Название: Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas
Автор: Wilhelm Kaltenstadler
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783957440730
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Dieser Konflikt zwischen dem Christen Willehalm und dem Muslim Tybalt, dem ersten Ehemann von Arabel, spricht nicht für ein harmonisches Zusammenleben von Christen und Muslimen im frühen Mittelalter. Minnefehde und Glaubenskrieg sind in dieser Auseinandersetzung untrennbar miteinander verbunden. Die leider wenig bekannte „Toleranzrede“ der Arabel/Gyburc vor dem imaginären Fürstenrat macht deutlich, dass die Liebesgeschichte von Willehalm und Arabel entweder eine freie Erfindung des Dichters ist oder von ihm in einer sehr idealisierten die Realität überhöhenden Weise wiedergegeben wird. Historisch ist, zumindest nach Auffassung des Germanisten Werner Greub, dass der fränkische Gaufürst Willehalm zwei Schlachten gegen die Muslime in Südfrankreich mit Erfolg geschlagen hat. Ob allerdings die Arabel die oben schon erwähnte Toleranzrede vor einer Schlacht je gehalten hat und ob ihr Appell an die fränkischen Männer, „im Falle eines Sieges über die Heiden diese gnädig zu behandeln, da auch Heiden Geschöpfe Gottes seien“,138 jemals erfolgte, ist höchst unwahrscheinlich. Gerade diese wohl nicht historische Toleranzrede, in welcher eine konvertierte Christin um Schonung für die Muslime bittet, zeigt aber, dass die Idee der religiösen Toleranz im Mittelalter durchaus existierte, aber in der Zeit der „Reconquista“ und der Kreuzzüge, sowohl auf der christlichen als auch islamischen Seite, im Laufe des hohen Mittelalters immer mehr verloren ging.
Aus dieser Sicht der Dinge muss man das Happy End der feindlichen Brüder, des christlichen Parsifal und des muslimischen Feirefiz, in Wolframs Epos „Parsifal“ relativieren. Nachdem Parzival seine letzte Prüfung bestanden hatte und Mitglied der Tafelrunde von König Artus geworden war, wählte er seinen moslemischen Bruder zum Lebensgefährten im Dienste des Grals. Wie Arabel kam auch Feirefiz nicht darum herum, sich dem Christentum zuzuwenden. Verbrüderung und Konversion von Feirefiz gingen also Hand in Hand. In welcher Form diese Verbrüderung erfolgte, geht aus dem Epos von Wolfram von Eschenbach nicht hervor. Es wäre aber denkbar, dass der neue Bund zwischen den beiden Brüdern als Blutsverbrüderung geschlossen worden war. Diese Form des Lebensbundes war als prägendes Element der feudalistischen Clan-Gesellschaft ebenso wie die Blutrache auf dem Balkan und den griechischen Inseln noch bis ins 19. Jahrhundert hinein (in abgelegenen Regionen sogar noch heute) praktiziert worden.139 Blutrache und Blutsbruderschaft sind deutlich erkennbar Ausdruck einer archaischen Gesellschaft, in welcher noch heute auf dem Balkan die Ehre einen sehr hohen Stellenwert genießt.
Wolfram von Eschenbach schildert Feirefiz, den Moslem, als gleich edlen Charakter wie Parzival. „Offenkundig stellt er ihn, den Nichtchristen, ganz bewusst über die Mehrheit der christlichen Ritterschaft“140. Die Wiedervereinigung von Christentum und Islam, welche sich beide auf den Stammvater Abraham141 berufen, wird dann später auf geistig-ideeller Ebene durch den sagenhaften Priester Johannes von Jerusalem vollendet. Wolframs „König der Könige“ vereinigt „in seinem mit dem Paradies vergleichbaren Reich, in dem Christen und Muslime gleichermaßen vertreten sind, sowohl weltliche Macht als auch geistige Autorität und wird damit letztlich zum Symbol für den ‘Weltkönig’.“142 Mir scheint, dass der Dichter in dieser zentralen Botschaft der Parzivalsgeschichte mehr sah als eine zu Herzen gehende „Story“.143 Er hat wohl auch Moslems persönlich kennen gelernt und daran geglaubt, dass die Unterschiede zwischen Christen und Moslems nicht unüberwindlich waren. Diese Geschichte zeigt aber auch, dass in der Zeit des Dichters das alte vorchristliche Weltbild wohl nicht nur die christliche, sondern auch die islamische Kultur geprägt haben muss, so dass dogmatische Differenzen entweder kaum vorhanden waren oder nicht als unüberwindbar betrachtet wurden. Das verdeutlicht ja auch die Geschichte, dass nach dem Eindringen der Araber in Südspanien zu Beginn des 8. Jahrhunderts die Moschee von Granada mit ausdrücklicher Erlaubnis des Sultans 20 Jahre lang von Moslems und Christen als gemeinsames Gotteshaus genutzt wurde und der Sultan, nachdem dieses für beide Konfessionen zu klein geworden war, den (wohl arianischen) Christen reichlich Kapital und Unterstützung für den Bau einer eigenen christlichen Kirche zur Verfügung stellte.144
Die beiden einstmals feindlichen Brüder Parsifal und Feirefiz, die sich zum gemeinsamen Wirken die Hände reichen, verkörpern im Epos von Wolfram von Eschenbach im Grunde nicht nur zwei unterschiedliche Religionen, sondern auch den Okzident und den Orient, also die westliche und die östliche Kultur. Diese Verbrüderung der beiden steht für die mögliche Koexistenz in Toleranz, der Krieg zwischen Willehalm und Tybalt für die Konfrontation zwischen Christentum und Islam. Wolfram schildert in seinen beiden Epen „Willehalm“ und „Parsifal“ beide Wege und steht dem Islam erstaunlich positiv gegenüber. Eine solche Einstellung war wohl im 12. Jahrhundert, als Wolfram seine Epen verfasste, schon damals nicht mehr allgemein üblich.
Es gab also wohl im Hochmittelalter ein religiös-geistiges Klima, welches ein relativ friedliches harmonisches Zusammenleben zwischen Christen, Moslems und Juden – wie am Hofe des staufischen Kaisers Friedrich II. im Königreich Sizilien – möglich gemacht hätte. Die Leitung der katholischen Kirche war allerdings an einer Zusammenarbeit mit den Repräsentanten der Juden und Muslime nicht interessiert. Die Päpste machten den christlichen Herrschern, welche die Kultur der Muslime tolerierten und kriegerische Auseinandersetzungen mit ihnen vermieden, die Hölle weiß. Die freundschaftlichen Beziehungen von Kaiser Friedrich II. zum muslimischen Sultan al-Kamil und seine offen zur Schau getragene Vorliebe für arabisch-orientalische Lebensformen erschienen Papst Gregor IX. (Papst von 1227-1241) als so ungeheuerlich, dass er diesen nicht nur zweimal mit dem Kirchenbann belegte, sondern ihn öffentlich als Antichrist deklarierte.145 Sein Nachfolger Innozenz IV. (Papst 1243-1254) konnte sich rühmen, dass er „den Drachen Friedrich zu Boden streckte“.146 Weder Gregor IX. noch Innozenz IV. orientierte sich an den Prinzipien des Neuen Testamentes.
Es gab Tendenzen religiöser und geistiger Erstarrung nicht nur in der katholischen Kirche, sondern auch bei den Moslems, welche die zarten Ansätze religiöser Toleranz147, wie sie auf der iberisch-sephardischen Halbinsel für einige Jahrhunderte sichtbar geworden waren, wieder zum Ersticken brachten. Wolframs Welt- und Menschenbild war anders als die Machtpolitik des Hohen Mittelalters auch vom Islam geprägt und reichte weit über das katholische Weltbild hinaus.148 Doch diese große Idee des Mittelalters scheiterte vor allem am unseligen Machtstreben des Papsttums und einiger sog. christlicher Mächte, welche das Christentum für ihre Zwecke einspannten und missbrauchten. Der Fanatismus des römischen Papstes scheute nicht einmal davor zurück, ab 1250 alle (wirklichen und vermeintlichen) arabischen Spiele, auch das Schachspiel, zu verbieten. Dieses wohl nie wirklich durchgesetzte Verbot war vielleicht „eine Reaktion auf den Stauferkaiser Friedrich II., der nur zu interessiert war an arabischer Kunst und Wissenschaft.“149
Mit dem Antiislamismus und Antijudaismus nach innen, oft mehr Ideologie als Praxis, korrespondierte die Ablehnung der orthodoxen Christen durch die sog. westlichen Christen nach außen. Diese westliche Antiorthodoxie trieb vor allem während der Kreuzzüge besondere Blüten. So führte der 4. Kreuzzug (1202-1204) unter Leitung des venezianischen Dogen Dandolo zur Errichtung des sog. lateinischen Kaisertums im christlichorthodoxen Konstantinopel. Die Kreuzfahrer plünderten dabei die Stadt, vergewaltigten Frauen und verübten noch weitere Gewalttaten gegenüber den orthodoxen Christen. Die massiven Wirtschaftsinteressen der venezianischen Kaufleute und anderer europäischer Machte genossen höhere Priorität als christliche Ideen.
Eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen stellten die Malteserritter auf Rhodos und Malta dar, welche dort den Glauben der orthodoxen Christen, zumindest nachweisbar seit dem 14. Jahrhundert, tolerierten. Der maltesische Großmeister förderte die religiöse Eigenständigkeit der Orthodoxie sogar, „ohne aber eine gewisse Kontrolle aufzugeben.“ So verwundert es nicht, dass die orthodoxen Griechen „den Malteserorden als Protektor ansahen“. Die Toleranz des Ordens ersteckte sich auf Malta und Rhodos auch auf die Gerichtsgebräuche. Die Kreuzfahrer, welche auf der Insel Zypern Fuß fassten, СКАЧАТЬ