, bis sie einige Male Zusammenhänge zu ihrem Leben herstellen konnte, die ihr weiterhalfen.

      Als sie dummerweise dem Schuldirektor bei einer Unterredung wegen ihrer schlechten Noten davon erzählte, wollte dieser sie aufgeregt gleich zu einem Spezialisten schicken. Sie hatte nicht angenommen, dass man ihr glaubte, und hatte die Sache nur als Ausrede benutzen wollen, aber jetzt bekam sie wirklich Angst, denn in einer der Visionen hatte sie sich selbst in einer Art riesigen Operationssaal gesehen mit maskierten Ärzten um sie herum.

      Daraufhin lief sie einfach davon. Sie nahm an, dass man sie schnell aufgespürt hätte, als sie so hilflos und verängstigt durch die Außenbezirke wanderte. Aber wahrscheinlich hatten ihre Eltern die Suche nach ihr nicht sehr konsequent vorangetrieben, Hauptsache sie konnten sich ihr Gehirn zukleistern. Und auch der Direktor hatte wohl keine Meldung gemacht und sie schnell wieder vergessen.

      Wie sie dann zu den Sensos gekommen war, war eine andere Geschichte, aber dieser Gedanke führte sie wieder in die Gegenwart und zu ihrem Versuchsspaziergang hier.

      Sie und einige andere hatten nämlich den Verdacht, dass die Regs irgendeine große Schweinerei vorhatten. Und die vagen Spuren, die sie mühsam gesammelt hatten, führten irgendwo in diese Gegend. Sie war zwar erst neun Jahre alt, aber für sie und die anderen Sensos galten andere Maßstäbe und sie wusste genau, worauf es ankam. Die Erwachsenen machten es ihr ja auch immer wieder überdeutlich klar. Das ging ihr auch ziemlich auf den Geist, denn sie wusste, dass dahinter nur die Unsicherheit der Erwachsenen steckte, dass sie Kinder mit in ihre Sache hineinzogen. Dabei ging es sie alle an.

      Ab und zu kroch jetzt ein Gefühl von intensiver Spannung in ihr hoch, aber es verschwand jedes Mal so schnell, wie es gekommen war. Das Shining, wie sie es genannt hatten, ließ sich nicht kontrollieren – jedenfalls nur in Ausnahmefällen.

      Sie sah sich genauer um, um festzustellen, wo sie sich genau befand. Der Straßenname Park Avenue sagte ihr nichts, sie wusste nicht mal, was ein Park war. Auf beiden Seiten der Straße erstreckten sich riesige Wolkenkratzer aus glasfiberartigem Material. Die meisten von ihnen waren in sich abgeschlossene Wohn- und Lebenseinheiten mit angeschlossenen Freizeiteinrichtungen, Warenlagern, Tri-Di-Kinos, Kneipen, Discos, Schwimmbädern und Versorgungspools. Ihre Bewohner arbeiteten meist dort auch in irgendwelchen Verwaltungsbüros oder der Computerüberwachung. Es ging das Gerücht um, dass einige dieser Leute ihre Wohneinheit noch nie verlassen hatten – und auch noch stolz darauf waren.

      Weiterhin gab es hier am Ende der Straße einige Forschungsinstitute der Universität und die alte Bibliothek. Diese hätte sie noch gern aufgesucht, aber ihr wurde plötzlich doch übel in dieser protzigen Gegend, die nicht für sie bestimmt war und in der sie sich nicht auskannte.

      Sie wartete noch einige Minuten, ob sich die Spannung wieder aufbauen würde, und als das nicht der Fall war, machte sie sich auf den Rückweg. Die Bibliothek hatte ihr den Weg gewiesen.

      Neben ihr schwirrten einige Gleiter und Schwebewagen vorbei. Die ersten Menschen, die am wenigsten arbeiten mussten, waren schon auf dem Heimweg. Später würde es selbst hier zu einem Verkehrschaos kommen. Dort, wo sie wohnte, gab es das praktisch dauernd, ob es sich um die stinkende immer gerammelt volle U-Bahn oder die anderen öffentlichen Verkehrsmittel handelte, welche die Menschen in die unterirdischen Fabriken und von dort wieder nach Hause brachte. Der Lärm war den ganzen Tag unerträglich.

      Eine Stunde Fußweg hatte sie noch vor sich, doch sie war nichts anderes gewohnt. Sie steckte die Hände in die Taschen ihrer verschlissenen Jacke und ein kleines Lächeln umspielte ihr schmutziges Gesicht, als sie daran dachte, dass sie nun doch nicht um das tägliche Training mit ihren Freundinnen und Freunden herumkommen würde.

       Dope me up on women and credit cards

       Promise x-ray vision and fancy cars

       The table’s set for the bourgeoisie

       Better get in line with your dinner tray

       ‘cause when it’s all ran out and it’s just you left

       With the nut job swigging his crystal meth

       And there’s a constant ring of machinery

       Is there a place for me in history?

      Kasabian - »Shelter from the Storm«

       5.

       NEU-ING

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