Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas. Wilhelm Kaltenstadler
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Название: Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas

Автор: Wilhelm Kaltenstadler

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783957440730

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СКАЧАТЬ schützte nicht nur die deutschen Juden, sondern war auch bereit, die in England und Frankreich schlecht behandelten Juden als (steuerpflichtige) Kammerknechte in Deutschland aufzunehmen, und gestattete auch den Angehörigen des niederen Adels, kleinere Gruppen von ausländischen Juden anzusiedeln. Ludwig war in einem Maße Schutzherr der Juden im Reich, dass sogar seine Gemahlin ihm vorwarf, „sich als ein Freund der Juden zu verhalten.“ Noch weiter ging sein Sohn Ludwig, Markgraf von Brandenburg, der in seinem Vater „einen Feind der christlichen Religion“ gesehen haben soll. Kaiser Ludwig, der viele Jahre lang im Machtkampf gegen die Päpste von Avignon einen schweren Stand hatte, machte sich mit seinen judenfreundlichen Maßnahmen nicht nur bei Papst und Kirche, sondern auch beim ‘christlichen’ Volk verhasst und schwächte damit seine Machtbasis.109 Diese gerechte Behandlung der Juden hat sich auch nicht gerade positiv auf die Beurteilung des Kaisers in der (bis heute fortwirkenden) nationalen Geschichtsschreibung ausgewirkt. Für die Päpste von Avignon, welche dem Exkommunizierten die Absolution verweigerten, war er der Drache der Apokalypse, sein plötzlicher Tod bei der Jagd in den Wäldern von Fürstenfeld wurde auch als Gottesgericht gedeutet. Die Geistlichkeit in München verweigerte dem Toten darum auch eine würdige feierliche Bestattung, wie sie einem Kaiser zugestanden hätte. Wir dürfen davon ausgehen, dass sich gewiss noch weitere positive Beispiele bei näherem Nachforschen auf Seiten des deutschen Adels finden ließen. Auch Bürger und Bauern waren nicht immer und überall Feinde der Juden, wie die Beispiele der Rindfleisch- und Armlederbande um 1300 herum verdeutlichen.

      Juden waren in ganz Europa bis weit in die Neuzeit hinein häufig Hof- und Hausärzte höchster Kreise. Es ist nicht zu übersehen, dass trotz der rigiden Bestimmungen des Laterankonzils, der oft judenfeindlichen regionalen Rechtsbücher und des Antijudaismus der Massen die kirchlichen und weltlichen Machthaber mit den Juden vielfach recht eng zusammenarbeiteten und letztere in der Regel unter ihren besonderen Schutz stellten. Diese soziale und wirtschaftliche Symbiose äußert sich unter anderem auch darin, dass betuchte Juden, z.B. jüdische Bankiers, bis weit in die Neuzeit hinein sehr häufig in unmittelbarer Nähe der Domkirchen lebten und unter dem Schutz des Bischofs standen.

      Wenig bekannt und in der europäischen Forschung kaum beachtet ist die erstaunliche Tatsache, dass die Juden mehr als in allen anderen europäischen Staaten in Italien „am relativ ruhigsten und sichersten leben konnten.“ Natürlich gab es auch in Italien und von Seiten des Vatikans Verordnungen und Erlasse, die sich gegen die Juden richteten. Auch in Italien und Rom wurden die Juden in Gettos, oft auch eine Schutzmaßnahme, eingeschlossen, „aber oft existierten diese Bestimmungen nur in der Theorie und wurden nicht oder kaum in die Praxis umgesetzt.“110 Wie wenig es berechtigt ist, von einem judenfeindlichen Vatikan zu sprechen, zeigt die Tatsache, dass immer wieder Männer jüdischer Herkunft als Päpste gewählt werden konnten. So wurde Pietro Pierleoni, der um 1090 in Rom zum Christentum konvertierte, 1116 Kardinal, 1121 päpstlicher Legat in England und Frankreich und 1130 als Anaklet II. sogar Papst.111

      Wenig bekannt ist auch die Tatsache, dass neben dem Osmanischen Reich der Vatikan gegen den ausdrücklichen Rat der jüdischen Gemeinde von Rom den größten Teil der aus Spanien Ende des 15. Jahrhunderts vertriebenen Juden aufnahm.112 Ein jüdisches Ghetto, „Il Ghetto“, wurde in Rom südlich des Largo Argentina auf Veranlassung von Papst Paul IV. erstaunlicherweise erst im Jahre 1555 eingerichtet. Reiseführer deuten dieses römische Ghetto (und überhaupt die jüdischen Ghettos in Europa) allzu simplifizierend als Zeichen eines seit dem späten Mittelalter wachsenden Antijudaismus und die römischen Juden als „Opfer päpstlicher Willkürherrschaft.“113 Dazu scheint auch der seit dem 15. Jahrhundert überlieferte Nacktlauf der Juden inkl. deren Verunglimpfung (sogar im Winter) durch die römische Masse gut zu passen. Es gab wohl auch in Rom unsoziale Gepflogenheiten, denen sich nicht einmal der Papst entziehen konnte. Auch in Rom war es eine ‘bewährte’ Methode, dass die Volksmasse bei gewissen Gelegenheiten ihren Zorn und Frust an den Juden als Sündenböcken ablassen durfte. Übertreibungen und Eskalationen wurden allerdings durch den Papst sanktioniert.

      Die wachsenden Ressentiments gegen die Juden gingen also im Fall von Rom nicht vom Vatikan und der römischen Elite aus, sondern wohl eher von der großen Masse des Volkes. Warum hätte der Vatikan so viele vertriebene spanische Juden in Rom und im Vatikanstaat aufnehmen und willkommen heißen sollen, nur um sie dann in Ghettos zu diskriminieren? So eine Betrachtungsweise wäre fern jeglicher Logik.

      Die Klimaverschlechterung des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit führte in Verbindung mit den negativen Auswirkungen des Frühkapitalismus zu erheblichen Preissteigerungen der Lebensmittel und Grundbedürfnisse114 und wohl auch zu einer massiven Verschlechterung der Einkommens- und Vermögensverteilung der breiten Volksmassen. Das frühkapitalistische Wachstum (Bergbau- und Großhandelsgesellschaften) kam ebenso wie die Globalisierung des 21. Jahrhunderts nicht einmal in Rom (von anderen Regionen ganz zu schweigen) der großen Masse des Volkes zu gute. Die wachsende „antikapitalistische Bewegung in Deutschland“115 ist ohne steigende Massenarmut nicht erklärbar. Die Masse der Menschen sah darum auch hier die Schuld bei den Juden.

      Es ging aber auch anders. Im Bereich der bürgerlichen Alltagskultur finden wir z.B. seit dem 16. Jahrhundert in Franken erfreuliche Formen des Zusammenlebens und –wirkens zwischen Christen und Juden, welche vielfach den Rang von Bürgern hatten. So hatten in manchen fränkischen Orten Juden wie Christen die Pflicht zur Tag- und Nachtwache. An manchen Orten Frankens mussten sie sogar am gemeinen Rügegericht mitwirken. Die Gemeinde Forth bei Erlangen bestand aus „Juden und Christen“. Es gab sogar einen eigenen Judenschultheiß im Dorf, der die Rechte und Belange der Juden gegenüber der Obrigkeit zu vertreten und sich um den Schutz der Juden gegen Angriffe von Nichtjuden zu kümmern hatte. In größeren Fürstentümern war der Judenschutz eine Angelegenheit der Landesfürsten. Dieser Judenschutz konnte sogar wie ein Nutzungsrecht an andere Fürsten übertragen werden.116

      Bei der kommunalen Rechnungslegung feierten Juden und Christen gemeinsam.117 „In Biebelried (Franken) erhielt 1556 ein Jude (sogar) das Amt des Försters.“118 Auch in einigen Gemeinden von Schwaben „hatten die Juden vollen Anteil an den Gemeindegütern und den Nutzungen.“119 Wie stark nicht nur das städtische (Fürth, Nürnberg, Würzburg etc.), sondern auch das Landjudentum in Franken die fränkische Kulturlandschaft prägte, zeigen die neueren Forschungen der Arabistin Frau Rajaa Nadler im oberfränkischen Ermreuth. Sie zeigt, dass es in Franken nicht nur Antijudaismus und Antisemitismus von Seiten der christlichen Bevölkerung gab (und auch heute noch gibt), sondern dass es immer wieder Epochen eines harmonischen und toleranten Zusammenlebens gab.120

      Neben den drei fränkischen Regierungsbezirken war in Nordbayern das wittelsbachische Fürstentum Pfalz-Sulzbach ein weiteres Territorium, in welchem der Landesfürst bereits ab 1666 den Juden ein dauerndes Aufenthaltsrecht mit weitreichenden Freiheiten auch im wirtschaftlichen Bereich gewährte. So konnte sich die Stadt Sulzbach zu einem der größten Druckorte für hebräische Literatur in ganz Europa entwickeln. Es war auch ein bevorzugter Standort für lutherische, reformierte und katholische Drucker. Die Angehörigen der drei christlichen Konfessionen und die Juden konnten hier in Frieden und Wohlstand zusammenleben. Mit dem sog. Simultaneum, einem Toleranzedikt für die christlichen Konfessionen, hatte Christian August von Sulzbach bereits wenige Jahre nach dem 30jährigen Krieg neue Maßstäbe der Religionspolitik gesetzt. Unter solchen in Europa bisher nur wenig bekannten Voraussetzungen konnte sich die Sulzbacher Residenz zu einem europäischen Geisteszentrum entwickeln. Seit 1668 trug zudem das Wirken des Universalgelehrten und Literaten Christian Knorr von Rosenroth zu einer weiteren Belebung des Sulzbacher Musenhofes bei. Er „übersetzte zahlreiche Werke der Frühaufklärung ins Deutsche“ und die hebräische Kabbala ins Lateinische. Mit dem Sulzbacher Musenhof standen so bedeutende Gelehrte wie der Philosoph Leibniz und Franciscus Mercurius, der Alchemist, Kabbalist, Theosoph, Arzt, Rosenkreuzer in einer Person war, in reger Verbindung.121 Mercurius war seit 1677 Quäker und wie sein Freund Knorr von Rosenroth ein guter Kenner der hebräischen Sprache und der jüdischen Kultur. Bei der Ansammlung von so viel Geist verwundert es nicht, dass sich die hebräischen Druckereien als besonderer Ausdruck des СКАЧАТЬ