Название: Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas
Автор: Wilhelm Kaltenstadler
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783957440730
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Nicht nur den orthodoxen Christen, sondern auch den Moslems gegenüber verhielten sich die Kreuzritter nicht so, wie man es von Christen hätte erwarten können, welche auszogen, um durch die Kreuzzugsidee (angeblich) Gott zu dienen. Es gab allerdings auf ‘westlicher’ Seite wahrhaft fromme Christen, welche der Idee der Kreuzzüge sehr skeptisch gegenüberstanden. Dazu gehörte Gerhoh von Reichersberg, der Propst des Augustinerchorherrenstifts von Reichersberg am Inn. Er machte aus seiner Auffassung, dass der 2. Kreuzzug (1147-1149) – wie auch alle anderen Kreuzzüge – „von der Habsucht eingegeben“ war153, kein Hehl. Die Pervertierung der Kreuzzugsidee hatte beim 2. Kreuzzug noch lange nicht ihren ‘Höhepunkt’ erreicht.
Mit der aggressiven Politik der europäischen Staaten gegenüber den islamischen Staaten des Vorderen Orients im Rahmen der Kreuzzüge korrespondierte die Politik der spanischen Könige (Kastilien, Aragon etc.) auf der iberischen Halbinsel. Die tieferen Ursachen, die in Spanien zum Rückfall in religiöse Intoleranz gegenüber dem Islam führten, bleiben uns weitestgehend verborgen. Die Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen im Rahmen der Reconquista auf der iberischen Halbinsel war keine Auseinandersetzung zwischen den spanischen Königen und den Arabern, sondern zwischen den spanischen Königen und den nordafrikanischen Stämmen, vor allem den Berbern, wie Peter Altmann in seiner Frankfurter Magisterarbeit nachwies.154
Die Berber155, welche bei der islamischen Eroberung, Erschließung und Beherrschung von Iberien eine große Rolle spielten156, waren in Nordwestafrika, bevor der Islam kam, bis ins 8. Jahrhundert hinein Christen. Noch gibt es in Marokko nicht nur eine jüdische, sondern auch eine christliche Minderheit. Noch heute treten Muslime in Marokko geheim zum Christentum über. Im Gegensatz zum sephardischen Judentum in Marokko wird aber die „unsichtbare Kirche“ nicht offiziell vom Staat anerkannt, sondern nur toleriert.157 Das spricht nicht gerade dafür, dass der Islam wirklich so attraktiv war, wie er selbst von europäischen Universitätswissenschaftlern, nicht zuletzt für den osmanischen Balkan, gerne dargestellt wird.
Angesichts der großen Attraktivität des Islams für viele Christen auf dem Balkan, auf welche der französische Historiker Fernand Braudel158 verweist, wundert man sich über die negative Bewertung des Islam in dem Dialog, den der byzantinische Kaiser Manuel II. Paläologos im Jahre 1391 mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam geführt haben soll. Papst Benedikt XVI. hat diesen christlich-islamischen Dialog in seiner berühmten Regensburger Vorlesung im September 2006 erörtert, dabei aber auch die Einseitigkeit des Standpunktes des orthodoxen byzantinischen Kaisers ziemlich unreflektiert im Raum stehen lassen. Diese Vorlesung des Papstes ist von so zentraler Bedeutung für die künftige Perspektive einer europäischen Kultur, dass die den christlich-islamischen Dialog betreffenden Aussagen hier wörtlich wiedergegeben werden:
„In der von Khoury herausgegebenen siebten Gesprächsrunde159 kommt der Kaiser auf den Dschihad, den Heiligen Krieg160, zu sprechen. Dieser wusste sicher, dass in Sure 2,256 steht: Kein Zwang in Glaubenssachen – es ist eine der frühen Suren aus der Zeit, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war. Aber der Kaiser kannte natürlich auch die im Koran niedergelegten – später entstandenen – Bestimmungen über den heiligen Krieg bei den Moslems. Ohne sich auf Einzelheiten wie die unterschiedliche Behandlung von ‘Schriftbesitzern’ und ‘Ungläubigen’ einzulassen, wendet er sich in erstaunlich schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner. Er sagt: ‘Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.’161 Der Kaiser begründet dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. ‘Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung… Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann’.“162
Mit den Aussagen seiner oben zitierten Regensburger Vorlesung ging es Papst Benedikt XVI. vor allem darum, zu zeigen, dass die christliche Lehre im Einklang stehe mit den Idealen der griechischen Philosophie und dem daraus abgeleiteten Logos, den er – mit deutlicher Anspielung auf die europäische Aufklärung – mit dem Wort „Vernunft“ wiedergibt. Die Aussagen von Kaiser Manuel II. (und die Argumentation von Papst Benedikt XVI.) erweisen sich jedoch als einseitig, wenn man die militante Praxis vor allem der westlichen Christen (Kreuzzüge) verkennt und die nachfolgende Stellungnahme des Moslems Mudarris, des Gesprächspartners von Kaiser Manuel, unbeachtet lässt. Mudarris ist kein Feind des Christentums, er gibt sogar zu, dass „das Gesetz Christi schön und gut und viel besser ist als das alte Gesetz“ [des Alten Testamentes]. Er lässt aber keinen Zweifel daran, „dass mein Gesetz [des Islam] den beiden anderen überlegen ist.“ Das Gesetz des Mahomet (Mohammed) stellt für ihn einen Mittelweg dar, der „realisierbare Vorschriften“ garantiere. Das islamische Gesetz sei „in allen Punkten gemäßigt und schaltet die anderen Gesetze aus“163, mache sie also überflüssig, da es den Gegebenheiten der menschlichen Natur mehr Rechnung trage als die Gesetze des Alten und Neuen Testamentes. Mudarris erläutert diesen islamischen Mittelweg an konkreten Beispielen, z.B. in einer Stellungnahme zur christlichen Feindesliebe.
Im Gegensatz zum Islam verwundert die starke Fundierung des von Kaiser Manuel II. vertretenen Christentums auf den Säulen der antiken griechischhellenistischen Philosophie. Weitgehend unerwähnt bleibt sowohl bei ihm als auch bei Benedikt XVI. die alttestamentarisch-jüdische Basis, ein Sachverhalt, der noch zu hinterfragen wäre, hier jedoch sekundär ist. Besonders hervorhebenswert an der Rede von Papst Benedikt XVI. sind für mich die Einseitigkeit der Betrachtungsweise und die Nichtberücksichtigung byzantinischer (und selbst westlicher) Quellen, welche sich positiv zum Islam äußern. In diesem Zusammenhang hätte nicht unterschlagen werden dürfen, dass es in der byzantinischen Kultur des späten Mittelalters eine „byzantinische Polemik gegen den Islam“164 gegeben hat. Es gibt immerhin 26 islamisch-christliche Kontroversen, wobei es problematisch ist, sich auf die Aussagen einer Kontroverse, nämlich der Kontroverse Nr. 7, isoliert von den anderen 25 Kontroversen zu berufen. Die letzte Kontroverse (Nr. 26) gilt übrigens dem Sakrament der Eucharistie.165
In der 7. Kontroverse stellt also Kaiser Manuel II. der Gewaltbereitschaft des Islam166 stillschweigend die auf der griechisch-hellenistischen Logos-Philosophie beruhende christliche Toleranz gegenüber. Auf der einen Seite also die islamische Gewaltanwendung, auf der anderen Seite die auf der göttlichen Vernunft (Gott als die Inkarnation der Vernunft) aufbauende christliche Lehre. Diese überwiegend philosophische Sicht verkennt aber geradezu paradox die historische Entwicklung von Islam und Christentum und die Dimension der praktischen Toleranz im historischen Ablauf. Unerwähnt bleibt, dass auf der einen Seite die islamischen Eroberer in Iberien und auf dem Balkan die Religionsausübung der Christen im praktischen Leben weitestgehend tolerierten167, doch diese steuerlich stärker belasteten als die Moslems, auf der anderen Seite Papst, Bischöfe und führende Christen СКАЧАТЬ