Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
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СКАЧАТЬ Seminaristen zu entdecken, „auf daß sie nicht erst nach mehreren Semestern und vielleicht erst nach dem einen oder anderen verhängnisvollen Fehlgriff ihren Weg finden.“445 Vor allem die Masturbation unter Seminaristen wurde als ein geläufiges Problem gesehen, denn ihr widmeten sich die Richtlinien besonders ausführlich.446

      Schon seit dem Mittelalter gehörte die Verurteilung der „Selbstschändung“ oder „Selbstbesudelung“447 aufgrund einer sexualbiologischen Interpretation zur Tradition der Kirche.448 Grundsätzlich war die gelebte Sexualität ausschließlich der Ehe vorbehalten und die eigene Reinerhaltung sittliche Pflicht.449 Der Geschlechtsakt wurde als Mittel zum Zweck gesehen und nur das Ziel der Fortpflanzung legitimierte ihn. In der Folge galten alle geschlechtlichen Akte, die nicht zur Zeugung offen waren, als sündhaft. Diese Sünden der Unkeuschheit wurden zudem in solche intra naturam (innerhalb der Natur) und contra naturam (gegen die Natur) geteilt. Bei ersteren bleibe der gottgewollte Fortpflanzungszweck gewahrt, etwa bei vorehelichem Geschlechtsverkehr, Vergewaltigung und Ehebruch. Letztere, beispielsweise die Masturbation, der Verkehr mit Tieren oder Analverkehr, verstoße gegen die gottgewollte Zeugungsoffenheit.450 Diese Sünden würden schwerer als solche innerhalb der Natur bewertet, hieß es bei bekannten Moraltheologen.451

      1951 wiederholte Papst Pius XII., der einzige Ort sittlich erlaubter geschlechtlicher Akte sei die Ehe, und auch dort sei die Sexualität nur unter der Voraussetzung der Offenheit für Zeugung legitim.452 Wenig später wies er

      „als irrig die Behauptung derjenigen zurück, die Verfehlungen in den Jahren der Reifezeit als unvermeidlich erachten, von denen man nicht viel Aufhebens machen sollte, als seien sie keine schwere Schuld, weil, wie sie erklären, für gewöhnlich die Leidenschaft die Freiheit aufhebe, die nötig ist, damit jemand für seine Handlung sittlich verantwortlich sei.“453

      Es half auch nicht, die Selbstbefriedigung als natürlich zu betrachten, weil zunehmend die positive Bewertung der Natur kritisiert wurde, dass alles, „was für naturgemäß gehalten wird, was irgendwie mit der Natur zusammenhängen soll, […] ohne weiteres als gut und erstrebenswert, ja geradezu als heilig [gilt].“454 Diese „moderne Naturbejahung“ gefährde jegliches Vollkommenheitsstreben und sogar den Zölibat, „der ja von der naturgemäßen Linie abbiegt“455. Nicht jede menschliche Naturregung und nicht jeder Trieb müsse bejaht werden, so wie nicht jeder Kampf gegen Triebe unnatürlich sei. Selbst Priester würden heute schon „gegen die genuin christlichen Haltungen der Selbstüberwindung und Abtötung verschiedentlich“ ankämpfen, „theoretisch und noch mehr praktisch“456. Im Christen müsse sich die Natur unbedingt eine Beschneidung gefallen lassen.457 Der Verzicht auf die sündhafte Selbstbefriedigung galt als Ausdruck dieser Beschneidung. Neben die Sündhaftigkeit der Selbstbefriedigung traten zudem seit dem 18. Jahrhundert die Mythen von körperlichen Auswirkungen, die man der „Selbstschwächung“ nachsagte: Verblödung, Auszehrung, Mattigkeit, Verdauungsprobleme, Sehstörungen, Gedächtnisschwäche und sogar Knochenmarkverlust.458

      Die Richtlinien der Fuldaer Bischöfe rieten deshalb, Verfehlungen gegen das 6. Gebot, etwa die „starke Gewohnheit der Selbstbefriedigung“459, mit Blick auf die „Berufseignung sehr ernst zu bewerten.“460 Differenziert wurde nach der bewussten Handlung des Seminaristen, der Häufigkeit und der Stärke der Versuchung:

      „Hat einer im allgemeinen weniger starke Versuchungen, aber versagt er, falls diese einmal heftig auftreten, fast regelmäßig, so ist dies noch ernster zu beurteilen, als wenn einer oft starke Versuchungen durchkämpfen muß, aber die Fälle, in denen er versagt, gering an Zahl sind gegenüber den Versuchungen.“461

      Würden sich Verfehlungen wiederholen, die „mit Eintritt der Pollution“ als „jugendliche Balgereien“462 abgetan werden könnten, solle der Beichtvater über einen längeren Zeitraum eine gewissenhafte Berufsprüfung vornehmen. Zeige sich jedoch schon zu Beginn des Studiums eine „stark sinnliche[] Veranlagung […], die nicht hinreichend gemeistert wird, […] so ist ihm von vornherein der Rat zu geben, den Beruf zu wechseln.“463

      Deutlichere Worte hinsichtlich der beruflichen Konsequenzen fanden die Bischöfe bei „[g]ewohnheitsmäßige[r] Selbstbefleckung bei vollem Wachsein“464: Könne der Seminarist diese Gewohnheit nicht rechtzeitig überwinden, müsse er in diesem Fall das Theologiestudium aufgeben.465 Der Überwindung der Selbstbefleckung zum Zeitpunkt des Wachwerdens sei ggf. ein längerer Zeitraum zu gewähren. Doch auch hier solle der Beichtvater von dem Seminaristen einen Berufswechsel fordern, falls dieser sich nach einem Jahr seine Gewohnheit noch nicht abgewöhnt hätte.466 Denn „[e]ine Berufung auf Halbschlaf“ dürfe nicht dazu dienen, „Dinge zu entschuldigen, die objektiv und subjektiv Sünde sind.“467 Schließlich seien auch in der Regel diejenigen abzuweisen, die „im letzten Jahre vor dem Introitusexamen eine größere Zahl von Einzelrückfällen erleide[n]“468, auch wenn es sich um keine Gewohnheit handele. Mildere Urteile erlaubten die Bischöfe in ihren Richtlinien bei Kandidaten kurz vor der Subdiakonatsweihe. Hier sei zu unterscheiden, ob die Verfehlung echt freiwillig begangen oder etwa die Pollution aufgrund nervöser Erregung herbeigeführt worden sei.469 Für diejenigen, die sich schon vorher wegen „nervöse[r] Erektionen“ gewohnheitsmäßig der „nervös-aktiven Pollution“470 hingegeben hätten, galt ebenfalls eine zeitliche Frist, um ihre Gewohnheit zu überwinden.

      Zur Umsetzung der Richtlinien sollten die Beichtväter bei triftig begründeten Fragen zum sittlichen Verhalten des Kandidaten in der Vergangenheit darauf achten, wer die offene Auskunft verweigere. Denn dies gebe „zu ernsten Bedenken gegen seinen Beruf Anlaß.“471 Beichte ein Seminarist bei einem fremden Beichtvater eine nicht einmalige oder sehr seltene schwere Sünde gegen das 6. Gebot, solle der Beichtvater dem Pönitenten nahelegen, über die Sünde auch seinen ständigen Beichtvater zu unterrichten. Sei der Pönitent dazu nicht bereit, müsse der Beichtvater selbst die Berufsprüfung vornehmen.472

      Sechs Jahre nach dem Erscheinen der Richtlinien der Fuldaer Bischofskonferenz veröffentlichte auch das Bischöfliche Generalvikariat Münster konkrete Richtlinien, um die Priesterberufe zu beurteilen und zu fördern.473 Mit den Fuldaer Richtlinien von 1946 als Vorbild wiederholte die Münsteraner Veröffentlichung unverändert, wann eine Handlung als Gewohnheit zu bewerten sei, nach welchem Zeitraum die Gewohnheit als überwunden gelten könne und wie es moralisch um die Pollution im Halbschlaf stehe.474 Inhaltlich gab diese Veröffentlichung nichts Neues her. Und doch ist die Publikation an sich bemerkenswert, weil sie widerspiegeln könnte, dass die nur wenige Jahre alte Veröffentlichung der Fuldaer Bischofskonferenz nicht die gewünschte Rezeption fand, die Sorge um die sündhaften Verfehlungen angehender Priester 1952 noch immer aktuell war und deshalb eine Einschärfung der bestehenden Regelungen angebracht schien.

      Ende 1955 folgte schließlich ein an die Ortsordinarien gerichtetes Zirkularschreiben der Sakramentenkongregation, das die Durchführung der 25 Jahre zuvor ergangenen Instruktion Quam ingens sicherstellen sollte, weil sie nicht (mehr) die nötige Beachtung finde.475 Den Professoren der Moraltheologie wurde es zur besonderen Pflicht gemacht, die Alumnen - besonders vor den höheren Weihen – über die Inhalte der Instruktion ausführlich zu informieren.476 Ein besonderes Anliegen der Sakramentenkongregation war die Beachtung und Befolgung deshalb, weil sie sich davon einen Rückgang an Weihenichtigkeitsprozessen versprach. Die Zahl klagender Priester habe zugenommen, die behaupteten, ihre Seelenführer hätten ihnen trotz offenkundiger (psycho-)sexueller Anomalien nicht von der Weihe abgeraten.477 Obwohl sie sich bisweilen bis kurz vor dem Empfang der höheren Weihen verfehlt hätten, habe man ihnen geraten, an ihrer vermeintlichen Berufung festzuhalten. Diese Priester behaupteten, mit den Vorschriften der 1930er Instruktion nicht vertraut gewesen zu sein478, und seien nun so unverdrossen, von der kirchlichen Autorität zu fordern, die Irrtümer, die durch ihre Beauftragten entstanden seien, mit einer Befreiung aller durch die Weihe entstandenen СКАЧАТЬ