Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
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СКАЧАТЬ hinke. Wolle man etwas über die tatsächlichen fördernden und hemmenden Faktoren in der Wahl des Priesterberufes ausmachen, so gehe es nicht an, nur jene zu befragen, die schlußendlich auf dem direkten Weg zum Ziel stehen oder dasselbe schon erreicht haben; die Rechnung stimme erst dann, wenn sozusagen die Passiven einbezogen werden, […] es müßten auch die sogenannten ‚Ehemaligen‘, die ‚gescheiterten‘ Berufe einbezogen werden.“594

      Für die Auswertung der einzelnen Fragen stellte Crottogini die Antworten der „Ehemaligen“ statistisch mit den Antworten der Theologen in einer Tabelle dar. Die statistische Auswertung wurde oft noch um Zitate der Befragten ergänzt.595 Dann kommentierte er die Antworten, zog Schlüsse und/oder betrachtete sie je nachdem im Kontext der Theologie, der Psychologie und der Pädagogik. Schließlich bewertete er manchmal auch seine eigene Fragestellung dahingehend, ob sie ergiebig oder ergebnislos gewesen sei.

      Bei den äußeren Faktoren ergab sich z. B. ein annähernd gleicher Anteil von Teilnehmern ländlicher (50,4%) wie städtischer Herkunft (49,6%), bei leichtem Überhang ersterer. Dazu rekrutierten sich die Theologen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Vor allem Handwerker- und Bauernsöhne hätten ein besonderes Interesse am Theologiestudium. Die Geschwisterreihe und -anzahl beeinflusse die Wahl zum Priesterberuf, ebenso die väterliche Mitgliedschaft in einer christlichen Gewerkschaft.596 Den Religionsunterricht hätten viele Teilnehmer als unbefriedigend bewertet, zugleich habe er aber viele bei ihrer späteren Berufswahl beeinflusst. Das Fachstudium habe den Berufswunsch überwiegend gestärkt wie auch der regelmäßige Altardienst und das Vorbild geistlicher Persönlichkeiten.597

      Die Antworten auf die Fragen nach den inneren Faktoren fielen hingegen mehrheitlich unterschiedlich aussagekräftig aus. Mit Ausnahme der Antworten auf die Sexualfragen verfügte Crottogini nur über sehr bescheidenes Material, was die Interpretation erschwerte. Für Crottogini zeigte sich hier die Begrenzung der Fragebogenmethode, „die in bezug auf die saubere Erfassung einzelner innerpersönlicher Wirkkräfte nie an die Möglichkeiten der modernen psychodiagnostischen Methoden heranreicht.“598 Erkennbar sei aber: Die Teilnehmer seien meist gute bis sehr gute Volksschüler gewesen. In der Mittelschule habe es kleinere Notenverschiebungen nach unten gegeben. Die Mehrheit sei begabter in den sprachlichen Fächern, sodass Moderne Sprachen, Philosophie und Geschichte bei den Lieblingsfächern überwogen.599 Schwieriger zu interpretieren seien z. B. Angaben zur Selbsteinschätzung der Befragten gewesen, ob sie eher zu den Lebhaften, den Nervösen oder den Stillen gehörten. 203 Befragte zählten sich zu den Lebhaften, nur 5 zu den Nervösen und 217 zählten sich zu den Stillen. Auch der religiöse Eifer in Kindertagen sei nicht bei allen Befragten gleichermaßen auszumachen gewesen, sodass es „verfehlt [gewesen wäre], darin ein absolut notwendiges Zeichen für die Echtheit des Priesterberufes zu sehen.“600

      Zu den inneren Faktoren zählten schließlich die Fragen zu Sexus, Eros und Zölibat, die aus heutiger Sicht sehr vorsichtig wirken, für damalige Verhältnisse aufgrund ihrer Intimität aber eine wirkliche Besonderheit waren. So interessierte sich die erste Frage für kleine oder große sexuelle Schwierigkeiten in der Pubertät.601 Diese Frage wurde von 413 Schweizern (97,2%) und 191 Ausländern (97,4%) beantwortet. 286 der Schweizer (69,3%) und 122 der befragten Ausländer (63,9%) berichteten von großen sexuellen Schwierigkeiten. 127 Schweizer (30,7%) und 69 Ausländer (36,1%) gaben kleine sexuelle Probleme an. Alle blickten auf mindestens kleine sexuelle Schwierigkeiten in der Pubertät zurück, zwei Drittel sogar auf große. „Die Qualifikationen ‚groß‘ und ‚klein‘“, so Crottogini, „beziehen sich dabei nicht auf die objektive ‚Schwere‘ des Tatbestandes, sondern auf die Intensität, mit welcher die Schwierigkeiten damals empfunden wurden.“602

      Crottogini fragte sodann nach den genauen Ursachen und den Erscheinungsformen der Schwierigkeiten. Auf diese Frage antworteten ihm 323 Schweizer und 131 der ausländisch Befragten. Als größter Problembereich habe sich die Selbstbefriedigung erwiesen: 181 Schweizer (56%) und 68 der Ausländer (51,9%) gaben dies zur Antwort. Darauf folgten, wenn auch mit Abstand, unsaubere Phantasien (13,6%/15,3%), mangelnde Aufklärung (13%/14,5%), Verhältnisse zu Mädchen (9,3%/10,7%), homosexuelle Tendenzen (4,4%/3,8%) und Ängstlichkeit (3,7%/3,8%). Die Mehrheit, so Crottogini, habe oft jahrelang und schwer unter dieser Schwäche gelitten.603 Insgesamt hätten „von 621 Befragten mindestens 40,1% vor oder während der Pubertät längere oder kürzere Zeit sich der Selbstbefriedigung hin[gege]ben.“604 Den „effektive[n] Bestand der Onanisten“ setzte er aber noch höher an, weil er „von 167 Kandidaten keine oder nur ungenügende Angaben über die Richtung ihrer sexuellen Schwierigkeiten“605 erhalten habe. Die Höchstgrenze schätzte er auf 45%. Nach Vergleichen mit ihm vorliegenden „Onanistenstatistiken“ kam er zu dem Fazit, die zumindest zeitweise Selbstbefriedigung sei eine weitverbreitete Erscheinung unter Jugendlichen. Er schlussfolgerte weiter: „Daraus aber schließen zu wollen, nicht der Onanist, sondern der sich geschlechtlich Enthaltende sei die Ausnahme, scheint uns mindestens gewagt, wenn nicht eine vorzeitige und nicht bewiesene Verallgemeinerung.“606 Aus den Angaben einiger Teilnehmer, sie hätten gar nicht gewusst, was sie taten, schloss Crottogini auf den Zusammenhang zwischen mangelnder Aufklärung und Selbstbefriedigung.607

      Die dritte Frage lautete, ob Schwierigkeiten durch Fremdeinflüsse (Dritte) geweckt oder gestärkt worden seien. Dies bejahten 157 Schweizer (26,3%) und 60 Befragte der Vergleichsländer (31,4%). Die Mehrheit der Schweizer (106) gab eine direkte Verführung an (z. B. durch Aufklärungen von Gleichaltrigen). In seltenen Fällen sei es auch zu Verführungen durch Hausangestellte oder sogar Geschwisterkinder gekommen. Die sexuellen Schwierigkeiten seien in mehreren Fällen auch durch unsittliche Lektüre, Filme und Reklame bestärkt worden.608

      Im Anschluss fragte Crottogini, ob die Schwierigkeiten im Internat oder in den Ferien stärker spürbar gewesen seien. Die Antworten fielen hier jedoch sehr spärlich aus, da nur die überwiegend Schweizer Befragten in einem Internat lebten. 378 Schweizer (88,9%) beantworteten ihm die Frage. 153 schrieben, in den Ferien seien die Schwierigkeiten ausgeprägter gewesen, 147 hätten keinen Unterschied feststellen können. Nur 78 hätten die Probleme deutlicher im Internat empfunden. Dies erklärte Crottogini damit, dass „[d]er geregelte Tageslauf, die frohe Spiel- und Arbeitsgemeinschaft und die Schwierigkeit sich [im Internat; J. S.] abzusondern“, zumindest dem einen oder anderen Seminaristen „im Gegensatz zum allzu freien Ferienbetrieb eine starke Hilfe in den sexuellen Schwierigkeiten“609 geboten habe.

      Die Frage nach der Überwindung („Kamen Sie relativ rasch und leicht über die Schwierigkeit hinweg oder nicht?“) wurde immerhin von 392 Schweizern (92,2%) und 186 Ausländern (94,9%) beantwortet. Insgesamt seien zwei Drittel nur schwer über ihre sexuellen Probleme hinweggekommen, während es einem Drittel leichter gefallen sei. Nur sechs Kandidaten gaben an, ihre Schwierigkeiten noch nicht im Griff zu haben und noch immer regelmäßig zu masturbieren.610 Diese niedrigen Zahlen kämen zustande, folgerte Crottogini, weil „ein junger Mann, der nach erlangter Geschlechtsreife dem Sexualtrieb immer wieder unterliegt, in der Regel kaum den zölibatären Priesterberuf anstrebt.“611 Außerdem seien auch die Priestererzieher verpflichtet, einem solchen Seminaristen von seinem Wunsch abzuraten.612

      Zum Abschluss des Bereichs Sexus bat er um Auskunft, ob ihr Priesterberufswunsch durch diese Pubertätsschwierigkeiten ernsthaft in Frage gestellt worden sei. Alle antworteten, davon 200 Schweizer (47,1%) und 65 Ausländer (33,2%) bejahend.613 Die Mehrheit von 221 Schweizern (52%) und 115 Ausländern (58,7%) sahen ihren Berufswunsch dadurch nicht in Frage gestellt. Nur sieben Schweizer und 16 Ausländer gaben an, zur Zeit der Schwierigkeiten sei der Berufswunsch noch nicht vorhanden gewesen.614 Diejenigen, deren Wunsch ins Wanken geraten war, fühlten sich aufgrund ihrer sexuellen Verfehlungen nicht mehr würdig und fähig, einst dem hohen und reinen Priesterideal gerecht zu werden.615 Crottogini merkte hier an, viele der Jugendlichen übersähen die einfache Tatsache, „daß die vom Priesterberufsideal geforderte sichere Beherrschung des Sexualtriebs im Normalfall erst der Preis für ein langes, hartes, oft von Niederlagen gezeichnetes Ringen СКАЧАТЬ