Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas. Wilhelm Kaltenstadler
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Название: Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas

Автор: Wilhelm Kaltenstadler

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Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783957440730

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СКАЧАТЬ Hexen etc. und auch vor Zwangsmissionierung (z.B. in Südamerika), Raub, Folter und Verbrennung nicht zurückschreckten. Christliche Intoleranz nahm vor allem seit dem späten Mittelalter immer skurrilere Formen an, nicht zuletzt gegen die Juden. Der historischen Wahrheit zuliebe muss festgehalten werden, dass auch innerhalb des Christentums die Aggressionen der christlichen Staaten massiv zunahmen und die Kriege, welche christliche Staaten, nicht zuletzt seit der Reformation, gegeneinander führten, immer grausamer wurden. Vom griechischen Logos war in der politischen und militärischen Praxis der christlichen europäischen Staaten keine Rede, wohl nicht einmal in den theologischen Vorlesungen der immer zahlreicher werdenden europäischen Universitäten. Toleranz galt den Gläubigen der christlichen Konfessionen sogar als absolut negativ und verwerflich. „Alle Formen von Toleranz und Kompromissbereitschaft galten als Gefährdung des eigenen Seelenheils und als Verrat an der für allein richtig eingestuften Wahrheit. Diese Überzeugung erklärt den oft unbarmherzigen Umgang mit Andersglaubenden ebenso wie die erstaunliche Leidensbereitschaft einzelner oder auch ganzer Gruppen. Dass Pastoren mit ihren Familien oft mehrere Male vertrieben wurden, war keine Seltenheit.“ 168 Christliche Intoleranz gab es nicht nur gegen die Mitglieder anderer christlicher Konfessionen, sondern auch gegenüber Juden und Moslems. Auch die Politik christlicher Staaten gegen orthodoxe und muslimische Staaten war in der Regel nicht von christlichen Grundsätzen getragen.

      In der Balkanpolitik der Habsburger Monarchie basieren die politischen Ziele nicht unbedingt auf christlichem Gedankengut. Aus der Sicht der religiösen Toleranz darf man dabei nicht verkennen, dass die christliche Gegenoffensive auf dem Balkan unter Habsburgs Führung nach der Niederlage der Osmanen vor Wien (1683) nicht Ausdruck einer wahren christlichen Gesinnung, sondern in erster Linie eine Gelegenheit zu einer Expansion der habsburgischen Macht nach dem Osten und Südosten bis in das 19. Jahrhundert hinein war. In diesem Sinne war die habsburgische Balkanpolitik den nichtchristlichen Religionen gegenüber in devotem Opportunismus auf keinen Fall toleranter als die osmanische, wie auch aus dem Roman „Die Brücke über die Drina“ von Ivo Andric hervorgeht.

      Wenn man die Zeichen der Zeit richtig zu deuten weiß, stellt man fest, dass in den letzten Jahrzehnten im Islam und weltweit eine Radikalisierung und Fundamentalisierung – welche an die Konfessionspolitik der christlichen Staaten in der Frühen Neuzeit erinnert – stattgefunden haben. Diese muslimische Radikalisierung und Fundamentalisierung richten sich nicht nur gegen ‘christliche’ Staaten und Christen in den islamischen Staaten, z.B. im Irak und Ägypten, sondern auch gegen andere muslimische Gemeinschaften. Es sei nur an die massiven Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten im Irak erinnert.

      Die religiöse Toleranz der Moslems den Christen gegenüber ist in den letzten Jahrzehnten erheblich zurückgegangen. Selbst in der Türkei werden trotz gegenteiliger Behauptungen immer noch Christen wegen ihres Glaubens ausgegrenzt und schikaniert. Vor allem die nicht als Minderheit anerkannten aramäischen Christen haben in der Türkei einen schweren Stand. Das Kloster Mor Gabriel, „geistliches Zentrum der [aramäischen] Christengemeinschaft“, wird seit Jahren mit einer Prozessflut überzogen. Mit dieser „Einschüchterungskampagne“ soll erreicht werden, dass die „letzten Aramäer“ das laut Verfassung in Religionsfragen angeblich tolerante Land verlassen. Während in den 60er Jahren noch 200.000 aramäische Christen in der Türkei lebten, sind es heute „vielleicht 2000“. Die europäischen Bürokraten belieben solche Menschenrechtsverletzungen in befreundeten Staaten gerne zu übersehen, auch die europäische Presse zeigt wenig Interesse am Schicksal der aramäischen Christen in islamischen Staaten. Auch die deutsche Politik setzt sich nicht für mehr Toleranz gegenüber den aramäischen Christen in den islamischen Staaten ein, sondern fördert deren Auswanderung in die EU-Staaten. Man bevorzugt also in falsch verstandener Toleranz den Weg des geringeren Widerstands. Von einer wirklichen Religionsfreiheit ist die Türkei im Vergleich zu den sog. westlichen Staaten noch weit entfernt.169 Es geht also beim Papstbesuch und überhaupt bei der Kooperation von Christen und Moslems um weit mehr als nur darum, „die Missverständnisse zwischen Muslimen und Christen auszuräumen“, um einen Ausspruch des türkischen Außenministers Abdullah Gül vom November 2006 zitieren.

      Im Mai 2008 beklagte Ishak Alaton, Chef der Alarko-Holding, einer der bekanntesten Geschäftsleute in der Türkei, in einem offenen Brief an die türkische Wirtschaftszeitung ‘Refrans’ „eine wachsende ‘Paranoia’ in der Türkei gegenüber den Minderheiten.“ Dabei übte er auch Kritik an einem Verfassungsgerichtsurteil, „mit dem der Immobilienverkauf an Ausländer gestoppt worden war.“ Diese „ultranationalistischen Entwicklungen“ führen nach Auffassung von Alaton „zu Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit“. Dieser Nationalismus richte sich gegen alle, „die nicht sunnitische Muslime sind“. Von einem speziellen Antisemitismus in der Türkei nahm Alaton die Regierung Erdogan und die Regierungspartei AKP jedoch „ausdrücklich“ aus. Träger dieser nationalistischen Fremdenfeindlichkeit seien „vielmehr die Bürokratie und die Medien“, welche mit dem Appell an niedere Instinkte Geschäfte machen.170

      Erschwerend für die christlich-islamischen Beziehungen, auch in der Türkei, kommt in der Gegenwart noch hinzu, dass die von Christen und Moslems praktizierten Wertvorstellungen, auch für die Türkei zutreffend, zunehmend auseinanderdriften. In den christlichen Staaten von Europa und USA geht der Stellenwert der Familie immer mehr zurück. Im Islam ist die Frau das Symbol für den Zusammenhalt der Familie und zuständig für die Aufzucht, Erziehung und Sozialisation der Kinder. Für orthodoxe Moslems ist die von Gott geschaffene Familie nicht vereinbar mit der an westlichen Vorstellungen orientierten Emanzipation. Gläubige Moslems vermissen im westlichen System den Gemeinschafts- und Familienbezug, der für den Islam unverzichtbar ist. Moslems können mit dem westlichen Geist des Individualismus, einem Produkt der europäischen Aufklärung, nichts anfangen. Es fehlen ihnen zum Verständnis der Emanzipation auch die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen. Denn die geistes- und religionsgeschichtliche Entwicklung im Islam ist völlig anders verlaufen.

      Wie für die orthodoxen Juden sind auch die im Westen immer mehr um sich greifenden Formen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, Rumpffamilien allein erziehender Mütter oder Väter und andere vergleichbare reduzierte Lebensformen für den Moslem nicht tragbar. Anders als in den westlichen Staaten, wo die „Würde des Menschen“ zwar noch in den Verfassungen steht, aber nicht wirklich die Gesellschaft prägt, wird im Islam die menschliche Würde, z.B. auch in Gestalt der Gastfreundschaft, respektiert, vorausgesetzt dass man kein Jude ist! Die Gastfreundschaft ist in den islamischen Staaten noch immer sehr ausgeprägt. Das wird auch durch das Islam-Handbuch von Dumont bestätigt: „Einen reisenden Fremdling als Gast aufzunehmen, galt als vornehme Pflicht. Für ihn auch die letzten Nahrungsreserven zu mobilisieren und eventuell das letzte Kamel zu schlachten galt als selbstverständliche Norm.“171 Der Koran verlangt nicht nur wie das Alte Testament eine Respektierung von Witwen und Waisen, sondern auch ein großzügiges Verhalten den Reisenden und Fremden gegenüber. Das hat dann dazu geführt, „dass sich in den islamischen Gesellschaften zahlreiche Einrichtungen entwickelt haben, die zur Unterstützung und Versorgung von Reisenden dienen“. Es wurden sogar „Fromme Stiftungen“ ausschließlich für diesen Zweck gegründet. In diese Stiftungen flossen nicht primär Geld, sondern u.a. „die Erträge aus Landgütern und Gärten, aus der Verpachtung von Ladengeschäften und Mühlen“.172 Allerdings wollen auch die islamischen Gastgeber vom Gast respektiert werden. Muslime achten weitaus mehr als die Christen auf ihre Ehre. Sie steht im islamischen Wertekatalog ganz weit vorne.

      Die eigene Ehre, welche einst auch in der vorindustriellen feudalistischen Gesellschaft, z.B. im Zunftwesen, der westeuropäischen Staaten eine leitende gesellschaftliche Idee war, hat in den meisten islamischen Staaten oft einen höheren Stellenwert als das fremde Leben. Für viele Moslems wäre ein Leben in Schande schlimmer als der Tod. Dieser ungeschriebene Ehrenkodex wirkt natürlich auch massiv in das Privatleben der Menschen, nicht zuletzt der Mädchen und Frauen, hinein. In diesem Sinne verletzt eine Frau, die sexuelle Kontakte vor der Ehe pflegt, nicht nur ihre eigene, sondern auch die Ehre ihrer Familie und sogar der sozialen Gruppe, der sie angehört. Liebe und Ehe sind bei vielen Muslimen noch immer keine Privatsache. Junge Leute wohnen vor der Eheschließung nicht zusammen und СКАЧАТЬ