Muster für morgen. Frank Westermann
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Название: Muster für morgen

Автор: Frank Westermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Andere Welten

isbn: 9783862871834

isbn:

СКАЧАТЬ brisant zu sein, weil das Kapital die Krise brutal gegen die Bevölkerung einsetzte, und es war häufig von Straßenschlachten und Demonstrationen die Rede. Natürlich sendeten sie zum Schluss eine Portion Optimismus, um wenigstens einige Leute bei der Stange zu halten. Die Privilegierten wurden zur Ruhe und Wachsamkeit gegenüber den inneren Feinden aufgerufen und eine große wirtschaftliche Wende für das nächste Jahr wurde prognostiziert. Da wurde gelabert über Raumflüge außerhalb des Sonnensystems und der Urbarmachung von Gebieten, die wegen der radioaktiven Verseuchung jetzt noch unzugänglich waren. Das waren natürlich alles nur schöne Worte. So wie ich die Lage mit meinen zugegeben wenigen Informationen einschätzte, würde es eher noch schlimmer werden. Auf jeden Fall für diejenigen, die für die kleine Oberschicht die Arbeit machen mussten, für die, die von der Hand in den Mund lebten, und für die, die Tag für Tag auf der Straße verhungerten.

      Denn das war das eigentlich neue: Elendsviertel und Armut in diesem Ausmaß hatte es in Neu-Ing früher nicht gegeben. Neu-Ing hatte immer das Ansehen eines Wohlfahrtstaates gehabt, wo niemand Not zu leiden brauchte. Natürlich war das schon immer Augenwischerei gewesen, aber der neue Aufschwung und die Krise hatten hier hauptsächlich Verelendung gebracht. Diesen Leuten nützten die Raumfahrt und andere spektakuläre technische Neuerungen nichts. Das waren Spielereien für die Reichen, die Bürokraten und Knopfdruckspezialisten, die Überwachungs- und Computertechniker.

      Aber ich konnte eben auch raushören, dass sich Widerstand regte, dass diesmal nicht Apathie und Resignation Einzug hielten. Und auch der Ruf nach einem starken Mann oder dem Militär, also ein Rechtsruck, schien nicht auf der Tagesordnung zu stehen.

      Ob die Leute wirklich begriffen hatten, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen mussten und das nur ging über den Sturz jeglichen Herrschaftssystems?

      Hier stoppten meine Gedanken, da ich mich einfach nicht länger konzentrieren konnte. Ich war in ein Geschäftsviertel vorgedrungen und dauernd dröhnten Werbespots auf mich ein und die Leuchtreklame flirrte schon am Tag über den Straßen. Ich hatte den Eindruck, es wurden selbst irgendwelche chemischen Anregungsmittel versprüht. Es stank jedenfalls überall penetrant und ich musste mich anstrengen, nicht in einer Art Trance weiterzugehen.

      Schließlich stand ich vor dem gewaltigen Betonklotz der Handelsfirma, für die Flie tätig gewesen war. Nun meldete sich aber doch wieder meine Vorsicht und ich wollte erst mal anrufen, bevor ich mich persönlich dort sehen ließ. Zum Glück passten auch fürs Visifon alte Münzen und ich ließ mich mit der Firma verbinden.

      Auf dem kleinen Bildschirm vor mir erschien das puppenhafte Gesicht einer Repräsentierfrau – oder vielleicht war es auch ein Robot – und sie fragte nach meinen Wünschen. Ich erkundigte mich nach Flie und erfuhr, dass unter ihrem Namen dort niemand arbeitete.

      Resigniert schaltete ich aus und trat wieder auf die Straße.

      Wie hatte ich auch annehmen können, dass jemand wie Flie so einen Job über Jahre ausübte? Sie hatte mir doch schon damals auf den Inseln erzählt, wie beschissen sie diese Rolle fand. Sie hatte sie ja auch nur angenommen, um als Spionin arbeiten zu können und außerdem eine Menge rumzukommen, wobei sie Kontakt zu einzelnen Widerstandsgruppen halten konnte.

      Jetzt konnte ich natürlich von einer Adresse zur nächsten flitzen, aber das erschien mir ebenso hoffnungslos, denn ich hatte kaum Leute gekannt, die länger als ein paar Jahre am gleichen Ort wohnten. Da war es wohl doch besser, bis zum Abend zu warten und dann die einschlägigen Kneipen abzuklappern. Das versprach wesentlich mehr Aussicht auf Erfolg,

      Außerdem durfte ich nicht zu lange wegbleiben, sonst befürchtete Sucherin bestimmt, dass mir etwas zugestoßen war. Langsam misstraute ich auch meinem Glück, noch keiner Cop-Kontrolle über den Weg gelaufen zu sein. Eine Ausweisüberprüfung würde mir gar nicht gut bekommen.

      Ich suchte also den nächsten Alles-Kauf auf und besorgte die Teile, die auf meiner Liste standen. Ich bekam zwar alles anstandslos – Verkaufsautomaten stellen keine Fragen – aber manches klang so merkwürdig, dass ich mich fragte, ob solche außergewöhnlichen Wünsche nicht irgendwo registriert wurden.

      Hastig klaubte ich noch einige Lebensmittel zusammen, die zwar auch nicht natürlich waren, aber immerhin besser als die eklige Konzentratnahrung. Damit war mein Vorrat an Geld, das noch was wert war, auch erschöpft.

      Hier im Supermarkt wurde ich auch endlich von meinen letzten Zweifeln erlöst, dass vielleicht doch so etwas wie ein Markensystem à la Südliche Inseln eingerichtet worden war: die Kreditkarten, mit denen die Leute hier bezahlten, hatten keinerlei Ähnlichkeit mit den Marken, wie ich sie von den Inseln kannte.

      Verkäufer/innen oder Kassierer/innen gab es natürlich nicht, nur ein paar Auffüllroboter schwirrten herum. Wenn man etwas nicht gleich fand, konnte man sich an eine der Auskunftssäulen wenden, die überall aufgebaut waren.

      Ich machte mich so schnell es ging auf den Rückweg mit dem festen Vorsatz, heute Abend einen Kneipenbummel zu unternehmen. Ich fühlte mich jetzt viel sicherer und traute mir zu, Gefahren erkennen und aus dem Weg gehen zu können.

      Schließlich hatten wir auch keine Wahl. Wenn wir uns freier bewegen wollten, mussten wir Antworten auf eine Menge Fragen bekommen und Leute finden, die uns weiterhalfen.

       I was there when they landed on the moon

       In a studio in Kentucky in June

       I’ve got Kennedy’s brain in a jar

       If you knew what I knew

       You wouldn’t laugh so hard.

       Everything you know is wrong

      Chumbawamba - »Everything You Know is Wrong«

       6.

       DIE UNHEIMLICHE GEFAHR

      Die schnell zusammengezimmerten Baracken aus Plastik-Fertigteilen lagen jetzt im prallen Sonnenschein. Die paar Palmen am Strand gaben keinen Schatten mehr. Es schien so, als wäre selbst das Meeresrauschen leiser geworden und die Vögel hätten aufgehört zu krächzen.

      Siesta, dachte Major Thosenikos und döste weiter vor sich hin. Was sollte er auch anderes tun? Die Arbeit machte weniger Fortschritte denn je und es brachte ihm auch keine Befriedigung mehr, seine Soldaten in Alarmübungen zum Schwitzen zu bringen.

      Heute Morgen war die Patrouille zurückgekehrt – oder besser das, was von ihr übrig geblieben war – die er vor drei Tagen ausgeschickt hatte. Sieben Männer hatten sich in einem Jeep gequetscht und sahen aus, als wären sie vom Teufel gejagt worden. Ihre schwarze Haut hatte eine graue Färbung angenommen. Von dem Stolz auf seine Eliteeinheit der Armee der Südlichen Inseln war nicht viel geblieben.

      Den Berichten der Überlebenden war nicht viel zu entnehmen.

      Von Überfällen war die Rede, von monströsen Wesen und einer wild gewordenen Natur. Der Rest war unverständliches Gestammel, die Leute waren psychisch aus dem Gleichgewicht gebracht, etwas, das der Major bei diesen Männern nie für möglich gehalten hätte. Er musste sie mit dem nächsten Schiff nach Hause schicken.

      Die Lichtung, auf der das Lager errichtet war, hatte sich in letzter Zeit eher verkleinert als vergrößert.

      Trotz СКАЧАТЬ