Название: Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas
Автор: Wilhelm Kaltenstadler
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783957440730
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Man kann den Vergleich zwischen dem orientalischen Islam und dem westlichen ‘Christentum’ auf einen knappen Nenner bringen: Hier eine extreme, vielfach überbordende Strapazierung des Individualismus mit der wachsenden Verherrlichung des sog. Single-Daseins und zunehmende Vereinsamung und Entfamilialisierung nicht zuletzt alter Menschen mit steigender Selbstmordrate, dort im Islam weitaus mehr ein Leben in der Gemeinschaft und in Sippschaften und Großfamilien. Der einzelne zählt hier wenig, die Sippe als Großfamilie ist (fast) alles. Die starke gegenseitige soziale Kontrolle wird aber, abweichend von unserer Mentalität, nicht als Verlust, sondern von den meisten Mitgliedern eher als ein Gewinn an persönlicher Freiheit empfunden. Der Islam hat zudem einen anderen Begriff von Freiheit. Diese kommt allerdings den meisten Frauen in den meisten muslimischen Staaten immer noch viel zu wenig zugute.
Die Glaubwürdigkeit der Quellen der Antike
Römische Quellen
Die Forscher waren im Mittelalter und noch weit bis in die Neuzeit hinein völlig auf die Geschichte des oströmischen Byzanz fixiert, aber auch hier nicht real, sondern mehr mythisch wie in der Alexandersage, welche mit den uns überlieferten Quellen nicht übereinstimmt. Dazu passt auch sehr gut die Tatsache, dass das mittelalterliche Europa kaum Kenntnis von der griechischen Sprache und Geschichte hatte. Doch auch in den uns überlieferten Texten des Neuen Testamentes, die ja immerhin in der Zeit der hellenistischen Kultur geschrieben sein sollen, hört man überhaupt nichts über die alten Griechen173 und kaum etwas über die Römer.174 Zahlreiche mittelalterliche Geschichtsschreiber und Chronisten, welche die ihrer Gegenwart vorausgehende Zeit behandeln, berichten nichts von der griechisch-römischen Antike, von der Geschichte Ägyptens und Mesopotamiens ganz zu schweigen. Ein österreichischer Chronist des ausgehenden 14. Jahrhunderts aus dem Kreis um Herzog Albrecht III. – es handelt sich wohl um Gregor Hagen – „bringt die Entstehung Österreichs mit der jüdischen Geschichte des Alten Testamentes“175 in unmittelbare Verbindung. Bei der Beurteilung dieser erstaunlichen Nähe der frühen österreichischen Historiographie und des österreichischen Herrschaftssystems, das ja in Hagens Geschichtswerk seinen Niederschlag findet, zum Alten Testament kommt es nicht auf den Wahrheitsgehalt dieser Verbundenheit an, sondern darauf, dass mittelalterliche Chronisten wie Gregor Hagen ihre Frühgeschichte mit dem Alten Testament beginnen, nicht jedoch mit der uns heute bekannten antiken Geschichte der Ägypter, Mesopotamier, Griechen und Römer. Die auf Hagen folgende „Österreichische Chronik“ des Thomas Ebendorfer (deren Originalhandschrift um 1450 herum nicht mehr erhalten ist) „enthält die Darstellung der heidnischen Vorzeit“ in einer recht nebulosen Form. Die „Zeit von den christlichen Anfängen bis zu den Habsburgern“176 ist dagegen schon plastischer und greifbarer. Die klassische Antike war für ihn jedoch noch ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln und ihm erstaunlicherweise völlig unbekannt! Daraus kann man folgern, dass die klassische Antike selbst in Österreichs Spätmittelalter noch weit davon entfernt war, ein prägender Faktor von Herrschaft und Kultur zu sein.
Die klassische Antike wird in Europa angeblich schon im 16. Jahrhundert wiederentdeckt, aber erst seit dem 18. Jahrhundert wandten sich dann auch nördlich der Alpen breitere Kreise der Intelligenz und des Bürgertums der Antike zu. Man fragt sich aber, warum es immerhin zwei Jahrhunderte gedauert hat, bis man sich in Europa wirklich gezielt der Erforschung der Antike zuwandte. Von einer ernst zu nehmenden Entdeckung der Antike im 16. Jahrhundert kann also nicht die Rede sein. Denn beim europäischen Hochadel bestand noch in der frühen Neuzeit die Tendenz, die Ahnen möglichst auf Adam und Eva zurückzuführen. Die bürgerlichen Wappengraveure passten sich nach wie vor dieser Neigung an. Noch im „Wappenbüchlein“ des Nürnberger Graveurs Johann Siebmacher177 von 1596 finden sich bei den ersten Wappen nicht Ägypter, Griechen oder Römer, sondern neun jüdisch-alttestamentarische. Sie sind betitelt als „Der ersten Welt; Deß Adams; Deß Noha178“, dann folgen „Die drey guten Juden Fürst Josua, König David, Judas Maccabeus“ und „Die Drey guten Jüdin[nen] Hester179, Judith, Jael.“ Noch vor den drei guten Christen (Carolus Magnus, König Artus, Herzog Gottfried von Bulion [Bouillon]) und Christinnen (Kaiserin Helena, Brigitta von Schweden, Elsbeta [Elisabeth von Thüringen]) kommen die jeweils drei Wappen der „Drey guten Heyden“ (Hector von Troja, Alexander der Große, Julius Caesar) und der „Drey guten Heydin[nen] (Lucretia, Veturia, Virginia). Nach den Wappen der guten Christen und Christinnen kommen weitere drei Wappen, welche im weiteren Sinne nicht der klassischen Antike, sondern dem Neuen Testament angehören, nämlich „Die Heiligen Drey König“ Caspar, Balthasar, Melchior“. Von den 24 Wappen des „Wappenbüchleins“ kann man also insgesamt 18 der jüdisch-christlichen Welt zuordnen. Die 6 ‘heidnischen’ Wappen geben zudem nicht die reale, sondern – vor allem bei den Frauen – die mythische Sicht der Antike wieder. Man könnte somit glauben, dass selbst in einer so weltoffenen Stadt wie Nürnberg die Renaissance mit der Wiederentdeckung der Antike völlig unbekannt war.
Wenn man jedoch über den europäisch-christlichen Gartenzaun hinauszublicken wagt, dann stellt man mit Erstaunen fest, dass die islamischen Autoren, auch diejenigen in Al Andalus, der römischen und vor allem der griechischen Antike näher stehen als die christlichen von West- und Mitteleuropa. Nicht nur die jüdisch-islamischen Ärzte wie z.B. Avicenna180 und Maimonides181 bauen nach herrschender Lehre auf Hippocrates, Galen, Plato und vor allem auf dem griechischen Philosophen Aristoteles auf. Die iberischen Juden und Muslime betrachten sich, worauf der Arabist aus Sevilla, Emilio Gonzales Ferrín, immer wieder hinweist, als die wahren Erben der Antike und des Römischen Reiches. Der geistig-kulturelle Mittelpunkt dieses Reiches, der nicht zuletzt durch die Präsenz der Juden geprägt war, lag bis weit in die römische Kaiserzeit hinein nicht in Rom, sondern in der ägyptischen Weltstadt Alexandria, welche vor allem von der Kultur der Griechen und Juden geprägt war. Hier wirkten nicht nur die großen Theologen, Philosophen und Ärzte, sondern auch bedeutende Naturwissenschaftler und Techniker. Nicht nur in Alexandria, sondern auch im südspanischen Andalusien wurden die Errungenschaften der materiellen Kultur der Römer, z.B. die Wasserleitungen und das Kanalisationssystem, übernommen und vielfach sogar weiter ausgebaut.
Recht abenteuerlich erscheint das, was wir von Aristoteles aus islamischen Quellen (sie weichen nicht selten von christlichen Quellen ab) wissen.182 Es gibt zu ihm eine arabische Quelle, nämlich Abd al-Latif al Bagdadi (11621231), der im Zusammenhang mit der sog. Pompejussäule in Alexandria über den Philosophen Aristoteles berichtet. Ich zitiere diese wichtige Stelle aus Strohmaier:
„Ich bin der Meinung, daß dies die Säulenhalle ist, in der Aristoteles und nach ihm seine Schüler lehrten, und daß es das Haus der Wissenschaft war, das Alexander errichtete, als er seine Stadt erbaute, und in ihm war die Bibliothek, die Amr Ibn al-As mit Erlaubnis Umars verbrennen ließ.“183
Für Bagdadi ist also Aristoteles, der Lehrer von König Alexander dem Großen, ein Bewohner der Weltstadt Alexandria. Darüber dass Aristoteles ein Grieche sein soll, weiß er aber nichts zu berichten. Das im wesentlichen im 19. Jahrhundert entstandene Bild der Antike, welches das jüdischchristliche Modell ablöste, weist nicht wenige „logische und faktische Widersprüchlichkeiten“ wie auch offensichtliche Unstimmigkeiten auf, auf welche nicht zuletzt Gunnar Heinsohn, Professor an der Universität Bremen, mehrfach hingewiesen hat.184 Diese Unstimmigkeiten wirken sich auch auf die antike und mittelalterliche Chronologie aus. So gibt es z.B. СКАЧАТЬ