Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie. Ingo Pies
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie - Ingo Pies страница 16

Название: Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie

Автор: Ingo Pies

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная деловая литература

Серия:

isbn: 9783846345757

isbn:

СКАЧАТЬ und in die neueren Schriften[62], die im Wege einer komparativen Analyse politischer Regimes Autokratie und Demokratie miteinander vergleichen. In Bezug auf diese drei Teile, die nicht nur zeitlich aufeinanderfolgen, sondern auch inhaltlich aufeinander aufbauen, lässt sich eine Entwicklungslogik nachzeichnen, die deutlich werden lässt, welchen Beitrag Mancur Olson zu den theoretischen Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik leistet. Die im folgenden zu entwickelnde These lautet, dass sich Olson sowohl theoretische Integration als auch demokratische Aufklärung von einer konsequent ökonomisch instruierten, auf Anreizwirkungen abstellenden, Kategorienbildung verspricht.

      1. Gruppentheorie: Das Problem der Instabilität kollektiven Handelns

      (1) Die ökonomischen Klassiker, allen voran Adam Smith, beschäftigten sich mit der Funktionsweise von Märkten. Ihnen ging es um die Frage, wie wirtschaftliche Akteure durch Wettbewerb dazu veranlasst werden können, ihre individuellen Handlungen via Tausch in den Dienst anderer Akteure zu stellen. Ihr Thema war, wie eine dezentrale Fremdversorgung mit privaten Gütern zustandekommen kann. Dass dies überhaupt möglich sein könnte, war eine gesellschaftstheoretische Entdeckung ersten Ranges. Sie dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Ökonomik sich zu einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin hat entwickeln können, zu einer Disziplin, die ihre Eigenständigkeit nicht vordergründig von einem bestimmten Gegenstandsbereich her bezieht, sondern letztlich methodisch: als Anreizanalyse, indem sie vor allem die nicht-intendierten Wirkungen intentionalen Handelns ins Zentrum der Betrachtung rückt. Diese Anreizanalyse setzt ein mit einer Irritation des Alltagsverstandes: Das Theorem der Unsichtbaren Hand ist, bis heute, kontra-intuitiv. Dass die wettbewerbliche Koordination individueller Handlungen am Markt zu sozial erwünschten Ergebnissen |45|führen kann, ist eine Einsicht, die sich dem Beobachter nicht von selbst aufdrängt und daher wohl auch weiterhin einer theoretischen Vermittlung bedarf, die den Blick hierfür schult.

      (2) Mancur Olson wählt sich als Ausgangspunkt ein anderes Problem. Im Vordergrund seines Interesses steht zunächst nicht der Markt, sondern die Organisation. Ihn beschäftigt nicht so sehr die individuelle Fremdversorgung mit privaten Gütern als vielmehr die kollektive Selbstversorgung mit öffentlichen Gütern. Im Wege einer – rudimentären, aber wegweisenden – ökonomischen Anreizanalyse bestimmt Olson kollektives Handeln als individuelles Handeln in einer Gruppe. Er fragt nach den Bedingungen, unter denen rationale Akteure bereit sein werden, Gruppenbeiträge zu leisten. Da in einer Gruppe das Verhalten des einen Mitglieds vom Verhalten der anderen i.d.R. nicht unabhängig sein dürfte, verlangt die Behandlung dieses Problems einen Ansatz, der die Interdependenzen zwischen Gruppenmitgliedern explizit berücksichtigt. Olson verfügt jedoch nicht über das hierfür erforderliche spieltheoretische Instrumentarium. Seine Analyse erfolgt reaktionstheoretisch, nicht interaktionstheoretisch.[63] Sie bildet nur besondere Spezialfälle ab, und überdies arbeitet sie mit extrem vereinfachenden – und zudem oft nur impliziten – Annahmen.[64] Deshalb handelt es sich bei Olsons „Logik des kollektiven Handelns“ allenfalls im metaphorischen Sinn um eine wirkliche Logik. Am besten liest man seine ‚Logik‘ daher als eine Sammlung von Tendenzaussagen, deren Gültigkeit strikt situationsabhängig ist und somit im jeweiligen Problemkontext allererst überprüft werden muss. Nicht als Logik also, wohl aber als Sammlung von Tendenzaussagen ist Olsons ‚Logik‘ kollektiven Handelns von hohem heuristischem Wert

      Die wichtigsten dieser Tendenzaussagen beziehen sich auf die Größe und Zusammensetzung von Gruppen. Generell macht Olson in seiner ‚Logik‘ geltend, dass kollektives Handeln keineswegs automatisch zu einer optimalen Bereitstellung öffentlicher Güter führt. Hinsichtlich der Gruppengröße führt er aus, dass solche Ineffizienzen kollektiver Selbstversorgung um so größer sind, je mehr Mitglieder zur Gruppe gehören. Hinsichtlich der Gruppenzusammensetzung führt er aus, dass es in Gruppen mit heterogenen Mitgliedern zu einer vergleichsweise sehr ungleichen Verteilung der Beitragslasten kommen kann, und zwar insbesondere dann, wenn es sich nicht für jedes Mitglied, mindestens aber für ein Mitglied der Gruppe lohnt, allein zur Bereitstellung des öffentlichen Gutes beizutragen. Die Abbildungen 1 und 2 enthalten jeweils eine extrem vereinfachte Illustration dieser Tendenzaussagen.

      In Abbildung 1 ist eine additive Produktionsfunktion für das öffentliche Gut Y unterstellt, d.h. das Bereitstellungsniveau für die Gruppe wird durch die Summe der individuellen Beiträge yi zum öffentlichen Gut bestimmt.[65]

      |46|Abbildung 1:

      Suboptimale Gruppenversorgung

      Die Gerade I gibt die individuelle marginale Zahlungsbereitschaft eines repräsentativen Gruppenmitglieds für das öffentliche Gut wieder. Die marginale Zahlungsbereitschaft der Gruppe ergibt sich rechnerisch durch eine Addition – graphisch: durch eine Vertikaladdition – der individuellen marginalen Zahlungsbereitschaften. Es werden identische Mitglieder mit identischen marginalen Zahlungsbereitschaften unterstellt. Je mehr Mitglieder n die Gruppe umfasst, desto steiler verläuft die Gerade Sn, die angibt, wieviel die gesamte Gruppe zu zahlen bereit wäre, um sich mit einer zusätzlichen Einheit des öffentlichen Gutes zu versorgen. Abgebildet sind die marginalen Zahlungsbereitschaften für zwei, drei und vier Gruppenmitglieder. Wird für die Gruppenmitglieder Nash-Verhalten unterstellt, so vergleichen sie bei ihren individuellen Entscheidungen über das von ihnen präferierte Bereitstellungsniveau des öffentlichen Gutes die Grenzkosten GK mit ihrer jeweils individuellen marginalen Zahlungsbereitschaft, nicht jedoch mit der marginalen Zahlungsbereitschaft der Gruppe. Sie vernachlässigen also gewissermaßen den positiven externen Effekt, der von ihrem Beitrag auf die anderen Gruppenmitglieder ausgeht. Unter diesen Annahmen ergibt sich: Die individuell rationale Entscheidung fällt nur dann mit der gruppenoptimalen Entscheidung zusammen – y1 = Y1 –, wenn die Gruppe nur ein einziges Mitglied |47|umfasst, also keine Gruppe im üblichen Verständnis ist. Für wirkliche Gruppen mit mindestens zwei Mitgliedern belaufen sich die – gemäß der Annahme eines Pareto-Gleichgewichts – gruppenoptimalen Bereitstellungsniveaus auf Y2, Y3 bzw. Y4, die individuellen Beiträge jedoch nur auf jeweils Y1/2, Y1/3 bzw. Y1/4: Je mehr Mitglieder die Gruppe hat, desto größer ist der vernachlässigte positive externe Effekt und desto gravierender ist folglich die Ineffizienz, d.h. die pareto-suboptimale (Unter-)Versorgung mit dem öffentlichen Gut.

      Abbildung 2:

      Privilegierte Gruppe

      In Abbildung 2 sind zwei heterogene Gruppenmitglieder unterstellt, deren individuelle marginale Zahlungsbereitschaften I1 und I2 sich unterscheiden. So ist das erste Individuum bereit, für eine Erhöhung des Bereitstellungsniveaus YP um eine weitere Einheit des öffentlichen Gutes den Preis c1 zu bezahlen, während das zweite Individuum den höheren Preis c2 zu zahlen bereit ist. Gemäß Olsons Terminologie sind die beiden Individuen entsprechend ihrer jeweiligen marginalen Zahlungsbereitschaft als kleines bzw. großes Gruppenmitglied einzustufen. Betragen die Grenzkosten beispielsweise GKP, so wird das kleine Gruppenmitglied von sich aus keinen Beitrag leisten, das öffentliche Gut bereitzustellen. Da es jedoch für das große Gruppenmitglied individuell rational ist, jenes Bereitstellungsniveau zu wählen, bei dem seine individuelle marginale Zahlungsbereitschaft genau den Grenzkosten entspricht, wird es auf eigene Kosten YP Einheiten des öffentlichen Gutes bereitstellen, die dem kleinen Gruppenmitglied zugutekommen, ohne dass es hierfür bezahlt. Olson spricht in diesem Fall – mit Blick auf den oder die Trittbrettfahrer – von einer „privilegierten Gruppe“, und er bezeichnet das für solche Gruppen charakteristische Opportunismusphänomen als „‚Ausbeutung‘ der Großen durch die Kleinen“.[66]

      |48|Abbildung 3:

      Latente Gruppe

      Eine СКАЧАТЬ