Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
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СКАЧАТЬ menschlichen Gesellschaft allzuweit entfernt sind, werden sie später nicht leicht weder mit dem einfachen Volk noch mit den Gebildeten umgehen können, und es wird ihnen nur zu leicht passieren, daß sie sich entweder dem christlichen Volke gegenüber ungeschickt benehmen oder ihre eigene Erziehung ungünstig beurteilen. Daher muß man dafür sorgen, daß die Zöglinge allmählich und klug in die innersten Gedanken und Wünsche des Volkes eindringen, damit sie nicht, wenn sie einmal im Priesteramt sind und in der Seelsorge arbeiten, unsicher in ihrer Tätigkeit sind. Das würde nicht allein sie selber verwirren, sondern auch ihr priesterliches Wirken beeinträchtigen.“511

      Darüber hinaus wurde auch die Anpassung der Ausbildung an die spätere Seelsorgetätigkeit gefordert, weil die Verlautbarungen des Hl. Stuhles in diesen Jahren vermehrt als „monolithische Konzepte ohne realistischen Bezug zu ihrer Zeit“512 empfunden wurden. Über die Ausbildungsinhalte sprach von Deschwanden im Hinblick auf die späteren Seelsorgetätigkeiten in einer Pfarrei noch 1968 von einer „Dysfunktion der Seminarausbildung“, weil die Studieninhalte der Seminaristen „nicht der Pfarreitätigkeit des späteren Priesters“513 entsprächen. Praktisch habe die Seminarausbildung nur wenig mit dem späteren tatsächlichen Arbeitsbereich des Priesters gemein.514 Man zweifelte, ob das zeitgenössische Ausbildungssystem die Kandidaten so effizient wie möglich auf ihre pastorale Tätigkeit vorbereitete.515 Stattdessen sah man in der Ausbildung

      „lediglich die geforderten Voraussetzungen für diesen Dienst [geschaffen] und […] der Normierung und Strukturierung des Glaubensdiskurses [gedient] […]. Der kulturelle Rahmen des Priesterseminars entsprach zudem in keiner Weise der technisch-rationalen Welt der Moderne, mit welcher der Priester später konfrontiert werden sollte. Die Ausbildung war geradezu geprägt von einer systematischen Weltentfremdung.“516

      Schließlich sollten Änderungen in der Ausbildung persönlichen Krisen vorbeugen. Die Schwächen der Seminarausbildung zeigten sich gerade bei Neu-Priestern: Jene „Bewahrungs- und Gewöhnungspädagogik“517 in der Ausbildung wirkte sich nach dem Studium oft negativ aus und führte teils schon früh zu Berufskrisen. Durch die starren Strukturen in der Ausbildung war die Gewöhnung an Tagesabläufe und Riten gewährleistet, ihre Ausführung war teilweise sogar mit „legalistischen Erfüllungszügen“518 zu vergleichen. Mitunter wurde der „rhythmisierte Tagesablauf im Seminar zum höheren Gesetz auch um der Disziplin willen, er stellte eine Form der Gehorsamsübung dar.“519 Wenn der äußere Gehorsamszwang nach dem Studium bzw. nach der Priesterweihe jedoch wegfiel und ein Neu-Priester zuvor Erlerntes und Geübtes nicht habituell verkörperte, war die Krise oft nur eine Frage der Zeit.520 Nicht selten wurde dann die Sinnhaftigkeit dieser Strukturen angezweifelt und hinterfragt. Dieses Problem anerkannte Pius XII., als er 1950 eingestand, dass ehemalige Seminaristen „ihre eigene Erziehung ungünstig beurteilen.“521 Trotzdem wurde weiterhin die Selbstheiligung des Priesters und der Gehorsam als Fundament aller Tugenden und Wille Gottes betont.522

      Drastischer als Pius XII. formulierte es 1954 wiederum Weihbischof Reuß: Diese regelnde Einwirkung auf die Seminaristen dürfe unter keinen Umständen zur Dressur werden, die sich in disziplinären Maßnahmen zur Erreichung äußerer Korrektheit erschöpfe: „Das Ergebnis wäre der nur äußerlich korrekte Priester.“523 Nur äußerliche Korrektheit sei aber ein Gegensatz zum echten Zeugnisleben. Die regelnde Einwirkung müsse deshalb in strenger Güte, mit viel Geduld und immer mit Begründung anleiten, persönliche Fehler zu bekämpfen. Die bildende Einwirkung unterscheide am stärksten die Erziehung von Dressur. Sie vermittle Einsichten, die als Werterkenntnisse zu Motiven für den freien Willen werden könnten.524 Von Vorschriften und Regeln im Seminar, die nicht zwingend gefordert und zum Hineinwachsen in die priesterliche Existenz nicht unbedingt nötig seien, riet er ab.525 Die Hausordnung solle kein Selbstzweck sein.526 Stattdessen empfahl er einen Ordnungsrahmen, „dessen gewissenhafte Beobachtung wirklich möglich ist, mit Recht als Pflicht betont wird und innerhalb dessen doch zugleich auch eine eigene Lebensgestaltung möglich ist.“527 Darin sah er die Möglichkeit, die Kandidaten zu einem echten Pflichtbewusstsein und damit auch zu einem aufrichtigen Verantwortungsbewusstsein erziehen zu können. Er wandte sich deshalb an die Priestererzieher, deren „psychologisch und pädagogisch richtig zu gebenden motivierenden Hinweise […] den Charakter des Rates und nicht wie die Rahmenordnung den Charakter der Verpflichtung“528 haben sollten.

      Hinzu kam, dass das Leben der Seminaristen aufgrund des Priesterbildes auch zur Mitte des 20. Jahrhunderts bis in das kleinste Detail einer übergenauen Struktur und Reglementierung ausgesetzt war. Das Ziel der Abschottung war stets, Kontakte nach außen zu unterbinden und damit die Homogenität der Gruppe zu fördern.529 Und selbst innerhalb der geschlossenen, homogenen Gruppe des Seminars versuchte man die Seminaristen mehrheitlich noch zu Einzelgängern zu erziehen530 – „Interaktionen mit anderen Bezugsgruppen wurden systematisch gemieden oder verhindert.“531 Die Seminaristen waren von der Außenwelt weitgehend isoliert, befanden sich aber zumindest in einem ihnen bekannten Umfeld.532 Nach dem Seminar – als zur Totalabstinenz verpflichteter Priester in einer noch fremden Pfarrei – kam deshalb nicht selten Einsamkeit auf, wenn die vertraute Umgebung und Gemeinschaft wegbrachen.533 Schließlich war es ein Zusammenspiel dieser Faktoren, das spätere Krisen begünstigte:

      „Die Isolation der Seminare, die engstirnige Sicht auf das Leben, eine falsche Vorstellung der Tugend des Gehorsams, Tradition, die nicht lebendige Tradition ist, sondern schlicht Überbleibsel vergangener Zeiten, eine Inzucht an Fähigkeiten – das sind nur ein paar der vielen Fäden in dem Geflecht an Ursachen.“534

      Im Wesentlichen hielt sich das System der genauen Regelungen und Reglements durch die Seminarordnungen, die teils schon weit vor dem CTC/1917 erlassen wurden, aber bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil.535 „Da und dort durchgeführte kleine Erleichterungen änderten nichts an der grundsätzlichen Tendenz.“536 Crottogini setzte mit seiner Arbeit in eben diesem Spannungsfeld zwischen idealisierter Einsamkeit einerseits und der realen existenziellen, emotionalen Einsamkeit im Sinne fehlender körperlicher Nähe und erfüllenden zwischenmenschlichen Beziehungen andererseits an.537

      Die konzeptionellen wie praktischen Probleme der Priesterausbildung waren Crottogini aus seiner eigenen Seminarzeit wie auch aus seiner Zeit als Erzieher bekannt, weshalb er vor den konkreten Ergebnissen im Vorfeld auch keine Angst verspürte. Mit Methoden der empirischen (Berufs-)Soziologie und Psychologie suchte er nach möglichen statistischen Gesetzmäßigkeiten, die Aufschluss über die Situation der Priesterberufsfindung geben könnten. Ausgangspunkt seiner Arbeit war „die Grundannahme, dass die Priesterberufswahl von soziologischen, erbbiologischen, psychologischen und pädagogischen Faktoren abhängt“538.

      Für seine Analyse wollte Crottogini zunächst empirisch-soziologisch die inneren und äußeren, die fördernden und die hindernden Faktoren untersuchen, die die Wahl des Priesterberufes beeinflussten. Im Anschluss hatte er eine berufspsychologische Interpretation und eine pädagogische Auswertung der erhobenen Ergebnisse geplant.539 Obwohl von Léon Walther zu dem Projekt inspiriert, begann die tatsächliche Arbeit daran unter der Betreuung von Eduard Montalta.540 Unter der Leitung Montaltas und „in enger Fühlungnahme mit einer ganzen Reihe führender Theologen und Priestererzieher“ ging Crottogini zunächst „mit der grösstmöglichsten Vorsicht ans Werk.“541 Zuerst war zu entscheiden, wie die Daten am besten erhoben werden konnten. Zur Auswahl standen die „freie Form“542, bei der die Versuchsperson sich mündlich oder schriftlich frei zu einem bestimmten Thema äußert, oder ein vorher festgelegter Rahmen an Fragen in Form eines Fragebogens. Eine mündliche Erhebung wäre, da war sich Crottogini sicher, sehr zeitintensiv geworden, weshalb für ihn schnell die schriftliche Erhebung feststand. Sowohl eine СКАЧАТЬ