Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas. Wilhelm Kaltenstadler
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Название: Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas

Автор: Wilhelm Kaltenstadler

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Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783957440730

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СКАЧАТЬ in Athen, welcher in der Mitte des 15. Jahrhunderts eingerichtet worden sein soll, ging bezeichnenderweise vollständig verloren und wurde nie mehr gesichtet.229

      Hier stellt sich die Frage: Kann man das angebliche Schweigen der Quellen so interpretieren wie im 19. Jahrhundert der bayerische Fallmerayer, der diese Tatsache damit erklärte, dass die Awaro-Slawen die gesamte Bevölkerung des alten Griechenland niedergemetzelt hätten? Seit dem 7. Jahrhundert A.D. findet man bei den byzantinischen Schriftstellern viel häufiger Namen italienischer als griechischer Städte. Nirgendwo ist jedoch überliefert, dass Athen von Feinden angegriffen oder zerstört worden sei. Nicht einmal die berühmten Monumente der Stadt werden bei dem Schriftsteller Sinesius erwähnt. Viele antike Tempel sollen im Mittelalter in christliche Kirchen umgewandelt worden sein. Es lassen sich auch keine Schulen und Bibliotheken im Mittelalter nachweisen. Höchst glaubwürdig ist die Enttäuschung von Michael Choniates aus Konstantinopel, welcher 1174 zum Bischof von Athen ernannt worden war. Er soll anlässlich seiner ersten Reise nach Athen statt glänzender Marmorbauten nur „zerfallene Mauern und hüttengleiche Häuser zu seiten armseliger Gassen“ zu Gesicht bekommen haben. Er gewann den Eindruck, dass die Bewohner des 12. Jahrhunderts wie „auf Schutthaufen“ hausten.230 Es lebten in Griechenland und auch in Athen fast keine Griechen. Noch im 19. Jahrhundert bezeichneten sich die Bewohner von Griechenland und der griechischen Inseln als Pωμαιοί, als Römer, und wurden auch von den Türken so genannt.231 Nicht einmal die Einwohner Athens sprachen mehrheitlich Griechisch. Die griechische Sprache wurde erst wieder seit der Renaissance, nicht zuletzt auch auf die Initiative des Westens hin, die offizielle Sprache der in Griechenland lebenden Menschen. Voll durchgesetzt hat sich die griechische Sprache in Griechenland aber erst nach der Loslösung vom Osmanischen Reich. Und auch erst dann wurden aus den „Römern“ wieder „Hellenen“ (Έλλενες). Zur Bildung der griechischen Nation und zur Etablierung einer einheitlichen neugriechischen Sprache in Griechenland haben, was heute kaum noch jemand weiß, auch das wittelsbachische Königshaus und das Königreich Bayern einen bedeutenden Beitrag geleistet. Selbst die modernen Olympischen Spiele von 1896 in Athen sind ohne bayerische Initiative und Kapital nicht denkbar.232 Die Erinnerung an die antiken Olympischen Spiele war im modernen Griechenland komplett verloren gegangen.

      Das mittelalterliche Griechenland ist im Grunde, ethnisch betrachtet, kein griechisches Land, es war überwiegend von Slawen bewohnt. Slawisch sind auch die Namen fast aller Orte und Siedlungen gewesen. Davidson schließt nicht aus, dass „slawische Kulturen Träger dieses Griechentums sein könnten“.233

      Erst seit dem 16. und 17. Jahrhundert A.D. tauchen allmählich wieder griechische Namen in Griechenland auf. Höchst bezeichnend ist die wenigen Historikern bekannte Tatsache, dass Griechenland für das griechisch geprägte Byzantinische Reich234 im Grunde lange Zeit ein Fremdkörper gewesen war und im 8. Jahrhundert u. Z. wie ein feindliches Land erobert werden musste. Im 8. Jahrhundert diente Griechenland sogar nachweislich als Exil für politische Kriminelle. Erst seit dem 15. Jahrhundert taucht Griechenland wieder aus dem angeblichen Dunkel der Vergangenheit auf, und vor allem Athen gewinnt für die Handelsmacht Venedig strategische Bedeutung. Nicht einmal die konservativsten Historiker können leugnen, dass das Bild des klassischen Hellas erst im Rahmen des modernen humanistischen Bildungsideals (Griechisch und Latein als Hauptsprachen an den Gymnasien) entscheidend durch die klassische Restauration des 19. und 20. Jahrhundert geprägt worden ist. Wir dürfen heute davon ausgehen, dass im Rahmen dieser euphorischen Restaurationsideologie manche Schwachstellen der antiken Überlieferung übersehen und auch literarische und sachliche Quellen gefälscht worden sind. Für diese Behauptung liefert Zhabinsky235 gute Argumente, wie sie auch Davidson, Landau und andere Autoren der Hamburger Schule schon vor Jahren gebracht haben. Zhabinsky stellt sogar die Behauptung auf, dass seit dem 18. Jahrhundert A.D. archäologische Expeditionen „purposefully destroyed all the discoveries that contradicted the established views on history. In the best case, they declared them as erroneous.”236

      Es sind also auch für das antike Griechenland gewichtige Bedenken anzumelden. Auch hier bestimmt nicht die historische Realität die öffentliche Meinung, sondern die Forscher suchen nach Dokumenten und Zeugnissen, welche in das Bild der öffentlichen Meinung passen. In diesem Sinne empfiehlt Nicolò Macchiavelli, ein typischer Vertreter der Renaissance, den Fürsten, sich die Geschichte als ein Instrument nutzbar zu machen, mit welchem man die Untergebenen wirkungsvoll regieren kann. Das bedeutet ja wohl, dass sich die Herrschenden genauso wenig an die Objektivität der historischen Aussage halten müssen wie an die Regeln der Moral.237 Für die Machtpolitik der Renaissance wie der sog. westlichen Großmächte gilt: Wenn man die Dokumente, welche die Nachfrager wie Politiker, Medien, wissenschaftliche Institute und sonstige Machtträger haben wollen, nicht findet, dann muss man etwas nachhelfen. Wer sucht, der findet. Wer für das Finden der richtigen Dokumente und Daten gut bezahlt wird, findet noch mehr. Die Brotgeber von Macchiavelli, die Medici in Florenz, scheinen kein ausgeprägtes Wissen von der Antike gehabt zu haben. Udo Kultermann, der die Geschäftskontrakte der Medici studierte, fand nämlich heraus, dass „die Medici über Vertreter in Brügge Teppiche aus Flandern hatten kommen lassen, durch die sie mit Szenen der antiken Geschichte vertraut wurden“.238 Aussagen dieser Art, welche sich übrigens auch bei Fomenko und anderen russischen Gelehrten finden, werfen einen Schatten auf die landläufige These, dass die Renaissance tatsächlich „die Wiederentdeckung der heidnischen Kultur der Antike nach dem langen Schlaf des Mittelalters“ auf allen Lebensgebieten war. Diese Frage zu stellen, ist nicht nur im Fall des Weiterlebens der römischen, sondern auch der griechischen Antike angebracht.

      Eine zentrale Frage der altgriechischen Geschichte ist in diesem Sinne die attische Demokratie, welche ja einen wichtigen Bestandteil der europäischen Ideologie der Renaissance und des Humanismus wie auch des Neuhumanismus in der politischen Gegenwart bildet.

      Besonders relevant erscheint mir dazu eine Stelle aus den Historien von Herodot über den persischen, durch Kleinasien führenden Feldzug des Xerxes gegen 480 v. u. Z. gegen Festlandgriechenland, vor allem gegen das ‘aufmüpfige’ Athen. Neuere Forschungen machen deutlich, dass der „Despot Xerxes“ ein Produkt der altgriechischen und modernen amtlichen europäischen Historiographie ist.239

      In diesem hoch brisanten Bericht Herodots wird uns glaubhaft versichert, dass der persische Feldherr Mardonios, Schwiegersohn des persischen Königs Dareios, anlässlich dieses Feldzuges im jonischen Kleinasien wohl im Jahre 592 vor u. Z. „alle [griechischen] Tyrannen in den jonischen Städten“ absetzte und die Demokratie wieder einrichtete. Anschließend fuhr er weiter zum Hellespont.240 Im Zusammenhang mit dieser Maßnahme des Mardonios verweist Herodot 6,43 auf „jene Hellenen, die nicht glauben wollen, dass Otanes damals den persischen Sieben die Einführung der Demokratie in Persien vorgeschlagen und empfohlen hat.“ Otanes, Utâna, war einer von den sieben adeligen persischen Verschwörern, welche den Usurpator Gaumâta getötet und Dareios I., dem Großen, geholfen hatten, den Thron zu besteigen. Die Einführung einer Demokratie im Persischen Reich ist wohl letztlich daran gescheitert, dass sich die Demokratie für ein großes Imperium nicht so eignet wie für einen relativ kleinen griechischen Stadtstaat. Wenn es auch im alten Persien keine formelle Demokratie gab, so gab es doch wohl schon seit elamischer241 Zeit Prinzipien, wie man sie in der Antike nirgendwo anders findet. König Kyros gestattete nicht nur „den in Babylon versklavten Juden die Rückkehr nach Jerusalem, damit sie ihren Tempel wieder aufbauen konnten“, sondern schuf auch „das erste religiös und kulturell tolerante Reich der Welt“, in welchem immerhin 23 verschiedene Völker unter königlicher Zentralregierung friedlich zusammenlebten. Die humanen und politischen Errungenschaften, welche die europäische Forschung seit dem 19. Jahrhundert den alten Griechen und Römern zugeschrieben hatten, gab es im alten Persien also schon weit früher.

      Um die attische Demokratie in ihrer wahren Qualität zu beurteilen, ist zudem zu bedenken, dass sie im wesentlichen auf eine kurze Zeitspanne im 5. Jahrhundert vor u. Z. beschränkt und fast ausschließlich im Peloponnesischen Krieg von Thukydides überliefert ist. Bei der Beurteilung der griechischen СКАЧАТЬ