Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zensur im Dienst des Priesterbildes - Jessica Scheiper страница 22

СКАЧАТЬ unveränderte Lage in den Seminaren auszutauschen. Es bedürfe keines Beweises, hieß es 1956, dass die Fragen des Schreibens „für unsere Konferenz eine gerade klassische Materie darstellen.“480 Mit Blick auf die beschriebenen späteren Weihenichtigkeitsprozesse diskutierten sie dort, ob nicht ein späterer Weihetermin helfen könne.481 Denn es sei nicht mehr zu übersehen, „dass ein nicht geringer Teil unserer Abiturienten, was die seelische Reife, die Ausreifung der Persönlichkeit angeht, noch in der Pubertät steckt. Wir müssen daher auch damit rechnen, dass die Schwierigkeiten, weil und insoweit sie Ausdruck der Reifeproblematik sind, sich länger hinziehen“482.

      Nicht alle tatsächlichen Problematiken waren jedoch mit einem Weiheaufschub zu beheben, weil es nicht nur altersbedingte Reifeproblematiken gab. Auch gesellschaftliche Einflüsse erschwerten die zeitgenössiche Priesterbildung, indem sich auch dort der Wunsch nach Veränderungen ausdrückte.

      Als Crottogini zu Beginn der 1950er Jahre in Priesterseminaren mit seinen Untersuchungen begann, war der gesellschaftliche Wandel und sein Einfluss auf die Kirche nicht mehr zu leugnen. Die traditionellen Hauptakzente der Seminarerziehung - die Trias Gehorsam, Ordnung, Abgrenzung – waren mehr und mehr ins Wanken geraten.483 Der Wandel beschränkte sich nicht nur auf die Priesterseminare, aber sie waren oftmals der Ausgangspunkt für weitere innerkirchliche Entwicklungen.484 Im Hinblick auf die Priesterseminare kam eine Theoriebildung in Gang, die die bisherige Erziehungssicherheit erschütterte, in der Begriffe wie „Mündigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstfindung, […] Demokratie und Gleichberechtigung, Brüderlichkeit und sach-, fach-, personengebundene Autorität eine bedeutsame Rolle spielten“485. Mit den Gesellschaftsstrukturen veränderte sich auch das Aufgabenfeld des Priesters. Defizite „der überkommenen Seminarerziehung [wurden] spürbar.“486 Zunehmend wurde die bisherige Seminarerziehung als reformbedürftig wahrgenommen, vor allem in den Erziehungsmethoden, den Idealen, den Ausbildungsinhalten und mit Blick auf die Anforderungen und Aufgaben der künftigen Priester.487

      Zum einen war da der Wunsch nach mehr Autonomie. Es gab in zunehmender Zahl Seminaristen, die mehr Selbstbestimmung und Freiheit für sich forderten488, die „mit dem Zustand und Erscheinungsbild der Kirche unzufrieden waren, die gewohnte priesterliche Lebensform als überholt ansahen und Umkehr und Erneuerung anstrebten.“489 Gleichermaßen gab es ehemalige Seminaristen, „die in der Praxis das Defizit an von der pädagogisch-wissenschaftlichen Theorie geforderten Grundhaltungen und Grundfähigkeiten spürten und dies wesentlich auf Fehler in der Erziehung zurückführten“490. Die Erziehung zur Disziplin und zum Gehorsam wurde von den Seminaristen oft als nicht mehr zeitgemäß empfunden, während die Verantwortlichen die zunehmende Disziplinlosigkeit beklagten.491 Doch auch unter manchen Lehrenden kam der Wunsch nach Veränderung in der Erziehung auf, was sich auch in der Praxis bemerkbar machte. Das blieb der Seminarkongregation nicht verborgen und veranlasste sie, gegen neue Erziehungsansätze Stellung zu nehmen. Sie wolle an einige „fundamentale Grundsätze der kirchlichen Formation“492 erinnern, schrieb sie, denn ein Mangel daran könne die korrekte Ausbildung des Kandidaten beeinflussen und damit auch dessen Erfolg im priesterlichen Amt.

      „Man hat den Eindruck, dass die Lehrenden, fernab davon, sich in Zurückhaltung zu üben, Neues und Unversuchtes ermutigen und nahezu davon besessen sind. Sie sind eher darüber beunruhigt, was dem Studenten besser gefällt, als darauf zu bestehen, was ihm am ehesten nützlich ist. Und sie haben nicht den Mut, Selbstverleugnung und Opfer einzufordern.“493

      Mehrfach wurde außerdem gefordert, die priesterliche Berufung als prozesshafte Entwicklung zu verstehen und die Priesterausbildung persönlichkeitsorientiert zu gestalten. Der „entwicklungsmäßige[] Abschnitt der Ausreifung, Festigung und Stabilisierung“494 ging meist zeitlich einher mit einem bewahrenden Erziehungsstil, der die Seminaristen vor bedrohlichen und herausfordernden Erfahrungen abschirmen sollte. Ohne es weiter zu thematisieren, ging man davon aus, dass „die äußerlich verfügte Bewährung vollkommen internalisiert wird im Blick auf das vorgegebene Ziel, das in einer Art Berufung oder Neigung bereits ausgeprägt erschien und in sich keiner besonderen Entwicklung mehr bedurfte.“495 Katholische Herkunft, religiöse Anlagen und eine rein intellektuelle Studierfähigkeit hatte man bisher als ausreichende Voraussetzungen einer Berufung angesehen. Die Berufs- und Glaubensentscheidung wurde irrtümlich als ein einmaliger Akt gesehen. Diese Entscheidung sollte im Seminar nur noch ausgestaltet und „gepflegt“ werden, indem man störende Faktoren abschirmte.496 Lange sei man der theologischen Auffassung gewesen, „Gott berufe Buben schon im Kindesalter zum Priester, und die Buben könnten diese Berufung auch schon sehr früh erkennen. Aufgabe der Seminarerziehung war es dann, die Berufung zu schützen und zur Reife zu bringen.“497

      Durch den allgegenwärtigen Gehorsam in der Ausbildung kam es zusätzlich zu einem Dilemma grundsätzlicher Art: Auf der einen Seite sollte mit der Seminarausbildung die Loyalität der Seminaristen und späteren Priester gegenüber der Kirche gesichert werden. Auf der anderen Seite sollten im Seminar charismatische Priester erzogen werden, „die sich, einmal in der Öffentlichkeit stehend, vom ersten Tag an durch einen diffusen persönlichen Einfluß auf die normative orientierung anderer auszeichnen soll[en].“498 Die Seminarerziehung, die aber weder Selbstständigkeit noch Eigenverantwortlichkeit förderte, stattdessen auf die vorausgesetzte Lenkungsbedürftigkeit mit Gehorsam und Zucht reagierte, erreichte dieses Ziel hingegen nur schwer.499 Vielmehr kollidierte die aus der kirchlichen Sicht notwendige Prägung der Seminaristen, „die Erzeugung der erforderlichen moralischen Einstellung zur Kirche und die Anerkennung und Internalisierung ihrer internen Machthierarchie und deren Normen […] mit dem Ziel der sukzessiven Entwicklung charismatischer und patenter Persönlichkeiten“500. Die Verbindung dieser beiden Ziele nannte auch der Soziologe Leo von Deschwanden „eine außergewöhnliche, permanente Organisationsleistung“501, weshalb es in den meisten Fällen bei einem Wunschdenken blieb. Der Historiker Thomas Forstner bezeichnete diesen Spagat zwischen der spezifischen Sozialisation der Seminaristen und ihrem „späteren Interaktionsnetz“ als einen „scharfen Gegensatz“502.

      Der als „Pionier der Priesterausbildung“503 geltende Mainzer Regens Weihbischof Josef Maria Reuß forderte schon 1954, vermehrt auf die Persönlichkeitsentwicklung der angehenden Priester zu achten.504 Andere erkannten erst später, dass

      „viel Kummer und schreckliches psychisches Leid von Priestern in Not von einer Seminarausbildung verhindert werden könnte, die auf eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung abzielt. Die tragischen Priesterfiguren, deren Berufungen Schiffbruch erlitten, oder die sich schmerzhaft im Priestertum quälen, sind das schlagendste Argument für eine gesteigerte Sensibilität gegenüber den psychologischen Faktoren im Seminarleben. Für Seminaristen müssen die Bedingungen geschaffen werden, die ihnen helfen, sich so vollständig wie nur möglich während ihrer Jahre im Seminar zu entwickeln.“505

      In die gleiche Richtung gingen auch Reformwünsche der Gläubigen in den Gemeinden, die von den Defiziten der Seminarausbildung ebenfalls betroffen waren. Für den angestrebten „Uniformismus“ in der Priesterausbildung war die Isolation ein begünstigender Faktor506, die Kehrseite der Medaille war jedoch, dass nicht selten die vorherige „,Set-apart‘-Konzeption“507 des Seminars zu einem „Praxisschock“508 führte, wenn die Alumnen nach ihrer Weihe in den Seelsorgedienst zu treten hatten. Durch die weltabgewandte Erziehung waren möglicherweise seelische Kräfte für spätere missionarische Aufgaben gewonnen, worin die Berechtigung einer solchen Erziehung liegen durfte. „Durch bloße Abgeschlossenheit aber wachsen weder zutreffende Erkenntnisse noch Kontakte mit denen, die zu missionieren sind.“509 Als Priester sollten die ehemals isolierten Seminaristen mit einer Welt in den Dialog eintreten, der sie zuvor aus Angst vor schädlichen Einflüssen nicht einmal hatten begegnen dürfen.510 Papst Pius XII. hatte dieses Problem selbst erkannt und auch bereits 1950 öffentlich angesprochen:

      „Wenn СКАЧАТЬ