Название: Konstantinopel 1453
Автор: Roger Crowley
Издательство: Автор
Жанр: История
isbn: 9783806242430
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Während dieser Wirren drangen die Osmanen weiter ungehindert nach Europa vor. Im Jahr 1362 schlossen sie Konstantinopel weitgehend ein, als sie die 220 Kilometer westlich gelegene Stadt Adrianopel eroberten – im Türkischen Edirne genannt –, und verlegten die Hauptstadt ihres Reiches nach Europa. Nachdem sie 1371 die Serben besiegt hatten, war Kaiser Johannes von jeglicher christlicher Unterstützung abgeschnitten, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als ein Vasall der Sultane zu werden, der auf Geheiß Soldaten zur Verfügung stellen und bei Ernennungen um Erlaubnis nachsuchen musste. Der Vormarsch der Osmanen schien unaufhaltsam: Ende des 14. Jahrhunderts erstreckte sich ihr Gebiet bereits von der Donau bis zum Euphrat. »Die Ausdehnung der Türken oder Heiden ist wie das Meer«, schrieb der Serbe Michael »der Janitschar«, »es steht nie still, sondern ist ständig in Bewegung… Wenn man der Schlange nicht den Kopf abschlägt, wird es immer schlimmer.«20 Der Papst rief 1366 in einer Bulle zum Kreuzzug gegen die Osmanen auf und drohte den Führern der Handel treibenden Staaten in Italien und an der Adria vergeblich den Kirchenbann an, weil sie die Türken mit Waffen belieferten. In den folgenden fünfzig Jahren wurden drei Kreuzzüge gegen die Ungläubigen unternommen, allesamt unter der Führung von Ungarn, des bedrohtesten Staates in Osteuropa. Sie sollten zum Schwanengesang einer geeinten Christenheit werden. Jeder endete mit einer demütigenden Niederlage, deren Ursachen leicht ausfindig zu machen waren. Europa war gespalten, von Armut geplagt, wurde durch innere Konflikte erschüttert und vom Schwarzen Tod geschwächt. Die Heere waren schwerfällig, uneinig, undiszipliniert und taktisch unfähig im Vergleich zu den mobilen und gut organisierten Osmanen, die für eine gemeinsame Sache kämpften. Die wenigen Europäer, die sie aus der Nähe beobachten konnten, kamen nicht umhin, der »osmanische Ordnung« Bewunderung zu zollen. Der französische Reisende Bertrandon de la Brocquière berichtete um 1430:
Sie sind fleißig und stehen gern früh auf. Sie brauchen wenig zum Leben… Es ist ihnen gleichgültig, wo sie schlafen, meistens liegen sie auf dem Boden… Ihre Pferde sind gut, sie werden, was das Futter anbelangt, kurz gehalten, und sie laufen sehr schnell und weit… Ihren Führern bringen sie bedingungslosen Gehorsam entgegen… Wenn das Zeichen ertönt, marschieren jene, welche die Vorhut bilden sollen, geordnet ab, gefolgt von den übrigen, die sich ebenso ruhig und geordnet verhalten… Zehntausend Türken machen weniger Lärm als hundert Soldaten aus christlichen Heeren… Ich muss gestehen, dass ich die Türken bei meinen mehrfachen Begegnungen stets freimütig und loyal erlebt habe, und wenn es erforderlich war, Mut zu beweisen, haben sie dies stets getan.21
Entsprechend düster sah es zu Beginn des 15. Jahrhunderts aus für Konstantinopel. Belagerungen durch die Osmanen waren zu einer regelmäßig wiederkehrenden Begleiterscheinung des Lebens geworden. Als Kaiser Manuel 1394 seinen Vasalleneid brach, unternahm Sultan Bajezit mehrere Angriffe auf die Stadt, die erst eingestellt wurden, als Bajezit 1402 selbst in einer Schlacht vom türkischen Mongolen Timur besiegt wurde. Danach bemühten sich die byzantinischen Kaiser verzweifelt um Hilfe aus dem Westen – Manuel reiste 1400 sogar nach England –, während sie gegenüber den osmanischen Thronprätendenten eine Politik diplomatischer Intrigen und selektiver Unterstützung verfolgten. Sultan Murat II. belagerte Konstantinopel 1422, um Thronaspiranten zu ermutigen, doch die Stadt hielt abermals stand. Die Osmanen verfügten weder über eine Kriegsflotte, um die Stadt abzuriegeln, noch über die Technologie, ihre massiven Landmauern schnell zu stürmen, und Manuel, der mittlerweile zwar ein alter Mann war, aber nach wie vor ein gerissener Diplomat, gelang es, mittels eines weiteren osmanischen Möchtegern-Führers im Osmanischen Reich die Gefahr eines Bürgerkriegs zu schüren. Die Belagerung wurde aufgehoben, doch Konstantinopel war nun stark angeschlagen. Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Osmanen abermals auf die Stadt vorrücken und eine weitere Belagerung wagen würden. Allein die Angst vor einem vereinten europäischen Kreuzzug hielt sie noch davon ab.
Mehmet Chelebi – Sultan – möge Gott die Zügel seiner Herrschaft an die Pflöcke der Ewigkeit binden und die Säulen seiner Macht stärken bis zum vorbestimmten Tag!
Inschrift auf dem Grabmal der Mutter von Mehmet II.1
Konstantin Palaiologos, in Christi der wahre Kaiser und Alleinherrscher der Römer
Offizieller Titel von Konstantin XI., dem 88. Kaiser von Byzanz
Der Mann, der die Schlinge der Muslime um die Stadt enger zusammenziehen sollte, wurde zehn Jahre nach der Belagerung durch Murat geboren. Der türkischen Überlieferung zufolge war 1432 ein Jahr der bösen Omen. Stuten brachten viele Zwillinge zur Welt; Bäume neigten sich unter der Last ihrer Früchte; ein Komet mit langem Schweif erschien am Mittagshimmel über Konstantinopel. Am Abend des 29. März wartete Sultan Murat im Königspalast in Edirne auf Nachrichten über die Geburt seines Kindes; da er nicht schlafen konnte, begann er im Koran zu lesen. Er war gerade zu den Suren über den Sieg der Muslime gelangt, jenen Versen, in denen der Triumph über die Ungläubigen versprochen wird, als ein Bote die Nachricht brachte, dass ihm ein Sohn geboren worden sei. Er erhielt den Namen Mehmet, den Namen von Murats Vater, die türkische Version von Mohammed.
Wie viele Prophezeiungen haben auch diese deutliche Bezüge zur Vergangenheit. Mehmet war der dritte Sohn Murats; seine beiden Halbbrüder waren wesentlich älter, und der Junge erfreute sich nie einer besonderen Zuwendung seines Vaters. Er hatte nur geringe Chancen, später einmal Sultan zu werden. Für den Eintritt Mehmets in die Welt ist es vielleicht bezeichnend, dass über die Identität seiner Mutter wenig bekannt ist. Zwar versuchten einige türkische Geschichtsschreiber sie als ethnische Türkin und Muslima darzustellen, doch vieles spricht dafür, dass sie eine Sklavin aus dem Westen war, die bei einem Vorstoß über die Grenze gefangengenommen oder von Piraten entführt worden war, vielleicht eine Serbin oder Mazedonierin und höchstwahrscheinlich ursprünglich eine Christin – was ein eigenartiges Licht wirft auf einige Widersprüchlichkeiten in Mehmets Charakter. Unabhängig davon, welche Einflüsse sich in seiner Herkunft niederschlugen, entwickelte Mehmet ganz andere Wesenszüge als sein Vater Murat.
Mitte des 15. Jahrhunderts waren die osmanischen Sultane keine ungebildeten Stammeshäuptlinge mehr, die im Sattel ihrer Pferde kriegerische Horden anführten. Die Verbindung des Glaubenskrieges mit dem Streben nach Beute hatte ein neues Selbstverständnis hervorgebracht. Der Sultan genoss in den Ländern des Islam nach wie vor hohes Ansehen als oberster Feldherr des Heiligen Krieges, doch dies wurde immer mehr zu einem Mittel dynastischer Politik. Die osmanischen Herrscher bezeichneten sich jetzt als »Sultan von Rum« – ein Titel, der Anspruch auf das Erbe des alten christlichen Reiches erhob – oder als »Padischah«, eine persische Bezeichnung für König oder Alleinherrscher. Von den Byzantinern übernahmen sie die Vorliebe für die zeremonielle Seite der Monarchie; ihre Prinzen wurden formell auf ihre späteren Aufgaben vorbereitet; die Paläste erhielten hohe Mauern; der Zugang zum Sultan wurde sorgfältig überwacht. Aus Angst vor Gift, Intrigen oder Mordkomplotten entfremdeten sich die Herrscher zunehmend von ihren Untertanen – eine Entwicklung, die nach der Ermordung von Murat I. durch einen serbischen Gesandten nach der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 eingesetzt hatte. Die Herrschaft von Murat II. stellte diesbezüglich einen Wendepunkt dar. Er bezeichnete sich weiter als »Bey« – der alte Titel für einen türkischen Adeligen – und nicht als »Sultan«, und er war bei seinem Volk sehr beliebt. Der ungarische Mönch Bruder Georg stellt überrascht fest, wie wenig zeremonieller Aufwand um ihn herum getrieben wurde. »Auf seiner Kleidung oder an seinem Pferd hatte der Sultan kein Zeichen, das ihn besonders hervorhob. Ich beobachtete ihn bei der Beerdigung seiner Mutter, und wenn man mich nicht auf ihn aufmerksam gemacht hätte, hätte ich ihn nicht erkannt.«2 Zugleich wurde eine gewisse Distanz geschaffen zwischen СКАЧАТЬ