Название: Zensur im Dienst des Priesterbildes
Автор: Jessica Scheiper
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
isbn: 9783429064198
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Er legte neun Priestern und 31 Theologiestudenten ein vorläufiges Frageschema vor und bat die Teilnehmer, den Bogen nach bestem Können auszufüllen. Er hoffte auf eine kritische Rückmeldung mit Blick auf den Inhalt und die Form. Abschließend fragte er, ob man es persönlich vorzöge, den Fragebogen zu beantworten oder den Werdegang des Berufes frei zu schildern. Die Mehrheit der Teilnehmer sprach sich für den Fragebogen aus, womit für Crottogini die Entscheidung gefallen war, die Erhebung mit Hilfe eines Fragebogens auf diese Art durchzuführen.544
Crottogini entschied sich damit für eine der zeitgenössisch gängigen Methoden der empirischen Berufswahlforschung: der Erhebungsmethode. Die Erhebungsmethode kennzeichnete sich durch spontane oder erfragte Selbstäußerungen aus, von denen er sich erhoffte, äußere Tatbestände und innere Gesinnungen ermitteln zu können.545 Bewusst entschied er sich damit zugleich gegen Methoden der Selbstbeobachtung oder der reinen Fremdbeobachtung. Denn die das Berufsbewusstsein anregenden oder auslösenden Momente seien, so begründete er, niemals durch äußere Symptome, sondern nur durch eine vertrauenswürdige Antwort festzustellen. Diese Antworten bedürften allerdings im Anschluss einer Verifizierung, um sie tatsächlich nutzen zu können.546
Damit erwies Crottogini sich nicht nur bei der Themenwahl, sondern auch bei der Vorgehensweise als Kind seiner Zeit. Seit der Nachkriegszeit hatte sich auch in den deutschsprachigen Ländern als beliebter Ansatz der empirischen Sozialforschung die Soziographie entwickelt.547 Beim soziographischen Ansatz wurden eingrenzbare soziale Einheiten „beschrieben und in ein gesellschaftliches Kräftefeld und Bedingungsgefüge hineingestellt. Auf diese Weise lassen sich die sozialen Ursachen analysieren, welche auf bestimmte Handlungsformen oder Organisationsmuster begünstigend oder hemmend einwirken.“548 Die Soziographie hatte jedoch schon bald deutliche Konkurrenz von der Demoskopie bekommen. In der Nachkriegsgesellschaft wurden viele Marktforschungsunternehmen gegründet, die sich zunächst mit konsumorientierten Fragen beschäftigten. Schnell kamen aber auch zahlreiche Meinungsforschungsunternehmen hinzu, die Meinungen, Einstellungen oder Verhaltensweisen empirisch erhoben.549 Bei der Erhebung ihrer Ergebnisse gab es zwar Schnittstellen, doch hatte sich die Meinungsforschung als eigene Methode parallel seit den 1930er Jahren entwickelt. Mit Meinungsforschung oder Demoskopie waren all jene Methoden gemeint, „die auf dem […] Verfahren der Auswahl einer ‚repräsentativen‘ Stichprobe (Quota-Sample oder Random-Sample) basieren, um Meinungen, Einstellungen, Motive oder auch Verhaltensweisen empirisch zu erheben.“550
Crottogini verband so verschiedene Ansätze miteinander, weil er nicht nur an der Quantität der Priesterberufe, sondern mehr „qualitativ an der Berufspraxis des Priesters“551 interessiert war. Die Daten erhob er mit Fragebögen, obwohl in katholischen Kreisen gerade diese Methode in den 1950er Jahren immer wieder für Diskussionsstoff sorgte. Die Einstellungen zu dieser Methode waren ambivalent, die Rezeption ihrer Ergebnisse zögerlich.552 Grund war nicht zuletzt der 1948 erschienene erste Kinsey-Report, dessen – so fasste man es katholischerseits auf – „wissenschaftliche Forschungsergebnisse auf diesem Gebiete mit all ihren delikaten Details wahllos der lüsternen Sensationslust der Menge als Beute vor[ge]w[o]rfen“553 wurden. Im katholischen Milieu war die Soziologie mit ihren Methoden damit in Verruf geraten. „Und die im Rahmen der katholischen Moralvorstellungen mit Notwendigkeit bestehende Brisanz des Themas Sexualität verstärkte die negativen Rückwirkungen auf die Rezeption der Technologie in der Kirche.“554
Man unterstellte ihr einen primitiven Erkenntnisdrang, Szientismus und fehlende Ehrfurcht verbunden mit „Indiskretionsmanie“555. Dennoch wurden auch von und für Katholiken Umfragen zu verschiedenen Themen begonnen, aber die Popularität, die Umfragen und Fragebögen in anderen Kreisen genossen, war katholisch mehrheitlich gedämpft.556 Diese ablehnende Haltung weiter katholischer Kreise war auch Crottogini nicht verborgen geblieben. Möglicher Schwierigkeiten des Projekts war er sich somit bewusst, als er mit den Arbeiten an seiner Dissertation begann.557
Franz-Xaver von Hornstein558, Professor der Pastoraltheologie in Fribourg, der über das Projekt informiert war, gab den Rat, sich vielleicht besser vorab bei den verantwortlichen Erziehern in Priesterseminaren und Ordensgemeinschaften zu erkundigen, ob man von dort Mithilfe erwarten dürfe.559 Crottogini befolgte den Rat und erbat daraufhin bei über 20 Ordensoberen, Novizenmeistern und Seminarvorstehern aus den deutschsprachigen Ländern mündlich oder schriftlich eine grundsätzliche Stellungnahme zu seinem Vorhaben, verbunden mit der Anfrage, ob er bei der Durchführung mit ihrer Unterstützung rechnen dürfe.560 Von den 21 schriftlichen Anfragen, die er verschickt hatte, erhielt er von zwei Angeschriebenen keine Antwort, zwei lehnten aus theologischen Gründen ab, die große Mehrheit von 17 Verantwortlichen sicherte ihm aber schriftlich ihre Unterstützung zu.561 Nicht nur ihm persönlich bekannte Priestererzieher gaben positive Rückmeldungen: So antwortete ihm z. B. Prälat Blasius Unterberger, Regens des Priesterseminars in Graz, am 23. Juli 1951:
„Sie haben sich ein sehr interessantes, aber auch ein schwieriges Thema zur Bearbeitung gewählt. Ich bin gern bereit, unseren Theologen die Fragebogen vorzulegen und ihnen auch die entsprechenden Hinweise zu geben, worauf es bei solchen Erhebungen ankommt, damit sie nicht das schreiben, wie es sein soll oder wie sie es gewünscht hätten, sondern wie es war und ist.“562
Robert Weber, Regens des Priesterseminars St. Peter der Erzdiözese Freiburg i. Br., antwortete ihm am 15. Oktober 1951:
„Ich erkläre mich gern bereit, dass Sie die Alumnen unseres Seminars in den Kreis der Befragten einbeziehen. Damit die Herren Ihnen lieber und unbefangener antworten, schlage ich vor, dass Sie sich selber an Sie wenden und die Regentie [Seminarvorstand; J. S.] auch nicht einmal als Vermittlerin auftritt. […] Ich interessiere mich sehr für Ihre Unternehmung.“563
Ebenfalls eine positive Antwort kam von Augustin Frotz564, Regens des Priesterseminars der Erzdiözese Köln in Bensberg, am 29. September 1951:
„Gerne will ich Ihnen behilflich sein. Die Frage nach dem Priesternachwuchs darf uns ja nicht ruhen lassen. Gewiss ist die Berufung Gnade, aber wer in der Theologen- und Priesterausbildung steht, weiss, wie bedeutsam die natürlichen Voraussetzungen sind“565.
Diese Rückmeldungen bestärkten Crottogini darin, mit dem Erstellen des endgültigen Fragebogens zu beginnen. Nach einigen Anläufen und Korrekturen wies der Bogen schließlich 85 Fragen auf. Vier komplexere Kategorien unterteilten den Fragebogen, um ihn etwas aufzulockern und auch übersichtlicher zu machen.566 In der ersten Kategorie waren die Fragen zu finden, die Heimat und Familie des Befragten betrafen. In der nächsten Kategorie ging es um die Probleme der Volks- und der Mittelschulzeit. In der dritten Kategorie waren all jene Fragen zusammengefasst, die die eigentliche Genese des Berufswunsches und des Berufswillens angingen. In der vierten und letzten Kategorie kamen Fragen zum Fachstudium. Von dieser endgültigen Fassung ließ Crottogini 650 deutsche und 250 französische Exemplare drucken.567
2.2.1.2 Die praktische Durchführung
Nach den notwendigen Vorarbeiten konnte Crottogini im Spätherbst 1951 endlich mit der tatsächlichen Erhebungsarbeit beginnen. Mit Ausnahme von fünf Einrichtungen durfte er seine Erhebungen in allen angefragten Ausbildungsstätten ohne Schwierigkeiten durchführen.568 Geografischer Schwerpunkt der Befragungen war die Schweiz. Fünf diözesane Priesterseminare, ein Theologenkonvikt und 24 Studienhäuser von insgesamt 19 verschiedenen Gemeinschaften (Orden, Kongregationen und Gesellschaften) beteiligten sich an seiner Erhebung.569 Zum Vergleich erhielten noch je zwei deutsche und österreichische Weltpriesterseminare und eine deutsche, eine französische und eine österreichische Ordenseinrichtung die Fragebögen. In den meisten Fällen übergab Crottogini die Bögen persönlich und konnte sich deshalb den Teilnehmern auch vorstellen. So konnten СКАЧАТЬ