Название: Menschen im Krieg – Gone to Soldiers
Автор: Marge Piercy
Издательство: Автор
Жанр: Книги о войне
isbn: 9783867548724
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Gestern ist etwas einfach Unvorstellbares geschehen. Die Nazis haben in einer Razzia eintausend französische Juden zusammengetrieben, darunter alle Rechtsanwälte, die bei der Pariser Anwaltskammer zugelassen sind, ja überhaupt alle. Sie haben Ärzte, Anwälte, Schriftsteller und Intellektuelle geholt und einfach verhaftet. Niemand scheint zu wissen, wohin sie gebracht worden sind, außer dass es diesmal nicht Drancy ist, wo die armen Balabans eingesperrt sind. Wir haben ihnen kleine Päckchen gebracht, wurden aber nicht hineingelassen. Das Lager stinkt schon aus zweihundert Metern Entfernung. Es ist eine unfertige Neubausiedlung, umgeben von Stacheldraht und Wachtürmen. Man müsste meinen, die armen Balabans seien Vergewaltiger, Mörder und Terroristen und nicht eine Familie von Fabrikarbeitern.
Wohin sie die schrecklich gefährlichen Schriftsteller, Anwälte und Ärzte gebracht haben, ist reine Vermutung. Wir machen uns Gedanken und haben Angst, wir geben Gerüchte weiter und warten auf die Rückkehr des Pfadfinders, aber bis jetzt war er noch nicht da. Die Rechtfertigung für diese Razzia – aus irgendeinem Grund haben die Nazis immer gern eine Rechtfertigung, und sei sie noch so fadenscheinig – ist Bestrafung, weil jemand auf einen deutschen Luftwaffenoffizier geschossen hat. Das ist alles.
Im Café Le Jazz Hot machen alle Witze darüber, dass ich die letzte Jungfrau von Paris bin. Céleste verkündete heute, dass sie mich ausstopfen und in einen Schaukasten im Musée de l’Homme stecken werden. Ich sagte, mir wäre das nur recht, solange ich mit Brathuhn und Kalbsschnitzeln und Steaks ausgestopft werde. Henri sagte, wie wäre es mit meiner Salami. Manchmal erröte ich innerlich von dem, was sie sagen, aber ich bleibe sehr kühl. Ich sagte, nein danke, deine Salami ist nicht koscher.
Hinterher dann, als Henri mich zur Metro brachte, fragte er mich, ob ich nicht mit ihm schlafe, weil er kein Jude ist. Er wollte mitten auf dem Bürgersteig ein ernsthaftes Gespräch über etwas anfangen, was ich im Scherz gesagt hatte, um ihnen das Maul zu stopfen. Es endete damit, dass ich ihn im Hauseingang küssen musste. Dann versuchte er wieder, seine Hand unter meinen Pullover zu schieben. Ich sagte: Versuch ja nicht, dich schrittweise vorzuarbeiten, Henri. So wirst du mich nicht rumkriegen. Wenn ich mich dazu entschließe, werde ich das Ganze machen, aber bis dahin betatsch mich nicht, das finde ich ordinär. Er wurde wütend und ging weg, aber ich weiß, das Problem wird nicht weggehen.
Ruthie 2
Von hastigen Gelöbnissen
Ruthie stand auf einem Stuhl. Mame steckte den Rocksaum von dem schicken grauen Gabardinekostüm ab, das sie bei Goodwill gefunden hatte. Die Ärmel waren unten leicht abgetragen, aber die hatte Mame eingeschlagen, und die Nähte unter den Armen hatte Ruthie selbst ausgebessert. Der Rock war länger, als junge Frauen jetzt trugen, und so machte Mame ihn kürzer. Das musste alles in großer Eile geschehen, denn Leib und Trudi heirateten heute Nachmittag im Studierzimmer vom Rabbi.
Ruthie wusste noch nicht, was sie von der Heirat halten sollte. Leib hatte für eine kleine Firma gearbeitet, die Reklameluftballons herstellte, aber die bekam keinen Gummi mehr geliefert und musste alle entlassen. Er hatte Arbeit am Fließband vom Chrysler-Panzerwerk gefunden, aber als seine Nummer von der Einberufungsbehörde aufgerufen wurde, war er noch nicht lange genug dabei, um wegen kriegswichtiger Arbeit freigestellt zu werden. Jetzt musste er in drei Tagen zur Armee, und er und Trudi heirateten sofort. Seit seiner Trennung von Ruthie hatte er sich ab und zu mit Trudi getroffen, aber Trudi hatte geklagt, er sei nicht in sie verliebt.
Als Trudi ihr von der Hochzeit erzählte, sagte Ruthie: »Aber ich dachte, so gut stand es zwischen euch nicht.«
»Schon, aber das hat sich geändert. Jetzt will er mich heiraten. Hör bloß auf, Ruthie, du hättest Leib auch geheiratet, wenn er dich je gebeten hätte, also erzähl mir keinen Quatsch. Was will man mehr, groß, dunkel und gutaussehend. Außerdem bin ich Patriotin.« Trudi war die vierte ihrer Freundinnen, die seit dem siebten Dezember heiratete, jede einen Mann mit dem Einberufungsbefehl in der Tasche.
Als Trudi Ruthie gebeten hatte, ihre Brautführerin zu sein, hätte Ruthie sich am liebsten gedrückt. Sie hatte keine Lust, Leib zu begegnen; es tat immer noch weh. Sie meinte nicht, ihn wirklich geliebt zu haben. In ihm war immer etwas gewesen, dem sie misstraut hatte. Sie war davon ausgegangen, dass das mit Männern eben so war – aber mit Murray war es nicht so.
»Mame, ich will dich nicht hetzen, aber vielleicht werde ich mit geheftetem Saum gehen müssen. Es macht doch nichts, wenn der Saum nicht völlig gerade ist. Das ist nicht meine Hochzeit, und niemand wird mich anschauen.«
»Meine Tochter, und geht zu einer Hochzeit vor Rabbi Honig mit dem Rocksaum voller Stecknadeln? Du musst dich ja nicht zurechtmachen wie ein Filmstar, aber wir brauchen nicht voller Stecknadeln vor die Leute zu treten.«
Mame hatte abgenommen und trug das Haar jetzt hochgesteckt statt in einen struppigen Knoten zurückgekämmt. Sie betrieb neuerdings eine kleine Tagesstätte für Säuglinge und Kleinkinder von Frauen in der Nachbarschaft, die arbeiten gingen. Ganze einunddreißig Dollar durfte ein Ehemann in Übersee von seinem Sold nach Hause überweisen. Davon konnte niemand leben. Außerdem kosteten die wenigen vorhandenen Tagesstätten ein Vermögen.
Mame nahm sechzig Cent pro Tag für Kleinkinder und fünfzig Cent für Säuglinge zuzüglich zwei Fleischmarken. Dafür bekamen die Kinder zwei Mahlzeiten und ein Mittagsschläfchen. Sharon steckte ihre eigenen Kinder dazu und half. Von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends war das Haus mit heulenden und brabbelnden Knirpsen vollgestopft. Mame und Sharon verdienten daran etwa zwanzig Dollar die Woche. Arty war schließlich vom Fisher-Karosseriewerk genommen worden und hatte Nachtschicht, was bedeutete, dass die Kleinen unten bleiben mussten, damit er seinen Schlaf bekam. Arty hatte nichts für das Projekt übrig und sagte, sie gerieten noch mit dem Gesetz in Konflikt, weil sie keine Genehmigung hatten. Ruthie hatte die gesetzlichen Bestimmungen für Wayne County durchforstet, und es war vollkommen ausgeschlossen, dass jemand in ihrer Lage sie erfüllen konnte – oder dass die Frauen aus der Nachbarschaft dann eine so schicke Einrichtung bezahlen konnten.
»Hast du etwas von deinem Burschen gehört?«, fragte Mame mit Stecknadeln im Mund.
»Mame, du bekommst die Post jeden Tag vor mir zu sehen. Ich habe erst am Dienstag seinen Brief vom Samstag beantwortet.« Sie mochte es nicht, wenn Mame sie nach Murrays Briefen fragte, denn dafür bedeuteten sie ihr zu viel. Er war unten im Süden, den sie sich vorstellte als eine Mischung aus Sümpfen, Magnolien, immergrünen Eichen, den Gespensterschleiern aus Spanisch Moos und lakenverhüllten Ku-Klux-Klan-Kerlen, so schlimm wie Hitlers SA-Männer, die Kreuze verbrannten und Juden und Farbige. Jedenfalls ein gefährlicher Ort, fast so gefährlich wie jeder Einsatz, der ihm bevorstand. Murray hatte noch sein Semester beendet und sich dann im Februar zum Militär gemeldet.
»Aber warum gehst du zur Marineinfanterie, zu den Marinesoldaten?«, hatte sie ihn gefragt. »Ich dachte, wir hätten uns aufs Heer geeinigt, und da möglichst die Fernmeldetruppe.«
»Ich kann’s dir beim besten Willen nicht sagen, aber so ist es nun mal. Ich habe gerade die tiefste Demütigung meines Lebens hinter mir, man hat mich behandelt wie ein Stück Rindfleisch, gepiekt und gepufft. Jetzt denke ich, wenn ich überleben will, was war ich dann für ein Idiot – mich СКАЧАТЬ