Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy
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Название: Menschen im Krieg – Gone to Soldiers

Автор: Marge Piercy

Издательство: Автор

Жанр: Книги о войне

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isbn: 9783867548724

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СКАЧАТЬ Laden, der Möbelbezüge für Frauen macht, die es nicht besser wissen«.

      »Meine Familie lebte seit hundertdreißig Jahren in Berlin und davor im Saarland, in einer Kleinstadt, wo wir ein Sommerhaus haben – hatten. Wir waren Weinhändler. Mein Vater und mein Onkel hatten ein Geschäft auf der Leipziger Straße … Nein, nicht mehr, denn in der Kristallnacht kam die SA, die Braunhemden. Sie zertrümmerten die Fenster und plünderten den Wein. Dann steckten sie alles in Brand. Sie verprügelten den Wachmann, und dann warfen sie ihn ins Feuer. Er war ein armer Jude, der schon aus der Kleinstadt vertrieben worden war, wo er gelebt hatte. Er war ungebildet, ein wenig einfältig, aber ein guter Mensch, der für seine Eltern sorgte. Er starb im Krankenhaus. Mein Vater war im Saarland und orderte die Auslese, die süßen, spät geernteten Weine, die teuren. Mein Onkel war zu Hause, und die Braunhemden verprügelten ihn und steckten ihn nach Sachsenhausen. Drei Monate lang war er dort, und dann haben wir ihn herausgeholt, arm, mit nichts mehr. Manchmal konnte man sich damals den Weg hinaus erkaufen. Jetzt ist er ein Krüppel, ich schicke ihm ein bisschen Geld nach Paraguay, wenn ich kann.«

      Marlitt beobachtete sorgfältig, merkte Abra, aber ohne auffällig zu starren. Abra bewunderte diese Fähigkeit und nahm sich vor, sie für ihre Befragungen zu vervollkommnen. Sie spielte inzwischen mit dem Gedanken, das Thema ihrer Doktorarbeit dahingehend zu ändern, dass es sich aus diesen Befragungen ergab, zumal sie an ihrem eigenen Thema nicht mehr gearbeitet hatte, seit sie für Oscar Kahan arbeitete. Es hatte mit Marlitt zu tun, so spürte sie, die immer wieder in sie hineinzuschauen schien, während Abra ihre Notizen konsultierte.

      »Die Nazis ließen uns erst hinaus, wenn sie uns bis auf die Knochen abgenagt hatten, und dann ließen uns die Amerikaner nicht herein, weil wir mittellos waren. Meine Tante und mein Onkel verschafften sich ein Visum nach Paraguay, aber wir hatten kein Geld mehr. Mein Onkel wollte hierherkommen, aber die Amerikaner sagten, er sei vorbestraft, weil er verhaftet worden war, als die Nazis damals über Nacht dreißigtausend Juden in die Lager steckten … Oh, ich habe bis zum Schluss gearbeitet. Ich hatte eine Sondererlaubnis, weil ich Modeschöpferin war. Sie hatten Bedarf für meine Modelle, wissen Sie, denn die deutsche Mode ist zumeist plump. Ich wollte Bildhauerin werden, aber auf der Akademie, meine Liebe, überzeugten sie mich, dass ich kein echtes Talent hatte, und dann entdeckte ich, dass ich doch eines hatte, aber nicht für Skulpturen – oder vielleicht für so was wie Skulpturen für Körper.« Marlitt zeichnete eine Gestalt in die Luft. Abra war beeindruckt von der Bewegung. Marlitt hatte die Angewohnheit, extrem still zu sitzen.

      »Orthodox? Oh nein, wir waren Liberale. Vergleichbar Ihren konservativen Juden, aber sehr, sehr deutsch. Wir waren alle sehr deutsch. Meine Liebe, die ersten Juden ließen sich in Deutschland bald nach der Diaspora nieder, im dritten Jahrhundert A. D. Ich glaube, wir waren sogar noch vor den Deutschen da. Mein Vater und mein Onkel engagierten sich im CV – ach so, das war der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Er ähnelte Ihrer Antidiffamierungsliga, war aber nicht so eng. Wir bildeten eine Front mit den Parteien des Zentrums und der Sozialdemokratie. Wir setzten alles auf diese Wahlen. Nicht einen Augenblick lang waren wir blind für die Gefährlichkeit der Nazis, aber wir hatten nicht die Mitgliederzahlen, das Geld, die Macht, sie aufzuhalten. Oh nein, bevor Hitler an die Macht kam, fanden wir die Zionisten lächerlich. Wir waren Deutsche, meine Liebe, wir konnten uns nicht mal dazu überwinden, uns mit den Ostjuden zu identifizieren – Juden, die aus Polen emigriert waren –, weil wir, wie Sie wissen, in Deutschland bis dahin keine Pogrome hatten und wirtschaftliche Möglichkeiten. Wir empfanden die Ostjuden als fremd. Unkultiviert.« Marlitt fuhr sich flüchtig mit schlanken Fingern über das Kinn. »Wir waren es gewohnt, dass deutsche ›Künder‹ uns verunglimpften. Wir nahmen es so auf, wie Sie es als Frau tun, wenn Sie hören, dass sich ein Mann über die Beschränktheit der Frauen auslässt. Sie denken, ach ja, und doch hat eine von uns dich geboren und dich genährt, und du wirst eine von uns heiraten. Wir waren so deutsch. Mein Vater hatte im Weltkrieg gedient. Er war mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden, und darauf war er sehr stolz.«

      Marlitt lachte kurz und trocken auf. »Sehen Sie, wir waren es eben gewohnt, dass wir gebrandmarkt wurden, dass aber alles so weiterging wie gehabt. Jeder zweite Deutsche war ein Antisemit, der über das Judenproblem geiferte, über die jüdische Vorherrschaft, über die zionistische Verschwörung. Und dann mit Verständnis dafür rechnete, dass er einen nicht persönlich meinte. Sondern natürlich die anderen, die schlimmen Juden. Man gewöhnt sich an zu denken, sie meinen es nicht so, wenn sie ihre kleinen Witze über die Juden machen. Man übergeht es einfach und wartet, bis sie sich wieder wie Menschen benehmen. Wir hatten uns mit all den kleinen und großen Beleidigungen fast gemütlich eingerichtet, solange es uns nur gut ging und wir unser Leben lebten.«

      Abra fand es schade, dass ihre Notate niemals Marlitts Stimme wiedergeben konnten, melodiös, klangvoll, spöttisch, bissig. Ingwereiscreme, dachte sie, süß und scharf zugleich. Dennoch hatte Marlitt eine Trockenheit, eine seltsame Distanziertheit, als wäre sie in Wahrheit viel älter, eine Nonne, die mit kühler Unbeteiligtheit auf ihr Leben in der verderbten Welt zurückblickte.

      »Nein, mein Vater und mein Onkel waren die politisch Engagierten. Ich war jung und hatte nur Mode im Kopf und Feste und Bälle und Ausstellungen. Berlin ist wie New York, es saugt alle Künste in sich auf. In Berlin waren die Nazis nur eine Handvoll Spinner. Niemand schenkte ihnen Beachtung. Es gab nicht mehr als zwei- oder dreihundert von ihnen, bis dieses üble kleine Frettchen Goebbels auftauchte. Der schickte sie los, die Linken zusammenschlagen. Sie marschierten in die Arbeiterversammlungen und störten und veranstalteten Krawalle. Das brachte sie in die Zeitungen, und alles Gesindel in der Stadt stand bald Schlange, um bei der Gaudi dabei zu sein. Und trotzdem, wenn die Reichen ihnen nicht nachgelaufen wären und sie beschnuppert hätten wie diese läufige Hündin Magda Quandt, die ihn schließlich geheiratet hat, dann hätten sie niemals diese Mittel zur Verfügung gehabt. Wenn ich denke, dass ich für die mal etwas entworfen habe! Ach je, von Politik war die völlig unbeleckt, und ich bezweifle sogar, dass die zu der Zeit antisemitisch war.«

      »Mein Mann?« Sie schwieg lange. Ihr Gesicht schien sich einzuebnen. »Nein, Speyer ist nicht wirklich mein Mann, ich werde es Ihnen erklären. Mein Mann war Martin Becker. Ein gutaussehender Mann, kräftig gebaut, über eins achtzig groß. Er hatte in der Schule Fußball gespielt. Er starb im Lager, in Buchenwald. Sie sagten, an einer Krankheit. Das sagten sie immer. Vielleicht werden wir es eines Tages wissen. Ich hörte, dass dort Fleckfieber grassierte …«

      Abra merkte, dass sich in ihrer Informantin ein Tor geschlossen hatte. Über ihren Mann wollte Marlitt nicht weiter sprechen. Abra änderte die Richtung ihrer Fragen und nahm sich vor, später darauf zurückzukommen. »Wir sind über Frankreich ausgereist. Ich fühlte mich nicht wohl in Frankreich, zu viele Einschränkungen gegen jüdische Emigranten, was wir tun durften, was nicht. Sie waren gegen uns eingenommen. Wir gingen weiter nach Portugal. Ich musste dort als Schneiderin arbeiten, fast schon als Näherin. Ein hübscher Abstieg, wie? Ich schneiderte den Damen Roben für Kostümfeste.«

      »Ach, Mr. Speyer. Den habe ich in Portugal kennengelernt. Speyer ist amerikanischer Jude, ein Witwer. Er hat mich geheiratet, um mich herzuholen, und wir haben auch meinen Vater und meine Mutter nachgeholt. Nein, es war reine Menschenfreundlichkeit. Er lebt mit seiner Freundin zusammen, aber er kann sie nicht heiraten – die Kinder seiner ersten Frau wollen das nicht zulassen –, und ich habe ein Papier unterschrieben, wonach ich auf sein gesamtes Eigentum verzichte. Nein, meine Liebe, nicht gerade eine weiße Hochzeit, aber lassen Sie das weg. Schließlich sind wir zusammen hergereist, und ich habe nach meiner Ankunft in seiner Wohnung gelebt, was seiner Freundin gar nicht gefiel. Jetzt, wo meine Staatsbürgerschaft gesichert ist, lassen wir uns in aller Stille scheiden. Und vielleicht wird Alfred es wieder tun. Er ist ein guter Mann, ich esse jeden Sonntag mit ihm – freitags mit meinen Eltern. Ich stelle mir zu gerne vor, wie Alfred hin- und zurückfährt und alle diese Frauen heiratet und es in Wahrheit genießt und uns dann hier in Sicherheit bringt. Er ist ein sehr guter Mann. Sie müssten ihn befragen …«

      Wenn Marlitt sich in ihrer trockenen, distanzierten Art auch weigerte, für die Akten zu lügen СКАЧАТЬ