Название: Menschen im Krieg – Gone to Soldiers
Автор: Marge Piercy
Издательство: Автор
Жанр: Книги о войне
isbn: 9783867548724
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Henri wird heute mit seinem Vater reden. In diesem Moment ist es mir gleichgültig, ob ich lebe oder sterbe. Hätte ich doch nur nicht Henri nachgegeben, hätte ich mich doch nur nicht mit Maman gestritten und wäre jetzt bei ihr! Ich fühle mich so schuldig wie die Nazis, ich fühle mich, als hätte irgendwie ich Maman das angetan. Ich habe nur noch den Wunsch, ein großer Lastwagen würde mich auf der Straße überfahren.
Maman hat recht. Ich bin nichts als eine Hure, die für ein paar Kartoffeln und Eier fickt, und für ein paar freundliche Worte inmitten einer Stadt, die vor Hass überkocht. Von all den Menschen, die auf den Straßen waren und sahen, wie ganze Familien von der Polizei weggeschleppt wurden, versuchte niemand zu helfen, versuchte niemand, die Polizei aufzuhalten. Ich habe gehört, dass einige Nachbarn die Polizisten angefeuert haben, darunter auch die Laroques, deren Hund wir immer gefüttert haben, wenn sie verreist waren.
Sechs Tage ohne Wasser und ohne einen Bissen zu essen, wie können sie das überleben? Maman ist stark, aber sie ist neununddreißig und auch nur aus Fleisch und Blut. Rivka ist zäh, aber noch ein Kind und jetzt schon unterernährt.
Wenn ich ihnen mein Blut zu trinken geben könnte, ich würde es ohne ein Wort tun.
Abra 3
Welch geräumige Kammer
Wollen wir einen Spaziergang machen?«, sagte Oscar Kahan, als wäre das ein ganz normaler Vorschlag. »Es ist so ein schöner Tag. Sozusagen«, setzte er lächelnd hinzu, denn es war heiß und feucht, die Sorte Tag, die Abra voll Heimweh an die Sommer in Maine denken ließ. In der Hitze von New York zu bleiben mutete manchmal wie Masochismus an.
Sie folgte ihm und sah sich selbst als Figur in einem Comicstrip, eine Daisy Mae mit einem riesigen Fragezeichen, das in einer Blase über ihrem Kopf schwebte. Noch nie hatte Oscar Kahan sie zu einem Spaziergang aufgefordert. Sie hatte sich in letzter Zeit bei erotischen Träumereien über ihn ertappt und mit dem Gedanken gespielt, von ihrem Grundsatz abzugehen, sich niemals mit jemandem von der Arbeit sexuell einzulassen. Schließlich beruhte dieser Grundsatz nur auf Vorsicht und nicht auf Moral. Aber was hatte es für einen Sinn, ihren eigenen Kodex umzuwerfen, wenn Oscar Kahan sie lediglich mit der gleichen unerschöpflichen, ja nahezu allumfassenden Wärme behandelte, mit der er alle seine Studenten bedachte? Sie merkte, dass sie sich neuerdings angewöhnt hatte, Posen einzunehmen, die die Rundung ihrer Waden betonen sollten, ihr Profil, ihren Busen, aber wenn Oscar Kahan es wahrnahm, so ließ er seinen Beobachtungen keine Taten folgen. Bis jetzt.
Sie verließen sein Büro und wandten sich nach Westen, zum Fluss. Während sie dahinschlenderten, erkundigte er sich nach den letzten Befragungen und gab Kommentare zu anderen ab. Wieder einmal beeindruckte sie, wie er beides erfasste, die großen Muster und die kleinen Einzelheiten. Vielleicht wollte er einfach an die frische Luft, obwohl sie bezweifelte, dass näher als Connecticut welche zu haben war. Vielleicht machte ihn das warme Wetter ruhelos. Vielleicht hatte seine Kindheit in Pittsburgh ihn an den Smog gewöhnt, und er fand die stinkende Luft von Manhattan im Sommer tatsächlich erfrischend.
Im Riverside Park nahm er eine Bank, die etwas abseits stand, mit Blick auf den Fluss und ein Paar, das sich im Gras umarmte. Er schaute sich um und nahm die Szenerie in sich auf, dann musterte er sie mit durchdringendem, prüfendem Blick. »Ich werde im Herbst nicht unterrichten.«
Und meine Stelle ist futsch, dachte sie. »Wo gehen Sie hin, wenn ich fragen darf?«
»Haben Sie je in Betracht gezogen, sich stärker an den Kriegsanstrengungen zu beteiligen?«
Ich wette, er hat es geschafft, einberufen zu werden. »Ich dachte an die WAVES, an die Reservemarinehelferinnen – die Marine ist die Militärgattung meiner Familie –, aber ich sehe mich nicht salutierend herummarschieren. Ich bin zu verwöhnt für militärische Disziplin.«
»Dennoch führen Sie Befehle aus.«
»Das ist nicht das Gleiche, das wissen Sie.«
Er starrte gebannt auf einen Schlepper, der ein ungefüges graues Frachtschiff flussaufwärts bugsierte. »Ich habe vor, Sie anzuwerben. Aber nicht für die WAVES.«
Sie sah ihn scharf an. Er lächelte. »Sehen Sie nicht so schockiert drein. Das steht Ihnen nicht. Sie wissen sehr gut, dass Sie mit Geheimdienstarbeit befasst sind. Das haben Sie sich längst zusammengereimt. Jetzt trete ich offiziell OSS bei – dem Amt für Strategische Dienste. Und ich würde Sie gern mitnehmen.«
Endlich war es auf dem Tisch. »Was ist OSS?«
»Ein bisschen von allem. Propaganda, Geheimdienst, Spionage. Ich kenne hauptsächlich Leute von der Abteilung Recherche & Analyse.«
»Wo würden wir hingehen?«
»Für den Augenblick nirgendwohin außer in ein anderes Büro. Später, wer weiß? Ich möchte nicht über Einzelheiten sprechen, bevor Sie sich nicht entschieden haben. Ich werde ein kleines Projekt leiten, und ich habe carte blanche, so viele von meinen Mitarbeitern mitzubringen, wie ich will.«
»Aber klar!«, sagte Abra. »Klar mache ich es.«
»Sie wissen doch gar nicht, worauf Sie sich einlassen.«
»Ach, es wird sicher interessant. Ich habe Vertrauen zu Ihnen.«
»Sind Sie nun eigentlich mit Ihrer Doktorprüfung fertig?«
»Nicht ganz. Ich habe alle Seminare abgeschlossen und meine mündliche Prüfung bestanden, aber meine Dissertation schreibe ich immer noch gemäß Professor Blumenthals kritischen Einwänden um.«
»Sie werden das auf Kriegsdauer zurückstellen müssen.«
»Ich bin sowieso nicht begeistert, sie zum vierten Mal umzuschreiben. Spielt es eine Rolle, dass ich meinen Doktortitel nicht habe?«
»Das bezweifle ich.« Er stand auf. »Das Missliche ist, dass ich Ihnen so wenig sagen kann, bevor ich Sie dort vorstelle, und doch müssen Sie sich zuvor entscheiden. Ich hoffe, Sie machen sich keine romantischen Vorstellungen.«
Hatte er sie im Verdacht, für ihn zu schwärmen? Vielleicht war ihre Beinschau doch ein wenig zu durchsichtig gewesen. »In welcher Hinsicht?«
»Das ist keine Angelegenheit von Mantel-und-Degen-Intrigen, feschen Spionen und schneidigen Helden, sondern nichts als akademische Analyse. Wir werden versuchen, Sinn in die ungeheuren Informationsmengen zu bringen, und die Arbeit wird oft eher statistisch als stimulierend sein.«
»Ich verlasse mich auf Ihr Urteil, dass sie wichtig ist. Ich denke, Sie haben Ihre politischen Prioritäten klar gesetzt, und ich hoffe, ich auch.«
»Wir müssen einen kleinen Ausflug zu einem Büro im Rockefeller Plaza machen, der Sie ansonsten nicht weiter zu kümmern braucht. Ihre Dienstverpflichtung, die Prozedur in Gang bringen.« Er bot ihr mit seltener Ritterlichkeit den Arm, um ihr von der Bank aufzuhelfen. »Es wurde Zeit, dass man mich stärker einbindet. Die langwierigen Eintrittsformalitäten haben mich verrückt gemacht«, sagte er mit einem Aufblitzen unterdrückten Zorns. СКАЧАТЬ