Название: Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie
Автор: Ingo Pies
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783846345757
isbn:
(3) Im Unterschied zum Effizienzbegriff handelt es sich beim Konsensbegriff um ein internes Kriterium. Dies wird sofort deutlich, sobald man sich den Unterschied zur wohlfahrtsökonomischen Kategorienbildung vergegenwärtigt.[45] Die Wohlfahrtsökonomik hat das auf Handlungen bezogene Prozesskriterium der Pareto-Superiorität zum Konzept des Pareto-Optimums weiterentwickelt und damit in ein Ergebniskriterium überführt. Das Prozesskriterium kann dazu verwendet werden, die Funktionsweise von Märkten zu erklären: Freiwillige Tauschakte kommen zustande, weil und solange wechselseitige Tauschgewinne angeeignet werden können. Erst wenn dieses Potential pareto-superiorer Verbesserungsmöglichkeiten ausgeschöpft ist, kommt der Tausch zum Erliegen, und ein Pareto-Optimum ist erreicht. Mit Hilfe dieses Ergebniskriteriums geht nun allerdings die Wohlfahrtsökonomik dazu über, die Funktionsweise von Märkten zu bewerten: Der im Rahmen einer allgemeinen Gleichgewichtstheorie explizierte Effizienzzustand wird zum Effizienideal erhoben. Dies führt zu einer radikalen Änderung der Sichtweise des Marktes. Der Markt erscheint nicht länger als ein Interaktionsprozess. Er wird zunehmend als Mechanismus, als „Kalkulationsmaschine“ aufgefasst, deren Leistung daran gemessen wird, inwiefern sie zu dem normativ als Effizienz vorgegebenen Ergebnis führt. Damit wird der Effizienzbegriff als ein vom Marktprozess losgelöstes Ergebnisideal interpretiert. Effizienz wird dem Marktprozess als externes Bewertungskriterium gegenübergestellt.[46]
Im Unterschied hierzu propagiert Buchanan eine dezidiert andere Kategorienbildung. Er will zum Prozesskriterium der Pareto-Superiorität zurückkehren und |36|dieses nun allerdings nicht auf Handlungen, sondern auf Regeln bezogen wissen. Die Akteure im Prozess sollen den von der Theorie vorgeschlagenen Änderungen zustimmen können. Insofern handelt es sich beim Konsenskriterium in der Tat um ein internes Kriterium, das gezielt den Anschluss an die real vorfindlichen Interessen realer Bürger in realen Situationen sucht.[47]
(4) Als internes Kriterium weist das Konsensprinzip mehrere Vorteile auf. Es gehört nicht zu den geringsten dieser Vorteile, dass es dem Selbstverständnis bürgerlicher Autonomie entgegenkommt, wie es sich in den pluralistischen Gesellschaften des Westens entwickelt hat.[48] Seine besondere Eignung für eine ökonomische Politikberatung in der Demokratie speist sich jedoch auch noch aus anderen Quellen, die nicht übersehen werden sollten: Das Konsensprinzip erfüllt innerhalb des Forschungsprogramms konstitutioneller Ökonomik eine wichtige heuristische Funktion. Diese Funktion betrifft die Vermittlung positiver und normativer Analyse.
Erstens: Mit der Vorgabe, nach gemeinsamen Interessen zu suchen, fokussiert das Konsensprinzip die positive Forschungsperspektive auf eine Untersuchung der gesellschaftlichen Funktionalität institutioneller Arrangements. Damit wird es zur Aufgabe der Ökonomik, mit ihren Erklärungsleistungen den sozialen Sinn der diversen Kooperations- und Konkurrenzspiele zu dechiffrieren und insbesondere das Verständnis der institutionellen Voraussetzungen zu fördern, von denen die Spielergebnisse abhängen.
Zweitens: Das Aufzeigen gemeinsamer Interessen im politischen Prozess ermöglicht es, in die politische Diskussion Zweckmäßigkeitsargumente einzuführen, d.h. Erklärung in Aufklärung umzusetzen. Mithin versorgt das Konsensprinzip die normative Analyse mit diskursiver Kompetenz: Konsens fungiert als konzeptioneller Ausgangspunkt für eine Rekonstruktion politischer Konfliktlagen, und (erst) von diesem Punkt aus lassen sich Zieldiskussionen auf Mitteldiskussionen umstellen. Damit wird die politische Ökonomik zur Argumentationsgrammatik politischer Diskurse, und hierin liegt der eigentliche Beitrag ökonomischer Politikberatung in der Demokratie: Es geht darum, die i.d.R. mit Bekenntnissen zu umstrittenen Werturteilen belasteten und daher gelegentlich hoch emotionalisierten politischen Diskussionsprozesse in der demokratischen Öffentlichkeit auf die relevanten Alternativen zu fokussieren und gerade dadurch zu versachlichen.[49] Indem sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf |37|die Zweckmäßigkeit institutioneller Arrangements lenkt, kann – und ‚soll‘ – die Ökonomik als Wissenschaft die Bürger darin unterstützen, ihre eigenen Interessen zu verwirklichen, d.h. als Gesellschaft nicht unter ihren Möglichkeiten zu bleiben.[50]
Die heuristische Funktion des Konsenskriteriums besteht also darin, die positive Forschung so auszurichten, dass jene intellektuellen Orientierungsleistungen möglich werden, mit denen die normative Analyse dazu beiträgt, demokratische Politikprozesse – verstanden nicht als Suche nach Wahrheit, sondern als Suche nach rationalen Kompromissen – konstruktiv voranzubringen. Hierzu ist es erforderlich, status-quo-orientiert an den vorfindlichen Interessen der Bürger anzusetzen: Ausgehend vom Status quo, an dem sich politische Interessenkonflikte entzünden, fungiert der – (gesellschafts-)vertragstheoretisch gedachte – Konsens als Referenzkonzept zur Strukturierung der Situation und dient damit der Identifizierung der politisch relevanten Alternativen. Ziel und methodisches Vorgehen konstitutioneller Ökonomik lassen sich mit Buchanan (1987a; S. 249) wie folgt angeben:
„The purpose of the contractarian exercise is … justificatory in that it offers a basis for normative evaluation. Could the observed rules that constrain the activities of ordinary politics have emerged from agreement in constitutional contract? To the extent that this question can be affirmatively answered, we have established a legitimating linkage between the individual and the state. To the extent that the question prompts a negative response, we have a basis for normative criticism of the existing order, and a criterion for advancing proposals for constitutional reform.“
Der Beitrag konstitutioneller Ökonomik zur wissenschaftlichen Politikberatung in der Demokratie besteht nicht darin, dass sie mit ihrem Konsenskriterium den Begriff der Demokratie quasi permanent im Munde führt, sondern darin, dass sie mit Hilfe der Konsensorientierung die positive Analyse heuristisch so ausrichtet, dass sie in normativer Hinsicht von deren umfänglichen Erklärungsleistungen Gebrauch machen kann. Es ist diese Leistungsfähigkeit, die – so Buchanan – gesteigert werden kann, wenn man den Einstieg in eine wissenschaftlich seriöse Normativität nicht über ein externes Ergebniskriterium idealer Effizienz, sondern über ein internes Prozesskriterium nicht-idealer Zustimmung wählt. Der Vollsinn des Konsenskriteriums erschließt sich erst dann, wenn man es als ein theoretisches Instrument interpretiert, dessen methodisch kontrollierter Einsatz darauf abzielt, die Realisationschancen ökonomischer Politikvorschläge forschungsimmanent zu erhöhen.
|38|3. Resümee
Worin liegt der Beitrag, den das Werk James Buchanans zu den theoretischen Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik leistet? Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie man das Werk liest. Die hier vorgeschlagene Lesart, die dezidiert methodische Fragen des Theoriedesigns betont und Buchanans Bemühungen um Konzeptualisierungen, um kategoriale Umstellungen, um diskursive Strukturierungen, um konstruktive Argumentationsaufrisse hervorhebt, gelangt dabei zu folgender Antwort: Die nachhaltige Bedeutung des Werks James Buchanans liegt darin begründet, dass es einen Weg theoretisch aufzeigt und praktisch beschreitet, auf dem die Ökonomik für normative Fragestellungen so geöffnet werden kann, dass sich Normativität als hypothetische Normativität im eigentlichen Sinne des Wortes ‚wertfrei‘ prozessieren lässt. Die Erklärungskraft des ökonomischen Ansatzes kann damit umgesetzt werden in intellektuelle Orientierungsleistungen, die die Wahrnehmung politischer Konfliktlagen verändern.[51]
Beispielsweise liegt die eigentliche Pointe der Unterscheidung zwischen СКАЧАТЬ