Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
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СКАЧАТЬ werden, was für Gefahren für sie aus ihren Handlungen entstehen können, was für Urteile sie über die Menschen und die Ereignisse fällen, was sie von sich aus noch gerne und freiwillig unternehmen. Daher müssen die Seminarleiter in kluger Weise einschreiten und mit den wachsenden Jahren die strengere Überwachung und die Zügel jeglicher Art allmählich lockern. Sie müssen es erreichen, daß die Jünglinge sich selber leiten, daß sie fühlen, daß sie die Urheber ihrer Werke sind. In gewissen Dingen sollen sie den Zöglingen nicht nur Handlungsfreiheit gewähren, sondern sie auch zu selbständiger Überlegung anhalten, damit sie die Wahrheiten, die die Lehre oder die Praxis angehen, leichter aufnehmen. Die Leiter sollen auch keine Bedenken dagegen haben, daß die ihnen anvertrauten Jünglinge die heutigen Ereignisse kennen. Ja, sie sollen ihnen sogar die Kenntnisse der Dinge vermitteln, durch die sie selber ein reifes Urteil über die Geschehnisse bilden können. Auch Meinungsverschiedenheiten über diese Fragen sollen sie nicht aus dem Wege gehen, um den Geist der Jünglinge für die richtige Einschätzung der Dinge und Verhältnisse zu schulen.“334

      Die offeneren Worte des Papstes verhallten aber bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil und bewirkten keine nennenswerten Veränderungen in der Erziehung.335 Die vermeintlichen Vorteile des bisherigen (Erziehungs-) „Systems lagen in der klaren Vision vom Priesterbild der Heiligkeit.“336 Hingegen wurden „Originalität und Originalitätsansätze“ meist nicht geduldet, „zumal mit der praktischen Bewahrungspädagogik fast eine unerbittliche Gewöhnungspädagogik verbunden war“337. In der Konsequenz waren die künftigen Priester zur Mitte des 20. Jahrhunderts aufgrund der universalkirchlichen Seminarvorgaben in ihrem Aussehen, ihrem Standesbewusstsein und auch ihrem Anspruch uniform.338

      Crottoginis Forschungsvorhaben zielte nicht nur in dieses spezifische Ausbildungssetting, sondern war zudem gesellschaftlich kontextuiert durch die vermeintlich prüden 1950er Jahre. Alles Sexuelle war scheinbar von einem Schleier aus Anstößigkeit und Geheimniskrämerei umgeben. „Muffig und verklemmt waren die langen fünfziger Jahre, eine Epoche der Prüderie und Lustfeindlichkeit“339 – zumindest für das katholische Milieu war das meist zumindest dem Anschein nach zutreffend.340

      Im Katholizismus wurde das Thema Sexualität weithin tabuisiert.341 Worüber sich nicht „anständig“ sprechen ließ, darüber sollte und mitunter durfte nicht gesprochen werden. Sexualkunde als Schulfach oder als Themeneinheit im Biologieunterricht gab es in der heutigen Form noch nicht. Die sexuelle Aufklärung der Kinder und Jugendlichen galt als ureigene Aufgabe der Eltern.342 Von katholischen Geistlichen wurde gemahnt, die Kinder unbedingt zur Keuschheit zu erziehen.343 Hierbei stellten Eltern und Erzieher aber vornehmlich auf die religiös-sittliche Dimension ab und ließen die Belehrung über biologische Informationen, d. h. die Sexualaufklärung im eigentlichen Sinne, weitgehend aus.344 Und selbst in liberaleren Familien wurde Sexualität weniger thematisiert als bevorzugt ignoriert.345

      Kam Sexualität dennoch zur Sprache, wurde schnell die grundsätzliche Orientierung deutlich: Die sittliche Ordnung, darunter die Ordnung des Geschlechtlichen inklusive möglicher Verstöße gegen das 6. Gebot, fiel in den Kompetenzbereich der Kirche.346 Es war tradierte und offizielle Lehre, dass Sexualität nur in der Ehe und fortpflanzungsorientiert legitim war.347 Eine Sexualität, die „der menschenwürdigen Fortpflanzung des Menschengeschlechts entgegengesetzt ist“348, galt als Sünde. Sexuelle Verfehlungen waren Verfehlungen gegen das 6. Gebot und gehörten als materia gravis zum Feld der schweren Sünde.349

      Man versuchte unter allen Umständen, alles Geschlechtliche (und damit auch die sexuelle Aufklärung) so lange wie möglich vom Bewusstsein der noch unbefleckten Kinder fernzuhalten.350 Wenn Kinder und Jugendliche, damit auch künftige Seminaristen, aber aufgeklärt wurden, dann idealerweise weniger nur über Körperfunktionen und geschlechtliche Vorgänge. Der rechte Zeitpunkt zur sexuellen Aufklärung war strittig, weil man Kinder einerseits vor „traurigen Verirrungen“351 bewahren wollte, sich aber andererseits einig war über „das Unheil, das durch eine brutale Aufklärung der Straße angerichtet werden kann“352. Jedenfalls sollte eine Aufklärung über Geschlechtliches in die Gesamterziehung integriert sein.353 Das Ziel einer solchen Erziehung war es, „Menschen zur Einordnung des Geschlechtstriebes in das Gesamtmenschentum fähig und bereit zu machen.“354 Den Erziehern in Fragen des Geschlechtlichen riet man, die Kinder persönlich zu unterweisen.355 Am besten zudem jedes Kind einzeln, um Rücksicht auf das Alter, die Reife und das bisherige Wissen des Kindes nehmen zu können.356 Zur Hilfe gab es kleine Broschüren („Aufklärungshefte“357), die den Erziehern als Muster dienen konnten, die aber ggf. ab einem geeigneten Alter auch von Jugendlichen allein gelesen werden konnten.358

      Eine erfolgreiche katholische geschlechtliche Erziehung umfasste drei Komponenten. Unabhängig vom Zeitpunkt sollte die Basis dieser Erziehung die nötigste Aufklärung über die psychologischen und physiologischen Vorgänge des Sexuallebens (das hieß: die Mechanismen der Fortpflanzung) ausmachen. Im Rahmen dieser Aufklärung sollte (nur) das vermittelt werden, was „wirklich von Wichtigkeit ist […]. Sündhaft wäre es, darüber hinaus törichte Neugierde zu befriedigen.“359

      Auf die Aufklärung über Biologisches hatten die Einheiten zur Gewissensschulung zu folgen. Eine bloße Übermittlung von Wissen galt als unzureichende biologistische Verkürzung. Damit sollte ein „Emporheben aus der niedrig-tierischen Auffassung [erreicht werden], in der die meisten Jugendlichen diese Dinge zunächst sehen, in die reine Luft katholischen Denkens.“360 Auf der Grundlage des 6. Gebotes sah man die Notwendigkeit, eine reine Belehrung über das Geschlechtsleben durch entsprechende Gewissensbildung zu ergänzen. Das Fakten-Wissen sollte dabei durch moralische Aspekte ergänzt werden: Begriffe wie keusch/unkeusch, Sünde/Nicht-Sünde, anständig/unanständig, schamhaft/unschamhaft wurden hierbei erklärt.361 Den Kindern sollte ein katholisches Verständnis von gut/böse und keusch/unkeusch vermittelt werden, um (ihr eigenes) Verhalten und (ihre eigenen) Taten moralisch bei der regelmäßigen Gewissenserforschung richtig einordnen zu können.362 Ein gewichtiger Teil der Gewissensbildung bestand darin, die zu beichtenden Taten oder Gedanken richtig zu formulieren.

      „Der junge Mensch muß ein klares Bild bekommen von dem, was Sünde ist und nicht Sünde, was schwer und läßlich sündhaft ist. Dabei ist gleicherweise abzulehnen eine zu laxe wie auch eine zu ängstliche Gewissenshaltung, ein stundenlanges Verweilen wie auch ein allzu kurzes Nur-Streifen der wichtigen Materie, eine zu weitgehende Kasuistik wie auch eine nur ganz allgemein gehaltene Belehrung.“363

      Letztes Ziel solcher katholisch erfolgreichen Gewissensschulung war die willentliche Abwendung von allem Sündhaften. Diese sogenannte Willensbildung machte den dritten Aspekt der geschlechtlichen Erziehung aus. Die Willensbildung sollte zu einer positiven Einstellung zur katholischen Lehre über die Reinheit führen. Den Kampf um die Reinheit, so sagte man, entscheide der Wille.364 In den Kindern und Jugendlichen sei „eine positive, starke, freudige Gesinnung der Reinheit, eine leidenschaftliche Liebe zur Reinheit, ein volles, mutiges Ja zum Kampf um die Reinheit“365 zu wecken. „Sie müssen gleichsam ‚erleben‘, daß Unkeuschheit Tod, Keuschheit aber Leben ist, daß es wirklich nur eine wahrhafte Seligkeit gibt“366. Reinheit als das oberste Ideal sollte deshalb angestrebt und bewahrt werden;367 es handelte sich um eine Erziehung zur Keuschheit.368 Gefahrenquellen hingegen, wie z. B. „Schmutz- und Schundliteratur – Kino und Theater – Tanz – Liebeleien und Bekanntschaften“369, sollten eingedämmt werden. Geschlechtliches außerhalb der Ehe wurde durch eine sehr bildhafte Sprache noch zusätzlich verteufelt.370 Mit natürlichen Mitteln, wie etwa Sport, gesunder Ernährung und ausreichender Körperpflege, sollte man deshalb umso mehr um seine Reinheit kämpfen.371 Letztlich sollten jene natürlichen Mittel aber СКАЧАТЬ