Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
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СКАЧАТЬ auf diese Wirklichkeit aufmerksam zu machen, damit er nicht den Mut und das Vertrauen in die Realisierbarkeit des hohen Berufsideals verliere. „Wir haben es hier mit einem Gefahrenmoment zu tun, das vor allem von den verantwortlichen Erziehern unserer studierenden Jugend ernst genommen werden muß.“617 In der Zusammenfassung dieses Abschnitts stellte Crottogini deshalb gerade die Unzulänglichkeiten der Erzieher nochmals klar heraus:

      „Rund zwei Drittel der befragten Priester und Priesteramtskandidaten hatten während der Reifezeit mit großen sexuellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Unter diesen Schwierigkeiten steht die Onanie an erster Stelle. […] Häufig und oft mit einem bittern Unterton wird von den Beantwortern darauf hingewiesen, daß ihnen viele dieser Schwierigkeiten erspart geblieben oder wenigstens erleichtert worden wären, wenn sie von den verantwortlichen Erziehern rechtzeitig aufgeklärt oder von einem Beichtvater in ihrer Not richtig verstanden worden wären. Bei schwach der Hälfte unserer Theologen führten die großen Schwierigkeiten der Reifezeit zu einer ernsthaften Gefährdung des jugendlichen Berufswunsches. […] Doch liegt die Vermutung nahe, daß es keine Ausnahmefälle sind. […] Es scheint, als ob von den maßgebenden Erziehern – wozu wir auch die Beichtväter der Jugendlichen rechnen – in der Behandlung der sexuellen Schwierigkeiten der Pubeszenten immer noch viel bloße Oberflächenarbeit geleistet wird, statt zu einer positiven, verstehenden Behandlung der Probleme vorzustoßen, wie sie uns vor allem von der Tiefenpsychologie nahegelegt wird.“618

      Zum Themenfeld Eros erfragte Crottogini, ob es jemals in der Pubertät oder danach eine tiefere Liebe zu einem Mädchen gegeben habe.619 Im zutreffenden Falle bat er, anzugeben, ob das Mädchen davon gewusst habe, ob es zu einer Freundschaft gekommen sei, wie lange diese ggf. gedauert habe und was die Trennung bewirkt habe. Abschließend wurde gefragt, ob sich diese Erfahrung positiv oder negativ auf die spätere Entwicklung ausgewirkt habe. Crottogini ging es bei diesen Fragen allerdings weniger um den sexuellen als um den Bereich der sinnlichen Anziehung und dessen Rückwirkung auf den Berufswunsch der Theologen.620 Von allen Befragten erhielt er Auskunft und etwas weniger als die Hälfte hatte von einer Liebe zu einem Mädchen zu berichten (41,9% Schweizer/46,9% Ausländer). Die knappe Mehrheit ohne solche Erfahrungen führte Crottogini zum Teil auf fehlende Kontaktmöglichkeiten zurück. Dem größeren Teil gestand er aber zu, sich schon vor der Reifezeit ausschließlich auf das Berufsideal des Priesters konzentriert zu haben. Im Konkreten gingen die Angaben auseinander: Bisweilen sei es bei einer einseitigen Liebe geblieben (37,4%/17,4%), teilweise habe es ein gegenseitiges Verliebtsein gegeben (12,6%/9,8%), mehrheitlich sei es aber zu einer echten freundschaftlichen Beziehung gekommen (50%/72,8%). Auch die Dauer dieser Erfahrungen hätte stark von mehreren Wochen bis hin zu mehreren Jahren variiert. Mancher Teilnehmer habe es absichtlich beim Verliebtsein belassen, ohne eine tatsächliche Freundschaft einzugehen, um sein Berufsziel nicht zu gefährden.621 Diejenigen, die eine Freundschaft eingegangen waren, hätten sie aber überwiegend positiv gewertet (von 154 Beantwortern 107 positiv, 13 negativ, 34 noch unklar wegen zu geringen zeitlichen Abstands). Acht der Befragten gaben an, die Freundschaft dauere aktuell noch an.

      „Es handelt sich in all diesen Fällen um eine rein erotische [in Abgrenzung zur sexuellen; J. S.] Beziehung, die von sieben im Hinblick auf ihre bisherige charakterliche und berufliche Entwicklung positiv gewertet wird. […] Beachtet werden muß, daß nur einer dieser acht Beantworter, ein 44jähriger Ordensmann, bereits Priester ist, während die andern sieben erst in den ersten Semestern des Theologiestudiums stehen.“622

      Aufgrund dieser Antworten stellte Crottogini die von ihm beispielhaft belegte gängige Ansicht in Frage, Mädchenfreundschaften seien für Priesterkandidaten schädlich.623 Für die Mehrheit der Teilnehmer registrierte er positive Auswirkungen solcher Freundschaften. Ob eine solche deswegen aber empfehlenswert sei, hielt er für nicht entscheidbar. Dazu müsse man die innere und äußere Entwicklung der Beantworter bis zum Ende verfolgen können:

      „Gelingt es nämlich dem jungen Menschen nicht, ein derartiges Liebeserlebnis sowohl verstandes- wie gefühlsmäßig positiv aufzuarbeiten, so kann es, wie die Tiefenpsychologie lehrt, nach Jahren oder gar Jahrzehnten plötzlich wieder im Bewußtsein auftauchen und dann für den reifen Mann und Priester noch zur Gefahr werden.“624

      Ende eine Beziehung nicht glücklich, bestehe eine nicht zu vernachlässigende Gefahr im möglichen „Weiberhaß“625, ‚jene[r] unselige[n] Verschließung und Verhärtung des Herzens, die den Priester unfähig macht für jeden echten seelischen Kontakt […] und […] ihn zum […] verbissenen und verbitterten Junggesellen werden läßt“626. Grundsätzlich gestand Crottogini aber ein, dass die Frage, ob und wie stark sich Mädchenliebe oder -freundschaft schließlich hemmend oder fördernd auf den Berufswillen der Theologen auswirke, mit den Mitteln seiner Erhebung von einem rein psychologischen Standpunkt aus keiner objektiven Lösung zuzuführen sei.627

      Im letzten Bereich thematisierte Crottogini schließlich den Zölibat.628 Die Teilnehmer sollten ihren Verzicht auf die eheliche Gemeinschaft und Familie aufgrund des Zölibats einstufen, und angeben, ob er ihnen leicht, schwer oder sehr schwer falle. Bei einer Antwort mit mindestens „schwer“, bat Crottogini noch um konkretisierende Ergänzungen: Ob es der Verzicht auf das eigene Kind und Heim sei oder der Verzicht auf die seelische Ergänzung durch eine verstehende Gattin oder die Angst vor der Macht des Sexualtriebes oder priesterlicher Einsamkeit. Antworten erhielt er von nahezu allen – von 606 Teilnehmern (98,9%). Zwei Fünftel bewerteten den Verzicht als leicht und waren somit von den Folgefragen nicht betroffen. Diese Teilnehmer waren überwiegend diejenigen, die zuvor angegeben hatten, keine Freundschaft mit einem Mädchen gehabt zu haben. 342 bewerteten den Verzicht als schwer, insgesamt 13 als sehr schwer. Die jeweiligen Begründungen dürfe man nicht exklusiv verstehen, erklärte Crottogini, weil viele Beantwortende mehrere Motive genannt hätten.629 Angst vor fehlender seelischer Ergänzung und den Verzicht auf Heim und Kind bereite die meisten Sorgen. Der Verzicht auf eine eigene Familie werde demnach als das größte Opfer empfunden. Der Verzicht auf sexuelle Betätigung hingegen spiele nur eine untergeordnete Rolle. Die geringe Angst vor priesterlicher Einsamkeit überraschte Crottogini nicht. Diese Einsamkeit sei zwar eine der schwersten Belastungen des Priesterlebens, doch „tritt […] dieses Belastungsmoment in den Jahren der Vorbereitung auf das Priestertum und auch in den ersten Priesterjahren weniger spürbar hervor.“630

      Im anschließenden Kapitel setzte Crottogini die erhobenen inneren und äußeren Faktoren in Beziehung zueinander und untersuchte, wie sie sich gegenseitig bedingt haben könnten. Dabei ging er zunächst auf den Zeitpunkt der Entstehung und die Umstände der Berufsgenese, die erste Bekanntgabe, die inneren und äußeren Krisen, die endgültige Festlegung auf den Ordens- oder Weltpriesterstand und schließlich auf die inneren und äußeren Motive der letztlichen Berufsentscheidung ein.631 Hinsichtlich der Entstehung des Berufswunsches arbeitete er drei Phasen heraus: Die erste Berufswunschphase war meist der kindliche Berufswunsch vor dem 11. Lebensjahr.632 Darauf folgte die Phase des Abenteuerberufswunschs zwischen dem 11. und 16. Lebensjahr.633 Theologen, die sich nach dem 16. Lebensjahr zum Priesterberuf entschieden, bezeichnete er als „Spätberufene“634. Bei 90%, so Crottoginis Ergebnis, sei schon vor dem 16. Lebensjahr eine Neigung zum Priesterberuf spürbar gewesen. Meist sei eine Beeinflussung von außen nötig gewesen (z. B. direkter persönlicher Kontakt mit einem Geistlichen, Primizfeiern, Exerzitien).635 Damit bestätige sich die Wichtigkeit dieser der katholischen Kirche von jeher bewussten Zusammenhänge.636

      Für ein objektiveres Bild zog Crottogini nun auch die Ergebnisse des „kleinen“ Fragebogens (des „Laien-Fragebogens“) heran, den diejenigen erhalten hatten, die ihr Berufsziel aufgegeben hatten.637 Dieser Fragebogen, der reinen Vergleichszwecken diente, zielte vornehmlich auf die Gründe und Umstände ab, ob und warum sich jemand erst für und schließlich gegen den Priesterberuf entschieden hatte. Crottogini kam auf diese Weise an Vergleichsmaterial von 627 Maturanden und 24 Laienakademikern. Von diesen gaben nun zwei Drittel an, sich in der Kindheit, in der Volks- und in der Mittelschulzeit ernsthaft damit auseinandergesetzt zu haben, СКАЧАТЬ