Название: Zensur im Dienst des Priesterbildes
Автор: Jessica Scheiper
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
isbn: 9783429064198
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Weitere Gespräche über die individuellen Bedürfnisse hätten zumeist nicht stattgefunden, weil die Lehren der Kirche über Sexualität oder den Zölibat nicht infrage zu stellen waren. Gespräche darüber hätten deshalb andeuten können, die Kirche sehe selbst einen Rechtfertigungsbedarf oder – schlimmer noch – es könne zu einer Lehränderung kommen. Den Themen sei vielerorts mit Schweigen begegnet worden, um den Seminaristen auch einen realistischen Ausblick auf ihre Zukunft als Priester zu geben.413
Es gab nur wenige Gründe, die das Thema Sexualität im Priesterseminar rechtfertigten. Einer von ihnen war die Vorbereitung der Kandidaten auf ihren späteren Einsatz als Beichtväter.414 Während Sexualität im Hinblick auf den einzelnen Seminaristen vermeintlich mangels Notwendigkeit wenig bis gar nicht thematisiert wurde, wurde sie mit dieser Ausrichtung geradezu penibel detailliert und peinlich ausführlich besprochen.415 Von Beichtvätern wurde erwartet, „über manche Dinge genau orientiert zu sein“416, was spätestens zu diesem Zeitpunkt eine genaue Aufklärung über die biologischen Vorgänge zwingend erforderlich machte. In Kursen der Moral- und der Pastoraltheologie wurde deshalb alles Nötige versucht zu vermitteln, was die späteren Priester an Wissen brauchten, um „über Seelen zu urteilen und sie zu heiligen“ und um „als Richter und Vorbilder in Sachen Sünde und Tugend [zu] dienen“417 (can. 1365 CIC/1917). Hierbei handelte es sich aber stets um klassische Vorlesungen, es gab keine Möglichkeit zum Austausch.418
Teils lud man erfahrene Beichtväter ins Seminar ein, um sie von ihren Erfahrungen berichten zu lassen.419 Teils hatten sich die Seminaristen Detailwissen anhand verschiedener Lehrbücher anzueignen.420 Im deutschen Sprachgebiet geschah das vielerorts mit der Moraltheologie421 des Kapuzinerpaters Heribert Jone oder den Praelectiones de sexto praecepto et de usu matrimonii des Paderborner Regens Wilhelm Tuschen, bei denen nahezu keine kasuistische Frage unbeantwortet blieb.422 Das deutsche Standardwerk Jones wechselte bei den besonders verwerflichen Taten zum Latein.423 Das Werk Tuschens war gänzlich auf Latein, allerdings enthielt es einen deutschen Anhang, in dem Anregungen geboten wurden, welche Fragen im Beichtstuhl zu stellen seien.424 In vermeintlich notwendiger Ausführlichkeit sollte das Feld möglicher geschlechtlicher Bedrohungen ausgelotet werden. Die Moral wurde überwiegend „zur Sache der Experten“425, was in der Konsequenz Gläubige entmündigte. Die Moraltheologie war „konzipiert als Morallehre von Klerikern für Kleriker zum Zwecke der rechtmäßigen Verwaltung des Bußsakramentes.“426 Die „,Unordnung‘ geschlechtlicher Betätigung außerhalb der Ehe und ihres Fortpflanzungszweckes [ist] in juristisch penibler Ausführlichkeit beschrieben worden: Schreckensgemälde, die den menschlichen Umgang mit seinem Körper auf die verbotene Sexualität geradezu fixieren.“427 In den Seminaristen wurde der Eindruck erweckt, es sei für ihr „Leben als Beichtväter im schwarzen Kasten wichtig […], eine Myriade von Unterscheidungen und haarspalterischen Regeln zu identifizieren und [sich] mit ihnen vertraut zu machen, bis gesunder Menschenverstand, individuelles moralisches Handeln und der Rückgriff auf das eigene Gewissen überflüssig wurden.“428
Zugleich aber warnte man vor einem zu fachmännischen Umgang mit Fragen der Sexualität. Priestererzieher riefen zu einer „zarten“ und „vorsichtigen“ Sprache auf. Derbe Begriffe der Moraltheologie sollten möglichst vermieden und besser umschrieben werden. Wo keine geeignete Umschreibung gefunden werden konnte, wurde bisweilen dazu geraten, gar nicht darüber zu sprechen: „Man kann sich nur so helfen, daß man nicht davon spricht. Daran muß man sich gewöhnen, daß im täglichen Verkehr unter Menschen von Erziehung gewisse Wörter nicht vorkommen, gewisse Gebiete nicht berührt werden.“429 Dies galt zumindest in dem Fall, in dem der Priester nicht in der Rolle des Seelsorgers sprach, nicht etwa für die Beichte. Denn außerhalb von Seelsorgegesprächen, in einfachen Unterhaltungen, sollte Sexualität ohnehin nicht thematisiert werden. Sexualfragen galten nicht als Unterhaltungsstoff.430 Aber auch in berechtigten Gesprächen über das Geschlechtsleben hatte der Priester darauf zu achten, nicht selbst zu fehlen, indem er „seine heranwachsenden Schützlinge mit Sexualweisheit überschüttet […], seinen Vorträgen […] eine billige Würze gibt und dabei eine staunenswerte Belesenheit auf allen Gebieten der Sexualethik und des Ehelebens verrät“431. Auch für den Seelsorger schien es dann besser, durch Unkenntnis als durch zu viel Wissen aufzufallen.432
Zudem konnte Sexualität zumindest imforum internum zum Thema werden, wenn es um die Zulassung der Kandidaten zur Weihe ging. Den Kandidaten waren schon früh und wiederholt die Keuschheitsanforderungen einzuschärfen. Das Bewusstsein um die Notwendigkeit dieser Einschärfungen belegen auch entsprechende Vorträge und Besprechungen auf den Regentenkonferenzen: 1952 widmete sich P. Gratian Gruber in seinem Referat ausführlich der „Onanie als Symptom eines seelischen Notstandes“.433 Tn einem Referat zum Thema „Erziehung zum Zölibat“434 machte der Linzer Regens Engelbert Schwarzbauer 1957 diverse Vorschläge, wie man die Bewahrung der priesterlichen Keuschheit schon im Seminar fördern könne – eine Voraussetzung dafür sei eine gründliche und klare Unterweisung der Alumnen in allen Fragen der Keuschheit.435
„Wir werden den Alumnen zunächst Inhalt und Umfang der priesterlichen Keuschheitsverpflichtung auseinandersetzen, damit nicht später Unklarheiten oder Zweifel entstehen. - Hierauf werden wir das innerste Wesen der priesterlichen Keuschheit herausarbeiten, die personale Ganzhingabe an Christus. Auf diesen Punkt müssen wir den grössten Nachdruck legen.“436
Alumnen seien zu Wachsamkeit und zur Schamhaftigkeit zu mahnen.437 Zudem seien den späteren Priestern „die Folgen des nicht (oder nicht ernst) gehaltenen Zölibates vor[zu]stellen: die Folgen für den Priester selbst, für die Complices, für das weitere Wirken in der Seelsorge, für den ganzen Priesterstand.“438
In Verbindung mit der teils mangelhaften Aufklärung ergab sich so eine angstbesetzte Sexualität. Von Seminaristen, die in diesem Feld keine ausreichende Orientierung fanden, wurde erwartet, ihren Berufswunsch aufzugeben. Denn wer gerade in sexueller Hinsicht der Pflicht der Selbstheiligung nicht entsprechen konnte, galt als ungeeignet für den geistlichen Stand (can. 1370 CIC/1917). Die Ortsordinarien wurden deshalb immer wieder angehalten, die Seminaristen vor der Erteilung der Weihen zu prüfen. Mit der Instruktion Quam ingens mahnte die Seminarkongregation 1930 vor der Weihe nicht ausreichend Geprüfter.439
Im Rahmen von Weihenichtigkeitsprozessen habe die Kongregation die Erfahrung gemacht,
„daß es sich bei den gegen die heiligen Weihen klageführenden Priestern gewöhnlich um solche handelt, die zwar nicht imstande sind, den Beweis zu erbringen, daß sie durch Gewalt oder schwere Furcht zum Empfang der Weihen gezwungen wurden, die aber […] in einer verkehrten Weise in den klerikalen Stand aufgenommen wurden, d. h. ihr Beruf war nicht genügend geprüft“440.
Im Anhang der Instruktion befand sich deshalb u. a. ein Formular, mit dem die Seminaristen vor dem Empfang der höheren Weihen unter Eid zum einen erklären mussten, frei von Zwang, Gewalt oder Furcht und aus einem wirklichen Berufungsgefühl heraus die Weihe zu empfangen. Zum anderen bestätigten sie, die sich aus der Weihe ergebenden Pflichten zu kennen, bereitwillig und frei übernehmen zu wollen und sich auch über die Tragweite des Zölibats im Klaren zu sein, den sie freiwillig und gern bis an ihr Lebensende übernähmen.441 Wer aber „zur Sinnlichkeit neigt und auf Grund einer langen Erfahrung gezeigt hat, daß er sie nicht zu beherrschen versteht; wer endlich ungeeignet ist für das Studium […]: alle diese sind für das Priestertum nicht geschaffen“442, schlussfolgerte Papst Pius XI. in der Enzyklika Ad catholici sacerdotii 1935.
Diverse Richtlinien für Priestererzieher folgten: So gab die Fuldaer Bischofskonferenz 1946 den Beichtvätern ein Schreiben zur Hand, das ihnen die Berufsprüfung bei Verfehlungen gegen das 6. Gebot erleichtern sollte.443 Zu Beginn hieß es dort: „Die Richtlinien СКАЧАТЬ