Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Menschen im Krieg – Gone to Soldiers - Marge Piercy страница 26

Название: Menschen im Krieg – Gone to Soldiers

Автор: Marge Piercy

Издательство: Автор

Жанр: Книги о войне

Серия:

isbn: 9783867548724

isbn:

СКАЧАТЬ versäumt die letzte Metro um 23 Uhr, und wenn einen dann nicht nette Freunde über Nacht beherbergen, wie Céleste es mehrere Male getan hat und Henri und Albert wie Gentlemen einmal, hat man Pech gehabt. Henri und Albert wohnen gleich den Hügel rauf bei der Sorbonne, in einer schmutzigen kleinen Seitenstraße, aber bequem gelegen. Maman geht an die Decke, wenn ich über Nacht wegbleibe. Ich tue das nicht absichtlich, aber hin und wieder verpasst jeder die letzte Metro. Dieses Dekret bedeutet, wenn ich bei irgendeinem kleinen Verstoß gegen die Vorschriften gefasst werde, dann können sie mich eines Morgens an die Wand stellen und erschießen, weil irgendein Hitzkopf einen Schuss auf einen deutschen Offizier abgegeben hat. Ich verstehe nicht, was die Deutschen mit dieser Brutalität erreichen wollen. Meinen sie, wenn irgendeine arme Tellerwäscherin, die ihre Bahn versäumt hat, als Vergeltung für eine Aktion einer der neuen Widerstandsgruppen erschossen wird, dann werden die Gaullisten oder die Kommunisten unweigerlich eingehen und verdorren?

      Fast hätte ich es vergessen: Bei den Balabans sind schon andere Leute eingezogen. Sie haben die armseligen Sachen der Balabans auf die Straße geworfen, damit die Nachbarn alles durchwühlen können, aber die Küchenmöbel haben sie behalten. Ich weiß nicht, was die Balabans machen sollen, wenn sie zurückkommen. Ich hoffe nur, Mamans Familiensinn verleitet sie nicht dazu, sie aufzunehmen. Ohne Papas Verdienst haben wir mein Zimmer im obersten Stock aufgeben müssen. Maman teilt mit Renée ihr Doppelbett, und ich schlafe auf dem Klappbett in der salle à manger.

      8 septembre 1941

      Ich kam von meinem Schauspielunterricht und musste den Boulevard des Italiens entlang. Ich war gerade in Gedanken völlig mit der Berenice in Racines großer Tragödie beschäftigt, mit der ich mich in mancher Hinsicht ohne weiteres identifizieren kann, als ich eine große Menschenmenge sah, die vor dem Palais Berlitz Schlange stand.

      »Was gibt es? Ist da eine Ausstellung?«, fragte ich eine ältere Frau. Ich achte immer darauf, auf der Straße Frauen um Auskunft zu fragen, da ich nicht irgendeinem Mann eine Bresche schlagen möchte, der sich einbildet, ich versuchte ihn aufzugabeln. Ich erinnere mich immer noch an den blöden Jungen, der mir den ganzen Weg zu Marie Charlottes Wohnung nachgegangen ist, nur weil ich seine Frage beantwortet und ihm gesagt habe, wo es zur Gare du Nord geht. Jetzt ist mir klar, dass er es ganz genau wusste. Henri sagt, ich bin absolut naiv, was Männer anbelangt, aber die Wahrheit ist, ich habe andere Sorgen und brauche nicht noch mehr.

      »Eine große Ausstellung, alle Welt geht hin«, sagte sie und nickte mir zu. »Über ›Der Jude und Frankreich‹. Sie sollten auch hingehen. Sie sind nicht zu jung, um sich den Tatsachen zu stellen.«

      Ich dachte zuerst, sie meinte, dass ich mir als Jüdin den Antisemitismus klar vor Augen führen müsse, aber dann fuhr sie fort: »Sie müssen sich rein erhalten, ein junges Mädchen wie Sie, aber Sie müssen sich auch kundig machen über die Durchseuchung. Es geht darum, sich für das Neue Frankreich heranzubilden.«

      Ich schäme mich inzwischen, aber mir war es für sie derart peinlich, so dumm und primitiv zu sein, dass ich kein Wort hervorbrachte. Ich fürchte, meine Manieren veranlassten mich automatisch, ihr zu danken und fortzueilen. Sie war eine gut gekleidete Dame in den besten Jahren und trug ein Marinekostüm mit Schulterpolstern nach der neuesten Mode, dazu eine gestreifte weiße Bluse mit Krawattenschleife und einen wagenradgroßen Hut mit einem echten kleinen toten Vogel obendrauf.

      Ich wünschte, ich hätte ihr eine runtergehauen, aber das wäre sinnlos, ja mehr noch, es wäre unmoralisch gewesen, verbale Gewalt mit physischer Gewalt zu erwidern. Vielleicht tat ich das Beste. Andererseits bezog ich keine Stellung. Was hätte ich tun sollen? Wäre ich ein wahrhaft edler Mensch wie die Antigone bei Sophokles, dann wären mir die Worte gekommen und ich hätte etwas Deutliches und Zündendes gesagt, das ihr ihre Dummheit gezeigt hätte, so von einem ganzen Volk zu sprechen.

      Tatsächlich jedoch fühlte ich mich gedemütigt und ging einfach auf dem breiten Bürgersteig weiter auf die Menge zu. Direkt an der Fassade vom Palais Berlitz hing zwischen den Säulen ein riesiges, vier Stockwerke hohes Plakat von einem alten Mann mit Bart und langer Nase, der ein Jude sein sollte und Klauen dort in einen Globus grub, wo Frankreich eingezeichnet war. Grässlich. Mir wurde ganz heiß, und ich wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Ich hatte Angst, mitten auf der Straße in Tränen auszubrechen. Als ich sah, wie all diese ganz normalen Leute, meine Landsleute, die vielleicht gestern noch im Kino neben mir gesessen oder mich am Zeitungskiosk begrüßt haben, wie sie alle nur darauf warteten, sich in diese von einer französischen Einrichtung, dem Institut d’étude des questions juives, veranstalteten Nazi-Ausstellung zu drängeln, da fühlte ich mich wie eine Küchenschabe, die sie mit ihren elegant beschuhten Füßen zu zertreten suchten.

      Ich wollte auf eine Seifenkiste steigen und sie anschreien: Wie könnt ihr wagen zu denken, dieses hässliche, von euch gezeichnete Bild hätte irgendetwas mit mir zu tun? Es ist eure eigene ekelhafte Phantasie, in der ihr euch suhlt. Wie die unanständigen Zeichnungen, die die Jungens immer machten und uns dann anzuschauen zwangen. Sag uns, was das ist, sag uns, was das ist. Eure eigene schmutzige Phantasie, habe ich da gesagt: Wenigstens ein Mal ist mir die richtige Antwort eingefallen.

      Ich denke, einer meiner schlimmsten Fehler ist, dass ich – während mein Verstand rascher zu arbeiten scheint als der anderer Menschen – oft zu viele Seiten einer Frage sehe, was mich in meiner Erwiderung schwächt. Ich sollte mich bemühen, einfacher zu sein. Manchmal denke ich, Einfachheit ist eine Tugend, und wenn ich das schreibe, denke ich dabei an Maman, die immer ohne Umwege auf den Kern einer Sache zu sprechen kommt.

      Als ich nach Hause kam, überlegte ich, ob ich das Gesehene erwähnen sollte, aber dann schaute ich Maman an, die von der langen Arbeit beim Kürschner jeden Tag so abgehärmt und erschöpft ist und dann noch herumrennt, um etwas für eine Suppe zum Abendbrot aufzutreiben, und die kleine Renée, die in diesen Tagen so fügsam und still ist, dass ich mir Sorgen um sie mache. Ich dachte, wenn Papa endlich nach Hause kommt, werde ich ihm davon erzählen, aber bis dahin muss ich, wie er es mir aufgetragen hat, auf Maman und Renée aufpassen, denn in mancher Hinsicht habe ich wirklich einen kühleren Kopf.

      3 octobre 1941

      Letzte Nacht sind sechs der Synagogen von Paris in die Luft gesprengt worden! Ich bin heute Morgen mit Renée losgegangen, und wir schauten nach unserer, wo wir an den Hohen Feiertagen hingehen, und da war nichts mehr als eine Ruine mit Glasscherben und Mörtelbrocken und Stofffetzen und stiebendem Papier. Juden aus der Nachbarschaft irrten herum und stocherten im Schutt, um irgendetwas zu retten. Es hat mich derart empört, dass ich vor Hilflosigkeit brenne. Was für eine schändliche, geistesgestörte Tat. Ein Gotteshaus zu zerstören. Was sind das für Kretins, die das für eine angemessene politische Tat halten?

      All die pöbelhaften neuen Zeitungen schreien, das sei eine spontane Tat des französischen Volkes gewesen, das uns, die sogenannten fremden Elemente, hinauswerfen will. Das uns abwehrt, wie man eine Krankheit oder ein Gift abwehrt. Ich muss sagen, es ist reizend, zur Mikrobe geworden zu sein. Ich gehe in diesen Tagen durch Paris, und es ist, als schlüge mir alle zwanzig Schritte irgendein Flegel ins Gesicht, wenn ich sehe, wie diese Zeitungen darüber tönen, wie großartig die Sammlungsbewegung ist und wie Frankreich gesäubert und gereinigt wird, oder wenn ich eine wahrhaft entstellende und abstoßende Karikatur sehe, die mich oder Papa oder Maman darstellen soll, oder wenn ich in Erfahrung bringen möchte, was in der Welt geschieht, und statt der Zeitungen, die bei all ihrer Parteilichkeit wenigstens die Nachrichten aus aller Welt brachten, haben wir nichts als diese Hetzblätter, die Hass hinausschreien und unseren Tod fordern.

      Manchmal kann ich es immer noch nicht glauben, dass alle diese Franzosen herumrennen und den Deutschen in den Hintern kriechen und ihnen schöntun und ihre Parolen nachplappern! Ich habe törichte Tagträume, dass ich in die Redaktion eines dieser Hetzblätter oder einer dieser Zeitschriften stürme, die sich literarisches oder philosophisches Niveau anmaßen. Les Nouveaux Temps, La Gerbe, Aujourd’hui, Nouvelle Revue Française, sie alle halten sich an die Richtlinien der СКАЧАТЬ