Название: Konstantinopel 1453
Автор: Roger Crowley
Издательство: Автор
Жанр: История
isbn: 9783806242430
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Die Handvoll Porträts, die im Laufe seines Lebens entstanden, lieferten wahrscheinlich zum ersten Mal ein authentisches Bild eines osmanischen Sultans. Dabei zeigt sich ein sehr ebenmäßiges Gesicht – ein scharf geschnittenes Profil, eine Adlernase, die übervollen Lippen nach vorne ragt wie »ein Papageienschnabel, der auf Kirschen einpickt«,11 wie es ein osmanischer Poet bildhaft ausdrückte, umrahmt durch einen rötlichen Bart auf einem vorspringenden Kinn. In einer stilisierten Miniatur hält er mit juwelenbesetzten Fingern zart eine Rose an seine Nase. Dies entsprach der herkömmlichen Darstellung eines Sultans als Ästheten, Gartenliebhabers und Verfassers persischer Vierzeiler, doch sie ist verbunden mit einem starren Blick, als schaue er zu einem weit entfernten Punkt, wo die Welt verschwindet. Auf anderen, reiferen Porträts hat Mehmet einen Stiernacken und ist wohlbeleibt, und auf dem berühmten späten Porträt von Bellini, das heute in der Nationalgalerie in London hängt, wirkt er ernst und krank. Alle diese Bilder vermitteln einen Anflug von gelassener Autorität, die natürliche Aura der Macht von »Gottes Schatten auf Erden«, die auf der Gewissheit beruht, dass die Welt in seinen Händen liegt. Doch seine Haltung wirkt zu natürlich, um herablassend zu erscheinen, und sie bringt zugleich eine kühle Melancholie zum Ausdruck, die an die kalten und gefährlichen Jahre seiner Kindheit erinnert.
Diese Porträts decken sich mit einer eindrucksvollen Beschreibung des jungen Mehmet durch den Italiener Giacomo de Languschi:
Der Herrscher, der Große Türke Mehmet Bei, ist ein junger Mann … gut gewachsen, von eher großer als mittlerer Statur, gewandt im Umgang mit Waffen, eher Furcht einflößend denn ehrwürdig, selten lachend, sehr umsichtig, ausgestattet mit Großzügigkeit, beharrlich im Verfolgen seiner Pläne, kühn in all seinen Unternehmungen und ähnlich erpicht auf Ruhm wie Alexander der Mazedonier. Jeden Tag lässt er sich römische und andere Werke vorlesen. Er spricht drei Sprachen, Türkisch, Griechisch und Slawisch. Er ist bemüht, sich die Geographie Italiens anzueignen… wo der Sitz des Papstes liegt und jener des Kaisers, und zu erfahren, wie viele Königreiche es in Europa gibt. Er besitzt eine Landkarte Europas mit allen Ländern und Provinzen. Er lernt nichts mit größerem Interesse und Begeisterung als die Geographie der Welt und militärische Angelegenheiten; er ist erfüllt von dem Verlangen zu herrschen; er prüft sehr geschickt alle Umstände. Mit einem solchen Mann haben wir Christen es zu tun… Heute, so sagt er, haben sich die Zeiten geändert, und er verkündet, dass er vom Osten in das Abendland vorstoßen werde, wie in früheren Zeiten die Menschen des Westens in den Orient gezogen sind. Es dürfe, so verkündet er, nur ein Reich geben, einen Glauben und einen Herrscher der Welt.12
Hier wurde Mehmets Ehrgeiz treffend beschrieben, den Lauf der Geschichte umzukehren und das Banner des Islam nach Europa zu tragen, doch bei seiner Thronbesteigung waren seine hochgesteckten Ziele und seine Intelligenz dem Westen noch weitgehend unbekannt. Im Abendland sah man nur einen unreifen und unerfahrenen Jüngling, dessen erste Berührung mit der Macht mit einer Demütigung geendet hatte.
Zwei Jahre vor Mehmets Thronbesteigung hatte auch Konstantinopel einen neuen Kaiser willkommen geheißen, allerdings unter völlig anderen Umständen. Der Mann, der sich Mehmets Tatendrang entgegenstemmen sollte, trug den Namen des Stadtgründers, eine Tatsache, deren Symbolkraft die abergläubischen Byzantiner schnell zu deuten wussten. Konstantin XI. war seit 1261 das achte Mitglied der Palaiologos-Dynastie auf dem Thron. Die Familie hatte einst die Macht an sich gerissen, aber während ihrer Herrschaft war das Reich immer mehr in Anarchie und Streit versunken. In der Herkunft des neuen Kaisers mischten sich wie üblich verschiedene Einflüsse. Er sprach Griechisch, war aber eigentlich kein Grieche: Seine Mutter war Serbin, und Konstantin nahm deren Familiennamen Dragases an, sein Vater war Halbitaliener. Wie alle Byzantiner verstand er sich als Römer und schmückte sich mit dem stolzen und altehrwürdigen Titel seiner Vorgänger: »Konstantin Palaiologos, durch Christus wahrer Kaiser und Selbstherrscher der Römer.«
Es war ein hohles Protokoll, aber typisch für die Rituale und Zeremonien, an die sich die Byzantiner im Laufe des unerbittlichen Niedergangs ihres Reiches klammerten. Das Reich besaß einen Hochadmiral, aber keine Flotte, einen Oberbefehlshaber, aber nur wenige Soldaten. In der engen Welt des Hofes rangelten und stritten die Adeligen um absurd aufgeblasene Titel wie Großer Haushofmeister, Großkanzler oder Aufseher über die Kaiserliche Garderobe. Konstantin war im Grunde ein Kaiser ohne Macht. Sein Herrschaftsgebiet war zusammengeschrumpft auf die Stadt und deren Vororte, ein paar Inseln und einige verbundene Gebiete auf der Peloponnes, welche die Griechen etwas abschätzig Morea nannten, Maulbeerblatt: Die Halbinsel war berühmt für ihre Seidenproduktion, und ihre Form erinnerte sie an die Nahrung der Seidenraupe.
Konstantin war um seine Krone nicht zu beneiden. Er übernahm ein bankrottes Reich und eine Stadt, die gespalten war durch religiöse Zwistigkeiten. Die große Unterschicht begehrte häufig auf, und Konstantin gehörte einer Familie an, die sich gern in Bürgerkriege verstrickte. Das Reich war eine Schlangengrube familiärer Intrigen und Fehden – 1442 zog Konstantins Bruder Demetrios mit osmanischen Truppen gegen die Stadt. Konstantinopel war nur eingeschränkt selbstständig und ein Vasall des osmanischen Herrschers, der die Stadt jederzeit unter Belagerung stellen konnte. Auch Konstantins persönliche Macht war keineswegs gefestigt: Es herrschten gewisse Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Thronbesteigung. Er wurde 1449 in Mistra auf der Peloponnes inthronisiert, was sehr unüblich war für einen Kaiser, und er wurde nie in der Sophien-Kirche gekrönt. Die Byzantiner mussten die Inthronisierung durch Murat absegnen lassen, hatten dann aber nicht das Geld, um den neuen Kaiser nach Hause zu bringen. Er musste um die Überfahrt auf einem katalanischen Schiff nachsuchen.
Von der Stadt, in die er im März 1449 zurückkehrte, gibt es keine zeitgenössischen Darstellungen. Eine etwas ältere italienische Karte zeigt Konstantinopel mit zahlreichen leeren Flächen, während die Genueser Handelskolonie Galata, auch Pera genannt, jenseits des Goldenen Horns florierte: »Eine große Stadt, die von Griechen, Juden und Genuesen bewohnt wird«,13 berichtete der Reisende Bertrandon de la Brocqière, der sie als den schönsten Hafen bezeichnete, den er je gesehen habe. Auch Konstantinopel erschien dem französischen Ritter faszinierend, aber heruntergekommen. Die Kirchen seien sehr eindrucksvoll, insbesondere die Hagia Sophia; dort sah er »den Rost, auf dem der Heilige Laurentius verbrannt wurde, und einen großen Stein in Form einer Waschbank, auf dem Abraham den Engeln Nahrung gegeben haben soll, als sie sich anschickten, Sodom und Gomorrha zu vernichten«.14 Die große Reiterstatue von Justinian, den er mit Konstantin dem Großen verwechselte, stand noch am alten Ort: »Er hält ein Szepter in der Linken und streckt die Rechte zur Türkei in Asien aus und zur Straße nach Jerusalem, als wolle er darauf hinweisen, dass all dieses Land unter seiner Herrschaft steht.« Doch die Wahrheit sah offensichtlich anders aus – der Kaiser war kaum Herr im eigenen Haus.
Kaufleute aus allen Nationen halten sich in der Stadt auf, aber die mächtigsten sind die Venezianer, die einen eigenen Bailo besitzen, der ihre Angelegenheiten unabhängig vom Kaiser und dessen Ministern regelt. Auch die Türken haben einen Beamten, der ihre Geschäfte überwacht und ähnlich wie jener der Venezianer unabhängig vom Kaiser ist. Sie besitzen sogar das Vorrecht, dass der Kaiser auf ihre Aufforderung hin einen entlaufenen Sklaven freigeben muss, wenn dieser in der Stadt Zuflucht gesucht hat. Dieser Fürst muss dem Türken sehr weitgehend untertan sein, denn er leistet ihm, wie man mir sagte, eine jährliche Tributzahlung von zehntausend Dukaten.15
De la Brocquière sah überall Grabinschriften, die von der vergangenen Größe des Reiches kündeten – besonders aussagekräftig waren drei anscheinend leere marmorne Grabplatten im Hippodrom: »Hier standen einst drei vergoldete Pferde, die sich jetzt in Venedig befinden«. Es erschien nur als eine Frage der Zeit, bis die Osmanen die Stadt abermals angreifen würden und СКАЧАТЬ