Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
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СКАЧАТЬ Halt zu gebieten. Ausschlaggebend sind die stärkenden Mittel der Religion.“372 Und diese sollten in einem regen Gebetsleben, der innigen Marienverehrung und den Buß- und Eucharistiesakramenten zu finden sein.373 Die gesunde Willensbildung war der Abschluss einer katholischen geschlechtlichen Erziehung. Das Ziel einer geschlechtlichen Erziehung sollten also keine „Hilfestellungen für eine erfüllte Sexualität“374 der Jugendlichen sein, sondern die Bindung an die kirchliche Sexualmoral.

      Eine geschlechtliche Erziehung mag dem einen oder anderen Seminaristen zuteil geworden sein. Im besten Fall war er zumindest aufgeklärt worden. Tatsächlich blieben die Vorkenntnisse der Jungen beim Eintritt ins Seminar doch recht unterschiedlich.375 Ein kirchliches Anliegen war es – um auch dem Priestermangel entgegenzuwirken –, „auf den verderblichen Einfluß der sog[enannten] Freundschaft mit Mädchen hinzuweisen. So kann man noch manchen Priesterberuf retten, der sonst durch den allzu freien Verkehr mit Mädchen im Keime erstickt worden wäre.“376 Ob das jedoch immer auch eine Aufklärung über biologische Vorgänge beinhaltete, ist fraglich.

      In der Seminarerziehung selbst spielte Sexualität nur eine untergeordnete Rolle, sodass meist erst in den höheren Semestern Körperfunktionen, Hygienevorschriften und Fragen der Moraltheologie besprochen wurden. Mangelhafte Kenntnisse konnten sich aber durchaus bei der Entwicklung des einzelnen Seminaristen denkbar negativ bemerkbar machen: Eine Konsequenz des Ausbildungsstils und des immer geforderten Gehorsams war bisweilen eine defizitäre wirkliche und reife Identitätsbildung, weil sie oftmals nicht oder nur schwer stattfinden konnte.377 Es gab einen „Mißbrauch der jugendlichen Reifungsphasen“378, weil die Identitätsbildung nicht nur nicht gefördert, sondern sogar bisweilen institutionell verhindert wurde. So gab es Priesterkandidaten, die sich körperlich zu Männern entwickelten, doch deren psychosexueller Entwicklungs- und Reifeprozess ausgeklammert wurde.379 „Von uns wurde erwartet, als Jungen in das Seminar einzutreten und es zwölf Jahre später als Priester zu verlassen; niemand dachte viel über die Notwendigkeit nach, Männer zu werden. ‚Wachstum‘ war kein Leitbegriff in dieser Zeit; wir waren zu ‚trainieren‘.“380 Ihre Sicht auf das Geschlechtliche blieb damit in vielen Fällen unreif;381 die Integration des Geschlechtlichen in die Gesamtpersönlichkeit fand so nicht statt.382 Erwachsene Männer wurden infantilisiert.383 Begünstigt wurde das durch das oft niedrige Eintrittsalter und durch die anhaltende altersunabhängige Behandlung der Seminaristen „wie Schuljungen“384. Hagmaier und Kennedy beschrieben deshalb 1965, ob ein Seminarist „psychische Männlichkeit“385 erreiche, sei abhängig davon, „ob er in einer menschlichen Begegnung mit echten Männern in einer gesunden Weise während seiner Seminarjahre gelebt habe“386. Sie kritisierten die bis dahin gängige Praxis, Seminaristen „nach Geist und Körper zu trennen; ihre Ausbildung wurde ähnlich getrennt“387. In diesem Sinn beschrieb der ehemalige Priesterkandidat Robert Kaiser rückblickend ein System, „das entworfen schien, um uns psychisch unreif bleiben zu lassen. […] Wir hielten unsere Unreife auf verschiedene Wege aufrecht, sogar in unseren Spielen und Vergnügungen. Die meisten Spiele, die wir spielten, waren Spiele von Männern, die noch immer Jungen waren.“388

      Emotionale Unterentwicklung wurde oft begleitet von körperlich verursachten Gewissensnöten der Seminaristen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität war eine heikle Angelegenheit. Ein eigenes Geschlechtsleben wurde den jungen Männern abgesprochen und durfte nicht stattfinden389, bereits begonnene sexuelle Entwicklungen wurden frühzeitig abgebrochen.390 Da sich die Kandidaten mit dem Empfang der höheren Weihen später zum Zölibat verpflichten sollten, erschien eine eigene Geschlechtlichkeit nicht wichtig, in der Konsequenz ließen viele Seminaristen „die eigene männliche Selbstwahrnehmung als Geschlechtswesen verkümmern.“391 Sie seien sich der Veränderungen ihrer Körper zwar bewusst gewesen, hätten ihre Erektionen jedoch nicht wahrhaben wollen und mit aller Kraft versucht, so asexuell wie möglich zu sein.392 Sie hätten ihre eigene Sexualität verleugnet und ihren Körper ab dem Bauchnabel bis zu den Knien als „nicht ich“ abgelehnt. Dies habe bishin zu einer Genitalphobie geführt.393

      Seminaristen sollten danach streben, durchweg rein und keusch zu leben und nicht zu sündigen. Bei Verheirateten sollte das sexuelle Begehren geordnet, bei Unverheirateten sollte es aufgeschoben und bei zölibatär Lebenden ausgeschlossen werden.394 Infolgedessen wurde es im Seminar „entweder vollkommen tabuisiert oder kriminalisiert.“395 Eine offene Sprache war nicht möglich, vielmehr sei das Thema mit Angst besetzt gewesen.396 Angstbesetzte oder beschämte Seminaristen ließen sich wiederum leichterlenken.397 Diese Tabuisierung von Sexualität bedingte zugleich ein begrenztes „Sprach- und Gefühlsrepertoire für [die] eigene und fremde Sexualität.“398 Es habe „von oben“ auch ganz praktische Versuche gegeben, jegliches Sexuelle zu kontrollieren und ggf. zu unterdrücken.399 In manchen Einrichtungen seien Schutzmaßnahmen getroffen worden: „In den Duschkabinen hing immer eine zu weit geschnittene Hose, die beim Duschen zu tragen war, um eine vollständige Nacktheit und die damit offensichtlich befürchteten ‚Versuchungen‘ zu verhindern oder wenigstens zu mildern.“400 Andernorts war es vorgeschrieben, vor dem Duschen einen Bademantel über den Pyjama zu ziehen, sich unter dem Bademantel zu entkleiden, um dann nur mit dem Bademantel bis zur Dusche zu laufen, und sich anschließend unter dem Bademantel wieder anzuziehen.401 Es war auch üblich, neben den Baderäumen die Krankenzimmer und die Toiletten zu überwachen.402 Ebenso wird berichtet, Hemden seien sich beim Anziehen mit Hilfe eines Holzpaddels in die Hose zu stecken gewesen.403 Praktizierte Sexualität führte fast immer zur Entlassung aus dem Seminar, bei Homosexualität war schon allein „das Bekanntwerden der Veranlagung […] ausreichend.“404

      In den Seminaren wurde deshalb darauf geachtet, dass keine unerwünschten „Partikularfreundschaften“405 entstanden. Die Seminarleitung kontrollierte Freundschaften, um die Seminaristen immer in einem Zustand gewisser Isolation zu halten406, denn besondere Freundschaften bargen auch immer „die latente Gefahr der Entwicklung gleichfalls unerwünschter homoerotischer Beziehungen“407. Mancherorts wurde „Partikularfreundschaft“ als Codewort für eine homosexuelle Beziehung gebraucht.408 Ein ehemaliger Schüler des SMB-Gymnasiums in Rebstein berichtete über seine Zeit in den 1950er Jahren, es habe schon in der Ausbildung strikte Regeln gegeben. So habe etwa gegolten:

      „Dein Gegenüber niemals körperlich berühren. Dieser Anweisung ging eine andere voraus: Tagebuch schreiben verboten, denn das mache zu selbstzentriert. Und darin, in der Selbstbespiegelung, sah man eine der Quellen von Homosexualität. Wenn einer dennoch ein Tagebuch führte, musste er es beichten und erhielt als Buße: Zerreiß es und wirf es ins Feuer! Im Priesterseminar, wo dieselben Männer volle sieben Jahre zusammen waren, wurde jede Woche die ‚Tournee‘ an ein Brett gesteckt. Da wurde immer vorgegeben, welche drei Burschen in der kommenden Woche zusammen spazieren oder bergwandern oder Ski fahren oder sonst wie zusammen sein durften. Der Aufenthalt im Zimmer oder in der Zelle[!] eines anderen war grundsätzlich untersagt. […] Freundschaften waren unerwünscht, und die Mahnung der Oberen war den meisten Studenten wirklich in die Knochen gefahren. Und so hatten sie eine große Furcht vor Sexualität und ganz besonders vor Homosexualität. Noch in den 1950er-Jahren waren die Oberen auf der ganzen Welt überzeugt, Homosexualität entstehe wegen Ehelosigkeit, tiefer Freundschaft oder zu viel Beschäftigung mit sich selbst.“409

      Konflikte, moralische Bedrängnis und Gewissensnöte blieben deshalb nicht aus. „Und die Auseinandersetzung mit der Sexualität endete dort, wo die Nöte des einzelnen begannen“410. Gerade Unkenntnis verstärkte die Angst, die aufkommen konnte, wenn man normale biologische Vorgänge am eigenen Körper entdeckte, aber nicht einordnen konnte. Denn auch die Gespräche mit den Seelenführern im Seminar verliefen nicht immer gleichermaßen glücklich und hilfreich.411 Im besten Fall erhielt der Seminarist die dringend benötigten Antworten. Ein Seminarist etwa, der mehrfach von eigenen Erektionen СКАЧАТЬ