Название: Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas
Автор: Wilhelm Kaltenstadler
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783957440730
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“Somit vollbrachte er bisweilen wahre Rettungstaten, da von einigen jener Werke (Handschriften) jedes Manuskript vor seiner Kopie verloren ging.”208 Das Verlieren eines uralten Manuskriptes wäre heute keine Rettungstat.
Wie zweifelhaft diese Entdeckungen in deutschen Klöstern waren, zeigt ein Bericht aus dem Werk des Byzantinisten Herbert Hunger über die Entdeckung der kleinen Schriften von Tacitus:
„Auch nach seiner Rückkehr leitete Poggio209 von Rom aus die Suche nach neuen Kodizes. In seinen Diensten stand ein ungenannter Mönch aus Hersfeld, der 1425 mit einer Liste von Desiderata aus Rom heimkehrte. Durch ihn erfuhr Poggio u.a. von der Existenz dreier unbekannter Schriften des Tacitus im Kloster Hersfeld, der Germania, dem Agricola und dem Dialogus über den Verfall der Rhetorik. Erst kurz vor seinem Tode glückte es, der mit allen Mitteln verfolgten Kodizes habhaft zu werden. Einer der Bücheragenten Nikolaus V., Alberto Enoch d’ Ascoli (gest. 1457), scheint das Manuskript 1455 von einer Bibliotheksreise, die ihn bis nach Skandinavien führte, nach Italien gebracht zu haben. Als erster verwertete Enea Silvio Piccolomini Nachrichten aus der Germania und verglich das moderne mit dem alten Deutschland zugunsten der (damaligen) Gegenwart und der humanistischen Bildung. Dadurch wurden die deutschen Humanisten auf den Schatz aufmerksam, der ihnen entgangen war, und nachdem Leo X. (Papst von 1475-1521) Tacitus hatte drucken lassen, wurde die Germania zur bevorzugten Quelle über die deutsche Vergangenheit.“210
Neben Poggio und seinen Helfern spielte auch der rombegeisterte Dichter Petrarca, der von 1304 bis 1374 gelebt haben soll, eine bis heute wenig durchschaute Rolle. Chlodowski bezeichnet ihn emphatisch als den Mann, welcher der erste gewesen sein soll, der „could understand and bring into light the ancient elegance of the style that had been forlorn and forgotten before“211. Bei seiner Ankunft in Rom findet der Dichter nicht die großen Gebäude und Monumente der römischen Antike, die er sich in seinen Träumen erhofft hatte. Die folgenden Zeilen von Petrarca, aus denen seine ganze Enttäuschung spricht, lassen den Zustand von Rom in der Spätantike und Frührenaissance in einem äußerst realistischen Licht erscheinen. Dieser Bericht von Petrarca über die ‘Größe Roms’ ist so bezeichnend, dass ich ihn in voller Länge in deutscher Übersetzung wiedergeben will:
„Wo sind die Thermen von Diokletian und Caracalla? Wo ist das Timbrium von Marius, das Septizonium und die Thermen von Severus? Wo ist das Forum von Augustus und der Tempel des Rachegottes Mars? Wo sind die heiligen Plätze von Jupiter, dem Donnerträger, auf dem Capitol und von Apollo auf dem Palatin? Wo ist der Porticus von Apollo und die Basilica von Caius und Lucius, wo ist der Porticus von Libya und das Theater des Marcellus? Wo ist der Tempel von Hercules und den Musen, erbaut von Marius Philippus, und der Tempel der Diana, erbaut von Lucius Cornifacius? Wo ist der Tempel der artes liberales von Avinius Pollio, wo ist das Theater von Balbus, das Amphitheater von Statilius Taurus? Wo sind die zahlreichen Bauten, die Agrippa errichtete, von welchen nur das Pantheon übrig bleibt? Wo sind die prächtigen Paläste der Kaiser? Man findet alles in den Büchern; aber wenn man versucht sie in der Stadt zu finden, so zeigt sich, dass sie entweder verschwunden sind oder dass nur magere Spuren übrig geblieben sind.“212
Bei diesem ausführlichen Petrarca-Bericht über die vermeintlichen bzw. realen Kulturstätten des antiken Rom fällt auf, dass das heute wohl bekannteste und neben dem antiken Forum am meisten besuchte Gebäude, das Colloseum, nicht erwähnt wird. Doch störte das Petrarca keineswegs bei seinen weiteren Aktivitäten bei der Suche nach den Relikten des alten Rom.213
Nachdem Petrarca einige Tränen vergossen hatte, machte er sich gleich an die Arbeit, suchte nach Statuen, sammelte römische Münzen und versuchte die Topographie von Rom zu rekonstruieren. Sein größter Eifer galt aber der Suche nach Werken der ‘antiken’ Autoren. Dabei war er nicht besonders kritisch, was das Alter derselben betraf. Schließlich konnte er es sich leisten, eine Werkstatt mit Schreibern und Sekretärin zu gründen. Immer wieder bekniete er Freunde und Bekannte, dass sie für ihn alte Bücher und Handschriften beschaffen sollten. Wertvolle Funde bezahlte er fürstlich. Und diese landeten aus allen Himmelsrichtungen in seinem Büro, darunter auch Reden und Briefe von Cicero, von welchen fast eineinhalb Jahrtausende niemand etwas gewusst hatte. Ciceros Briefe entdeckte Petrarca angeblich in der Kapitelbibliothek von Verona, wo seltsamerweise zuvor niemand von deren Vorhandensein wusste.
Wie bei vielen anderen spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Bücherfunden durch Humanisten „the original was soon lost by Petrarch, and he demonstrated a copy instead.“214 Es gibt noch andere Merkwürdigkeiten bei Petrarca wie z.B. den Brief an den römischen Geschichtsschreiber Titus Livius215, der nach konventioneller Geschichtsauffassung als Ausgeburt seiner dichterischen Phantasie betrachtet wird.
Ein unbefangener Betrachter, der nicht mit althistorischer Fachblindheit geschlagen ist, kann bei der Lektüre dieser abenteuerlichen Entdeckungsgeschichten, welche vor allem die römische Antike betreffen, leicht den Eindruck gewinnen, dass es bei dieser Entdeckung der antiken Schriften zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Es ist wohl nicht auszuschließen, dass man das, was man nicht finden konnte, erfunden haben könnte.
Dieser Verdacht gilt nicht nur für die Germania des Tacitus, ist jedoch hier besonders angebracht. Viele Aussagen dieser Schrift von Tacitus passen überhaupt nicht zu Methode und Stil von Tacitus und seinem historiographischen Konzept sine ira et studio („ohne Zorn und Leidenschaft“). Denn die Germanen sind hier im Positiven wie im Negativen arg drastisch dargestellt. Diese Schilderung der Germanen passt viel eher in das Konzept der römischen Kurie und des italienischen Humanismus, die Vorfahren der Deutschen – im Gegensatz zu denen der Italiener – recht barbarisch erscheinen zu lassen. Es ist darum der in Deutschland vorherrschenden Ideologie, welche sich primär von der Germania des Tacitus ableitet, von einem 2000 Jahre alten Deutschland zu sprechen, mit äußerster Skepsis zu begegnen. Von einem einheitlichen Volk der Germanen und auch von einem deutschen Freiheitskampf unter Hermann dem Cherusker gegen die römische Besatzungsmacht kann keine Rede sein. In dem feucht moorigen „Waldland mit barbarisch wilden Bewohnern“ gab es „nur Häuptlinge, Clanchefs und deren Gefolgschaften“.216 Erschwerend kommt in der Frage der Überlieferung der Germania noch hinzu, dass die mit Hilfe des ungenannten und unbekannten Hersfelder Mönches entdeckte mittelalterliche Ab- bzw. Urschrift dieses Werkes nicht mehr auffindbar ist und dass auch andere sich auf die Antike beziehenden mittelalterlichen Handschriften im Zeitalter des Humanismus vernichtet worden sind, angeblich wegen des schlechten Erhaltungszustandes.
Wenn man bedenkt, wie groß der Prozentsatz der gefälschten und manipulierten mittelalterlichen Urkunden und sonstigen Quellen ist, was übrigens auch von den konventionellen Mediävisten anerkannt ist, dann ist wohl nicht auszuschließen, dass manche antike Handschriften gar nicht aus der Antike stammen, sondern Spezialanfertigungen des Mittelalters sind. Zhabinsky bringt eine Menge von Argumenten vor, welche bezeugen, „that all ‘ancient’ manuscripts are literary works of the 15th and 16th centuries and that there never was in reality an ‘ancient’ Rome and Greece as modern historical science teaches us.”217 Selbst wenn man diese Auffassung von Zhabinsky, die im Grunde Davidson schon vorher geäußert hat, nicht teilt, führen die Forschungen zur römischen Antike zunehmend zu der Erkenntnis, dass das uns überlieferte Bild vom klassischen Rom verzerrt ist und in vielen Punkten nicht mehr der Wirklichkeit entspricht.
Fälschungen und Erfindungen von antiken Handschriften bzw. deren Abschriften in der Zeit der Renaissance konnten lange nicht mit hundertprozentiger Sicherheit im Sinne eines juristisch tragfähigen Beweises nachgewiesen werden. Solche Fälschungen im literarischen Bereich sind allerdings sehr naheliegend. Denn es ist inzwischen immer wahrscheinlicher, dass selbst renommierte Künstler der Renaissance sich als Erfinder und Fälscher von antiken Kunstwerken betätigten.
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