Название: Menschen im Krieg – Gone to Soldiers
Автор: Marge Piercy
Издательство: Автор
Жанр: Книги о войне
isbn: 9783867548724
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Ich erinnere mich, dass ich mir noch im letzten Jahr beim Lernen für mein bac ausgemalt habe, wie glücklich ich erst sein würde, sobald ich an der Sorbonne wäre. Ich würde anderen Studenten begegnen, die meine Interessen teilen, und ein Leben reicher intellektueller Gärung und strenger Hingabe an Ideen führen. Nun halte ich mich meistens von anderen Studenten fern, da ich den Schock der Entdeckung fürchte, dass auch sie Antisemiten sind. Die Mühsal des Überlebens ist so anstrengend, dass ich die Vorlesungen gar nicht zu schätzen weiß. Oft komme ich im Quartier Latin am Café Dupont mit seinem Schild KEINE JUDEN ODER HUNDE vorbei. Wie manche Konvertiten katholischer als der Papst sind, so eifern diese nachgemachten Nazis, ihre Herren zu übertreffen.
29 novembre 1941
Welch ein trauriger, stiller Geburtstag war das am 24. für mich. Dann erhielten wir Nachricht von Papa. Ein halbwüchsiger Junge in Pfadfinderuniform erschien damit, ein äußerst unwahrscheinlicher Überbringer geheimer Botschaften, aber er legte Wert auf die Feststellung, dass er in der EIF ist, was für Éclaireurs Israélites de France steht, die Jüdischen Pfadfinder. Er tat unseren Dank ab und sagte, es sei für ihn nicht schwierig, da er seine Methoden habe, die Grenze nach Vichy zu überqueren.
Er brachte uns auch eine Flasche Cassis als Geschenk von Papa, die sehr willkommen ist, weil Maman und besonders ich die Wärme von ein wenig Wein zum Abendbrot vermissen und es Monate her ist, seit wir irgendetwas Alkoholisches genossen haben. Unsere winzige Weinration tauschen wir bei Mme Cohen gegen ein wenig Butter und etwas Magermilch für Rivka. Cassis, sagt Maman, ist besonders willkommen, da wir uns so oft den Magen an verdorbenen Nahrungsmitteln verkorksen oder an Brot mit seltsamen Zutaten – wir vermuten alles von Knochenmehl bis zu zermahlenem Mörtel aus Ruinen. Der Cassis wird nur löffelweise ausgeteilt werden, und zwar nach dem Abendbrot, um uns zu wärmen und unsere armen gequälten Mägen zu besänftigen.
Papa ist in Toulouse, erzählte uns der Junge. Er scheint Papa sehr zu bewundern. Er sagte, Papa kann nicht über die Grenze nach Paris zurück, ist aber eine starke Kraft im Widerstand gegen die Deutschen und die Vichy-Regierung. Zweimal wäre Papa beinahe gefasst worden, konnte aber entkommen. Er sagte, Papa ist ein sehr tapferer Mann und wir können stolz auf ihn sein. Papa hat ihm aufgetragen, uns Papiere zu verschaffen, die er uns beim nächsten Mal auszuhändigen hofft, aber dafür braucht er von uns erst einmal neuere Fotos für gefälschte Ausweispapiere. Die werden uns in die Lage versetzen, nach Toulouse zu Papa zu gelangen.
An diesem Punkt gingen wir alle drei ins Schlafzimmer, schlossen die Tür und sahen uns sorgfältig Papas Brief an, um sicherzugehen, dass er wirklich von ihm war und dass wir es nicht mit einem verkappten Faschistenjungen zu tun hatten, der uns eine Falle stellen wollte. Aber es war ganz offensichtlich Papas Handschrift. Der Brief war kurz, und es stand nur darin, dass er uns lieb hat, uns fürchterlich vermisst und dass wir dem jungen Mann geben sollen, was er braucht, denn er würde es ihm auf seinen nächsten Runden überbringen, wie Papa sich ausdrückte.
Das Problem war nur, wir haben uns schon seit mehreren Jahren nicht mehr fotografieren lassen, und wir wagten nicht, sosehr wir sie auch hassen, von unseren Kennkarten mit dem großen roten Stempel JUIVE die Fotos zu entfernen. Wir sagten dem jungen Mann, wir könnten in der nächsten Woche versuchen, Fotos zu bekommen. Wir haben kaum Geld. Er erwiderte, wir sollten sehen, was wir tun könnten, aber er könne nicht warten, da er weiter nördlich noch etwas zu erledigen habe. Er wolle auf dem Weg nach Süden vorbeischauen, sagte er, und die neuen Fotos abholen.
Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich keinem außerhalb der Familie ein Wort davon erzählen werde, und ich warnte auch Maman, die immer vernünftig ist, und Rivka, die es nicht ist, über diesen Besuch Stillschweigen zu bewahren. Ich habe dem Wunsch meiner Schwester, bei ihrem hebräischen Namen genannt zu werden, nachgegeben, denn sie hat in diesen Tagen so wenig Freuden.
Dann kam ein Geschenk von Naomi aus Detroit in den USA. Ich war überrascht, dass der kleine Quälgeist an meinen Geburtstag gedacht hatte, aber wahrscheinlich hat wohl ihre Tante für das Paket gesorgt. Es ist vor zwei Monaten aufgegeben worden, aber alles ist heil geblieben, und wir waren entzückt. Sie hat uns eine große koschere Wurst geschickt, also nehme ich an, dass es da drüben auch so etwas gibt, ein Kilo Zucker, ein Glas Stachelbeermarmelade, ein Glas Aprikosenmarmelade und ein Glas Himbeermarmelade. Alles Süße ist bei uns ein Volltreffer. Sie hat auch zwei Stück Camay-Seife und ein Glas Leberpâté hineingelegt.
Naomi schreibt regelmäßig, aber ihre französische Grammatik ist entsetzlich und wird immer schlimmer. Sie wird zu einer Wilden. Ich weiß nicht, ob Papa das Richtige tat, sie so ganz allein wegzuschicken. Wir bekommen auch Briefe von Rose Siegal in Jiddisch, einer Sprache, die ich nicht lesen kann, aber Maman übersetzt. Tante Rose (Mamans älteste Schwester) versichert uns, dass Naomi wohlauf ist und ihr Englisch verbessert (während sie ihre eigene Sprache verleugnet, ergänze ich) und rasch wächst. Das tut Rivka auch, aber sie ist zu dünn. Wenn wir nur ein bisschen mehr für sie zu essen hätten. In der Schule bekommen die Kinder Vitaminkekse. Manche Kinder tauschen ihre ein, aber ich habe Rivka eingeschärft, ihren jeden Tag zu essen. Tante Rose fragt nach Tante Batya, ihrer Schwester, die immer noch in Drancy ist. Maman wird ihr das wenige, was wir wissen, schreiben, denn wir dürfen die Gefangenen nicht besuchen.
Es war sehr einfühlsam von Naomi oder Tante Rose, uns diese Geschenke zu schicken. Der Winter setzt früh ein, und wir frieren erbärmlich. Wir haben keine Heizung. Maman bekommt Frostbeulen. Wir gehen mit einer Wärmflasche ins Bett, aber die bleibt nur eine Stunde lang warm. Wir schlurfen herum wie Altkleiderbündel und haben ständig Handschuhe an, die wir nur ausziehen, wenn wir abwaschen müssen.
Die Seife ist eine besondere Wohltat, denn wir können ein regelmäßiges System einführen, einmal in der Woche zu baden. Wir hatten seit Oktober keine Seife, da wir sie gegen Nahrungsmittel eingetauscht haben. Rivka braucht etwas zu essen und Maman auch. Ich futtere mich noch am besten durch, weil ich von meinen Freunden verwöhnt werde, die alle gute Schwarzmarktbeziehungen und immer ein Häppchen für mich haben und manchmal sogar eine ganze Mahlzeit. Wo immer ich kann, versuche ich, ein Brötchen oder ein Stück Hühnchen für Rivka und Maman einzustecken, heimlich, denn einmal hat mich Céleste dabei ertappt, wie ich einen halben Croque-Monsieur in die Tasche stecken wollte, und sagte: Na, wenn du keinen Hunger hast, esse ich ihn, und das tat sie.
Ja, außerhalb des Hauses esse ich Schinken. Ich würde eine Kröte essen, wenn mir jemand eine vorsetzte. Ich hätte den Schinken Rivka gegeben und ihr gesagt, es sei Cornedbeef. Ich fühlte mich elend, weil ich Hunger hatte und ihn entsetzlich gern gegessen hätte, aber noch lieber hätte ich ein bisschen davon Rivka gegeben, die nur noch Haut und Knochen und fast blau im Gesicht ist. Maman meint, vielleicht hat sie Blutarmut, aber was können wir dagegen tun? Henri hat mich diese Woche nicht zum Mittagessen eingeladen. Für ihn steht inzwischen fest, dass ich meine Jungfräulichkeit zum Fetisch erhebe, und er sagt, solchen bürgerlichen Humbug müsste ich überwinden.
Gut, sagte ich, ich werde auf den Boule Mich’ gehen, das erstbeste Fahrradtaxi anhalten und mich anbieten.
Ein Fremder könnte eine Krankheit haben, sagte er. Ich denke dabei nur an dich.
Ich weiß, wie du an mich denkst, und träum weiter, sagte ich. Ich tue völlig gelassen, denn das muss man, aber ich fühle mich ganz merkwürdig, wenn ich mit ihm am Tisch sitze und er ständig wie rein zufällig mein Knie berührt, meinen Ellbogen, meine Schulter. Wenn wir nicht so viele Kleiderschichten anhätten, könnte er sehen, dass ich manchmal eine Gänsehaut bekomme. Zu meinem Glück sind wir beide in unsere Sachen eingewickelt wie Mumien im Museum, und selbst wenn er mich zu küssen versucht, kommt er nicht näher als fünfzehn Zentimeter, weil wir so ausgestopft sind. Trotzdem träume ich davon, wie seine Augen, hellbraun wie nasser Sand, sehnsüchtig an mir hängen.
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