Название: Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie
Автор: Ingo Pies
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783846345757
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Mit dieser Aufgabenbestimmung ist ein Adressatenwechsel ökonomischer Politikberatung verbunden: Konstitutionelle Ökonomik wendet sich nicht in erster Linie an die Akteure im politischen System, sondern an die demokratische Öffentlichkeit. Sie betreibt primär nicht Politiker-Beratung, sondern stattdessen Politik-Beratung. Ihr geht es um eine intellektuelle Aufklärung der Bürger – genauer: um eine intellektuelle (Selbst-)Aufklärung und schließlich (Selbst-)Gestaltung der demokratischen Gesellschaft. Buchanans konstitutionelle Ökonomik will als Theorie praktisch werden, indem sie als politische Institutionenökonomik, als ‚political constitutional economy‘ der Wahrnehmung des politischen Prozesses konstruktive Perspektiven aufzeigt und über diese intellektuelle Orientierungsleistung schließlich integrativer Bestandteil der politischen Kultur demokratischer Gesellschaften wird.[34]
|29|2. Zur methodischen Umsetzung des Theorieprogramms
Die methodische Umsetzung dieses Programms konstitutioneller Ökonomik[35] ist mit zahlreichen theoriestrategischen Entscheidungen verbunden, mit z.T. grundlegenden Umstellungen im Kategoriensystem der Ökonomik. Nicht immer sind die Argumente, die für solche Umstellungen sprechen, bei Buchanan explizit ausgeführt. Gelegentlich begnügt er sich mit Forderungen, die teilweise jenen Appellcharakter zu haben scheinen, den er für seine politischen Vorschläge sorgsam, d.h. systematisch, zu vermeiden bedacht ist. In manchen Fällen kleidet er sein methodisches Anliegen sogar in die Form eines Werturteils. Das prägnanteste Beispiel hierfür bietet ein berühmter Aufsatz, dessen Titel charakteristischerweise darauf abstellt, was Ökonomen tun sollten. Ökonomen sollten sich, so Buchanan, stärker mit Koordinations- als mit Maximierungsproblemen beschäftigen.[36] Bei Buchanan (1964, 1979; S. 19) heißt es dann: „In saying this, I am, of course, making a value statement that you may or may not support.“[37]
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Buchanan des Öfteren Formulierungen wählt, die seine Theorieentscheidungen eher als eine Frage des Geschmacks denn als eine Frage methodischer Zweckmäßigkeit erscheinen lassen, liefert eine Stellungnahme zum gesellschaftsvertragstheoretischen Ansatz von John Rawls. Bei Buchanan (1989b; S. 182) heißt es: „[M]y sympathy with and affinity for Rawls’s effort has been, I hope, evident. At base, we share … an unwillingness normatively to evaluate politics with nonindividualistic standards or positively to interpret politics exclusively as the clash of conflicting interests.“
Es lohnt sich, diesen ‚Präferenzen‘ für bestimmte Standards positiver und normativer Forschung genauer nachzugehen und nach ihren Konsequenzen für das Kategoriensystem der Ökonomik zu fragen. Dabei wird sich zeigen, dass es Gründe gibt, die von Buchanan eingeforderte methodische Neuorientierung der Ökonomik ernster zu nehmen, als es seine Formulierung nahezulegen scheint, die Argumentation beruhe auf einer ‚Präferenz‘ dafür, was Ökonomen tun ‚sollten‘. Tatsächlich trägt seine Argumentation nämlich weniger seinen ‚Präferenzen‘ als vielmehr jenen ‚Restriktionen‘ Rechnung, mit denen sich eine politische Ökonomik in der modernen Gesellschaft konfrontiert sieht. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich zunächst vor Augen führt, gegen welche zeitgenössischen Entwürfe Buchanan sein Theorieprogramm entwickelt hat.
|30|Der traditionelle und z.T. bis heute noch übliche Einstieg in wirtschaftspolitische Argumentationen erfolgt über einen normativen Effizienzbegriff. Die hierfür zuständige Referenztheorie ist die Wohlfahrtsökonomik. Sie leitet anhand eines Modells vollkommener Konkurrenz Bedingungen ab, durch deren Erfüllung Effizienz definiert ist. Werden diese idealen Bedingungen in der Realität nicht erfüllt, liegen definitionsgemäß Ineffizienzen vor. Die Theorie spricht dann von Marktversagen.
In den 1950er und 1960er Jahren war dies die weithin maßgebliche Konzeption zur Begründung staatlicher Aktivität: Wo der Markt versagt, wurde politischer Handlungsbedarf diagnostiziert. Damit befand sich die Wohlfahrtsökonomik – ursprünglich als Markttheorie angetreten – unversehens auf dem Weg zu einer Interventionswissenschaft.
Bereits in seinen frühesten Schriften weist sich Buchanan als jenen zugehörig aus, die diese Tendenz für politisch bedenklich halten, doch darauf kommt es hier nicht an. Im vorliegenden Zusammenhang ist vielmehr von Interesse, dass es zwei grundlegende Schwierigkeiten gibt, die der wohlfahrtsökonomischen Vorgehensweise inhärent sind und insofern eine methodische Herausforderung darstellen: Zum einen wird die Funktionsweise realer Märkte an einem Ideal gemessen, und zum anderen wird aus dem Vergleich von Ideal und Realität auf eine reale Alternative geschlossen. So kommt es zu einer perspektivischen Verzerrung gleich in doppelter Hinsicht: Wer die reale Welt, in der es bekanntlich keine vollkommene Konkurrenz gibt, aus einer wohlfahrtsökonomischen Perspektive betrachtet, sieht überall nur Marktversagen vorliegen, freilich ohne dass durch die wahrgenommene Omnipräsenz des Marktversagens allein schon sichergestellt wäre, dass die Politik als funktionales Äquivalent jene Ineffizienzen beseitigen kann, die als Versagen des Marktes diagnostiziert werden. Damit läuft das wohlfahrtsökonomische Verfahren Gefahr, als ‚nirvana approach‘ (Demsetz, 1969) einen Vergleich der relevanten Alternativen zu verfehlen.
Wenn man die relevanten Alternativen vergleichen will, bedarf die perspektivische Verzerrung einer doppelten Korrektur. Zum einen darf man sich nicht mit einer Gegenüberstellung von Marktideal und Marktrealität begnügen, sondern muss die Alternative zum Markt in die Analyse einbeziehen. Die erste methodische Konsequenz besteht daher in einem Vergleich alternativer institutioneller Arrangements. Zum anderen bedarf dieser Vergleich eines den jeweiligen Handlungssphären – d.h. der Wirtschaft und der Politik – gleichermaßen angemessenen Vergleichsmaßstabs. Hierfür ist ein nicht-ideales, internes Kriterium erforderlich. Insofern ist die Wahl des Konsenskriteriums die zweite methodische Konsequenz.
Es gehört zu den Kuriositäten ökonomischer Theoriebildung, dass das methodische Erfordernis einer doppelten Korrektur der wohlfahrtsökonomischen Methode nicht allgemein gesehen oder doch zumindest nicht allgemein beherzigt wurde, obwohl Buchanan stets eindringlich auf den inneren Zusammenhang beider Aspekte hingewiesen hat. In der Tat lesen sich große Teile der Public-Choice-Literatur wie eine empirisch ausgerichtete Wohlfahrtsökonomik des politischen Sektors: Zwar vergleicht man alternative Arrangements, doch legt man als Vergleichsmaßstab unverändert das wohlfahrtsökonomische Effizienzkriterium zugrunde. Die Folge ist eine Duplizierung wohlfahrtsökonomischer |31|Paradiesvergleiche. Buchanan (1987c; S. 52) resümiert die triviale Erkenntnis dieser – für ihn: verfehlten – Forschungsanstrengungen recht lapidar: „By comparison with idealized standards, both markets and politics fail.“[38]
Aus dieser Sackgasse kommt man nur durch die von Buchanan stets eingeforderte doppelte Korrektur heraus. Man darf es nicht bei einem Paradiesvergleich institutioneller Arrangements belassen, sondern muss dem Institutionenvergleich ein internes, nicht-ideales Vergleichskriterium zugrundelegen.
Buchanan tritt also in der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit einer doppelten Forderung auf. Die erste Forderung bezieht sich auf die positive Analyse. Sie soll Wirtschaft und Politik gleichermaßen umfassen. Die Institutionenökonomik i.w.S. ist hierfür der geeignete Ansatz. Mit ihrer Hilfe lassen sich beide Handlungssphären streng analog als Wettbewerbsspiele auffassen, СКАЧАТЬ