Название: Menschen im Krieg – Gone to Soldiers
Автор: Marge Piercy
Издательство: Автор
Жанр: Книги о войне
isbn: 9783867548724
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»Das geht niemand anderen etwas an. Das ist einfach eine von den Fragen, die auftauchen und die ich dann zurückstelle, um sie Ihnen vorzulegen.«
»Weil Sie eine Vorstellung von der Antwort haben?«
»Zu vage, um zu taugen.«
»Belassen Sie es eine Weile dabei.«
»Eine Weile?«
Er stand auf, zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war. »Eines, was Sie heute deutlich gemacht haben, ist, dass Sie keineswegs eine schlechte Beobachterin sind und dass Sie mich noch dazu bringen werden, meine Äußerungen über Ihre Naivität reumütig zurückzunehmen. Was die Umfrage als Gegenstand Ihrer Doktorarbeit anbelangt, so sollten Sie noch in dieser Woche darüber mit Blumenthal sprechen. Es kann nicht schaden, die Prozedur ein wenig zu beschleunigen. Wir werden die Befragungen stark redigieren müssen, bevor Sie sie für Ihre Doktorarbeit einsetzen können, aber das wäre kein Problem. Trotzdem, halten Sie sich ran. Beenden Sie Ihre Doktorarbeit, so schnell Sie können, das ist für heute mein letzter Ratschlag.«
Mit zwanzig weiteren Fragen im Gepäck aus seinem Büro entlassen, ging Abra durch den Aprilregen nach Hause und grübelte, was dieser Ratschlag zu bedeuten hatte. Er drängte sie, sich mit ihrer Doktorarbeit zu beeilen, aber wieso? Lief das Projekt bald aus? Aber dann blieben ihr immer noch die Umfrageergebnisse. Ging er fort? Er hatte an der Columbia keinen festen Lehrstuhl. Meldete er sich zu den Waffen? Dafür kam sein Jahrgang doch gar nicht mehr in Betracht. Dennoch spürte sie, dass sie seinen Rat ernst nehmen und ihr gesellschaftliches Leben rigoros zusammenstutzen sollte. Sie seufzte. Wenn ihm erst klar wurde, wie wenig ihr der Doktortitel bedeutete, würde er wahrscheinlich die Achtung verlieren und sie als Assistentin ablösen lassen, denn der Doktortitel war mehr die Ausrede für ihr interessantes Leben als das angestrebte Endprodukt. Sie hatte die Absicht gehabt, ihre Doktorarbeit über Jahre hinzuziehen.
Normalerweise lief Abra neugierig durch die Straßen von New York, beobachtete unablässig das bunte Treiben, um sich bloß keine Begebenheit, keine Feinheit entgehen zu lassen. Heute stapfte sie durch die Pfützen und hatte das Kinn in ihrem Trenchcoat vergraben. Ja, sie wollte ihrem Instinkt folgen, wollte jeden Schritt tun, den er empfahl, und sich wie wild auf ihren Abschluss stürzen, und sei es aus keinem besseren Grund, als dass Kahan es ihr geraten hatte, denn sie war überzeugt, er würde zu ihrem eigentlichen Mentor werden.
Die meisten Männer, die sie kannte, gingen sowieso zum Militär. Ihr blieb eh nur übrig, diesen verdammten Doktor zu machen. Wenigstens waren die Befragungen interessant.
Acht Tage später geschah es, dass die Frau, die sie befragte, Marlitt Becker Speyer kannte. Mrs. Hirsch hatte kaum Verbindung zu irgendwelchen Parteigruppierungen und wenig Interesse an Politik. Der einzig interessante Teil der Befragung kam gegen Ende, als sie von Marlitt erzählte. Sie hatte Marlitt von Kind auf gekannt, da sie für deren Mutter gearbeitet hatte; Jahre später hatte Marlitt sie als Näherin in ihrem Modesalon beschäftigt. Gegen Ende, sagte sie, schwanden die Klassenschranken, als die Juden in Ghettos gepfercht und gezwungen wurden, zu zehnt oder zwölft in einer kleinen Wohnung zu hausen, und systematisch in die Armut getrieben wurden. Marlitt arbeitete fast bis zum Ende weiter, weil die Nazis ihre Modelle wollten, obwohl sie sie dann mit anderen Etiketten versahen, um ihre Herkunft zu vertuschen, und Marlitt hatte ihr eigenes Personal behalten.
Mrs. Hirsch war fünfzig, eine ausgemergelte Frau mit weißen Haaren, die sie um den Kopf geflochten trug, mit kurzsichtigen Augen in der Farbe von dünnem Tee hinter dicken Brillengläsern und der Angewohnheit, sich vorzubeugen, um zu hören, obwohl ihr Gehör gut zu sein schien. Sie führten die Befragung in Deutsch durch. Abra machte sich in ihrer üblichen Mixtur aus Deutsch und Englisch Notizen. Mrs. Hirsch berichtete, kurz nachdem Marlitt vom Tod ihres Mannes erfahren hatte und nicht einmal die Herausgabe seines Leichnams beantragen durfte, war ihr einziges Kind, ein Junge von vier Jahren, erkrankt.
Es war eins dieser jäh einsetzenden Fieber, wie sie kleine Kinder bekommen und wo die Temperatur hoch und höher schießt. Er fieberte immer stärker, bis er alle fünfzehn Minuten Durchfall hatte. Dann begann er, Blut zu erbrechen. Er war in einem jämmerlichen Zustand. Juden durften nicht mehr in reguläre Krankenhäuser, und das einzige jüdische Krankenhaus war bis zum Bersten überfüllt. Ein Arzt, der keine Medikamente mehr verschreiben durfte, kam, aber er brachte das Fieber nicht herunter, und während die Familie sich hilflos um ihn scharte, hielt Marlitt ihren Sohn in seinem Leiden und seinen Krämpfen. Der Junge quälte sich zwei Tage lang, bis er starb, sagte Mrs. Hirsch. Marlitt ging alle paar Minuten aus dem Zimmer, um im Flur zu weinen, aus Angst, das Kind zu erschrecken, wenn es bei Bewusstsein war. Als ihr Sohn starb, schwor sie, niemals wieder Tränen zu entrichten. Schwor, sie alle aus Deutschland herauszuholen, schwor, ihre Wurzeln herauszureißen, die bis ins Zentrum dieser vertrauten Erde reichten, und nie wiederzukehren, und wenn sie zweihundert Jahre alt wurde. Oh ja, sagte Mrs. Hirsch, sie hat mich hergeholt. Sie konnte meinen Mann nicht retten, nicht ihren eigenen Mann und nicht ihr Kind, aber sie hat ihre Eltern gerettet, und sie hat mich gerettet.
Bernice 2
Bernice auf Kontrollflug
Jeden Montag, jeden Mittwoch und jeden Freitag schwang Bernice sich morgens um sieben Uhr dreißig auf ihr Schwinn-Fahrrad und machte sich bei Regen oder Sonnenschein oder jahreszeitlich verspäteten Schneeschauern auf den Weg zum Flugplatz und hoffte, das Wetter würde ihr gestatten, pünktlich zu starten. Sie hatte eine alte Lederjacke von Jeff dabei – das Flugzeug war natürlich ungeheizt –, ihr Mittagbrot und eine kleine Plastikflasche mit einem Trichter, in die sie urinierte und die sie in ihrem leeren Provianteimer versteckte, wenn sie landete. Sie hatte keine Ahnung, wie andere Piloten zurechtkamen, denn sie hatte sich diese Methode selbst ausgedacht.
Bernice hatte es nie als Glücksfall betrachtet, mitten in Massachusetts zu leben, doch jetzt tat sie es. Frauen war nicht gestattet, für die Zivile Luftkontrolle über die Küstenregion zu fliegen, denn das galt wegen der deutschen U-Boote als gefährlich. Die Zivile Luftkontrolle sah Frauen, die für sie flogen, ohnehin schief an. Als Bernice sich meldete, hatte man sie streng informiert, dass Frauen nur Hilfstätigkeiten offen standen, Büroarbeiten. Sie hatte schon fast aufgegeben, nach wochenlangen Schreib- und Registrierarbeiten, aber der Bedarf an Piloten war groß, und Bernice hatte mindestens so viel Erfahrung wie die meisten Männer, die für die Zivile Luftkontrolle flogen. Sie blieb hartnäckig, bis nun auch sie regelmäßig flog.
Irgendwann Ende April oder Mitte Mai war es dann so weit, dass sie endlich zweihundert Flugstunden in ihr Logbuch eintragen konnte. Sie strebte heftiger denn je die Verkehrspilotenlizenz an, aber dazu fehlten ihr nicht nur Flugstunden, sondern vor allem das Geld. Die Freiwilligen der Zivilen Luftkontrolle arbeiteten ohne Bezahlung, und obendrein hatte sie jetzt wesentlich weniger Zeit, um Fakultätsmanuskripte abzutippen. Wenn sie wenigstens eine Ausbilderlizenz erwerben konnte, dann wurde sie vielleicht ins Kriegsdienstschulungsprogramm aufgenommen, in dem den Studenten das Fliegen beigebracht wurde. Alle Studentinnen waren aus dem Programm gefeuert worden, aber Ausbilderinnen wurden immer noch beschäftigt.
Auch wenn das Fliegen für die Zivile Luftkontrolle ihr keinen Cent brachte, so hatte sie doch drei Tage in der Woche Seligkeit, und wenn der Professor an diesen Abenden wegen seines Essens knurrig war, so hatte sie die Entschuldigung der Rationierung. Außerdem konnte er nichts daran aussetzen, dass sie sich freiwillig in den Dienst der Kriegsanstrengungen stellte.
Was ihr schwerfiel, war, plangemäß zurückzukehren, nachdem sie ihre Route abgeflogen und Überlandleitungen auf Sabotage und bewaldete Gebiete auf Feuer überprüft hatte. Sie spürte einen Drang, wohl ebenso stark wie der Paarungstrieb bei Hirschen oder Hunden, weiterzufliegen, bis sie den fernen, unbekannten Ozean erreichte. Sie hatte einen umfassenden Blick auf die kleinen verrunzelten СКАЧАТЬ