Jahrhundertwende. Wolfgang Fritz Haug
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Название: Jahrhundertwende

Автор: Wolfgang Fritz Haug

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783867548625

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СКАЧАТЬ zur Seite und wende mich dem Vorwort zur Gramsci-Ausgabe zu.

      1991

      4. Januar 1991

      Auf dem Flughafen von La Palma entdeckte Frigga zwei DDR-Kolleginnen, die in der Argument-Frauen-Redaktion mitgearbeitet hatten. Da sind wir also eine Urlaubsgemeinschaft geworden. Was für ein Wandel seit vor einem Jahr. Große Bedrückung angesichts des Wie. Das Wort der Tage heißt »Abwicklung«. Ich kann mich nicht des Gedankens erwehren, dass es derselben Spracharbeit entspringt wie einst die »Endlösung«.

      Aus einer herumliegenden Zeitung vom Rücktritt Schewardnadses im Konflikt mit Gorbatschow erfahren. Er sieht die Gefahr einer neuen Diktatur.

      5. Januar 1991

      Klaus Bochmann berichtet Bedrückendes über »Abwicklung« und »Evaluierung« aus Leipzig und Halle. Auch in Halle hatten Studenten die Universität besetzt. Hatten anscheinend versucht, mich für irgendeinen Vortrag zu gewinnen. Nur an der Humboldt-Universität hat sich der Rektor auf die Seite der Studenten gestellt.

      In den USA steigt die Arbeitslosigkeit. Nach amtlichen Angaben (denen nicht zu trauen ist) waren es im Oktober noch 5,7 Prozent, im Dezember bereits 6,1. Im Arbeitsministerium rechnet man für Juli mit dem Zusammenbruch der Arbeitslosenversicherung in mindestens acht Bundesstaaten.

      7. Januar 1991

      Wenn Antisozialismus Kristallisationskern eines jeden Faschismus, was wird dann, nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten, aus der faschistischen Gefahr? Marginal?

      Wird die Kapitalistenklasse wieder problemlos hegemonial, Konsens bündelnd für ein Projekt, das Profitinteressen mit zivilgesellschaftlichem Universalismus artikuliert? Ist der heraufziehende Ölkrieg dafür exemplarisch?

      Gramscis Terminologie. »Subalterne« hatte ich als Tarnwort unter Bedingungen der Zensur verstanden. Hat aber Sinn: Kategorie vom Standpunkt der Selbstregierung.

      9. Januar 1991

      Die von der litauischen Regierung beschlossenen Preiserhöhungen schufen Fronten quer zu den Nationalitäten. Endlich! Nationen gegeneinander – das war unbearbeitbar. Vergebens rief der Parlamentspräsident über den Rundfunk um Hilfe gegen die Demonstranten. Das Parlament wurde aufgebrochen, die Regierung Prunskiene trat zurück, die Preiserhöhungen sind ausgesetzt.

      10. Januar 1991

      Was Lafontaine von den Kosten der Vereinigung und von der Unmöglichkeit, ohne Steuererhöhungen zurechtzukommen, gesagt hatte, pfeifen jetzt die unzufriedenen Spatzen von den Dächern. Aber der Name L. wird nicht genannt.

      Einer Bücherliste in Gramscis 1. Gefängnisheft entnehme ich: Heinrich Manns Untertan heißt in der französischen Ausgabe Le Sujet.

      11. Januar 1991

      Weltkrieg neuen Typs. – Mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination wartet die bürgerliche Welt auf den Öl-Krieg, denn »Golf« ist doch nur ein geographischer Name für Öl. Ich vermag mich der lüsternen Haltung der Konsumenten von Fernsehbildern vom Krieg nicht gänzlich zu entziehen, obgleich sie mir zuwider ist. Was bevorsteht, ist ein Weltkrieg neuen Typs: scheinbar erklärt die ganze Welt, vertreten durch die Weltorganisation, dem Irak den Krieg. Real und doch auch nur scheinhaft, weil unter der von den USA hegemonisierten Welt eine andere sich rührt. Der Krieg mag sich ausbreiten, soundso viele Völker oder Teile von ihnen werden sich – gegen ihre eignen Regierungen – daran beteiligen.

      Mein Bruder fragte, ob es ratsam sei, während der möglichen Kriegszeit Urlaub auf einer der kanarischen Inseln zu machen. Ich riet ihm ab. Ich rechne mit einem Krieg, den ich mir nicht vorstellen kann.

      12. Januar 1991

      Baudrillard benützt die Vorkriegssituation zur Bebilderung seiner Simulationsthese. Der Krieg am Golf finde nicht statt. Joseph Hanimann, dessen Bericht ich den Hinweis entnehme, gibt zu wenig Material, um diese Äußerungen von verschmockter Blödheit zu unterscheiden.

      13. Januar 1991

      Dürrenmatts Rede auf Gorbatschow. – Am Tag vor seinem Tod, am 14. Dezember 1990, hat Dürrenmatt seine am 25. November gehaltene Rede auf Gorbatschow überarbeitet. Logik und Ausgang des Kalten Krieges leitet er aus der epochalen Leit-Destruktivkraft, der Atombombe, ab, die »eine Kettenreaktion an Furcht« ausgelöst habe. Die Ideologien nur Rationalisierungen eines »irrationalen Konflikts«, dessen Bewegungsform die Unbeweglichkeit war, in der jede Seite sich lähmend in der andern spiegelte. So kam es, »dass die beiden Gegner, im Versuch, einander zu Tode zu rüsten, das Resultat des Zweiten Weltkrieges umkehrten, die Verlierer des heißen Krieges, Deutschland und Japan, wurden zu Siegern des Kalten, und wenn der deutsche Bundeskanzler den tiefsinnigen Ausspruch tat, Karl Marx sei tot und Ludwig Erhard lebe, so vergaß er, dass die Bundesrepublik nur durch den Kalten Krieg zu dem geworden ist, was sie war und schon nicht mehr ist, weil sie sich dank eines Marxisten mit der deutsch-demokratischen Republik zu einem neuen Deutschland vereinigen konnte.«

      Dürrenmatt, der Nichtmarxist, schärft ein, man müsse G als Marxisten ernst nehmen, der den Marxismus zu erneuern versucht. (Einiges an Dürrenmatts Darstellung deutet darauf hin, dass er mein Buch über Gorbatschow kannte.) Er schildert die Demilitarisierung der Systemkonkurrenz und die entsprechende Korrektur der Annahmen über das Verhältnis von Imperialismus und Krieg (verwechselt dabei übrigens den 27. Kongress der KPdSU mit dem siebzehnten). Gorbatschow »ahnte die Wirkung kaum, die er auslöste«, als er am Parteiprogramm entsprechende Änderungen vornahm.

      Dürrenmatts Kenntnisse über Marx bzw. Marxismus (Marxismen, muss man ja sagen) sind ebenso begrenzt wie diejenigen über die Spezifik menschlicher Entwicklung im Vergleich mit tierischer Evolution. Er macht da keinen Unterschied. Auch hält er Marx für einen mechanistischen Materialisten, für den die industrielle Revolution »abgeschlossen« gewesen sei und der keinen Begriff von Destruktivkräften und vom möglichen Untergang gehabt habe. Das alles falsch. Aber interessant der Hinweis, dass Vaihinger in seiner Philosophie des Als-Ob sich auf Adam Smith bezogen hat, und zwar auf dessen »abstraktives« Als-Ob, die Individuen handelten alle ausschließlich egoistisch. Dann eine etwas privatphilosophische (kaum vermeidlich beim theoretisierenden Schriftsteller) Herr-Knecht-Dialektik. Axiom: das Herr-Knecht-Verhältnis ist »in der menschlichen Natur begründet«. Darauf kenne die Politik zwei Antworten: »Die realistische besteht darin, das Verhältnis Herr und Knecht gerechter, den Knecht freier und den Herrn unfreier zu gestalten, ohne freilich das Verhältnis Herr und Knecht je aufheben zu können […]; die Freiheit liegt mit der Gerechtigkeit ständig im Kampf, der Kapitalismus mit dem Sozialismus, die Welt kann nur sozialer werden, nie sozialistisch, oder nur kapitalistischer, aber nie kapitalistisch.« Die fiktive Antwort auf das (wie bei Aristoteles als naturgemäß vorgestellte) Verhältnis von Herr und Knecht gebe Marx mit seiner Abstraktion des Klassenkampfs. Abstraktionen sind für D allesamt »abstraktive Fiktionen«. Smith’s Abstraktion des Egoismus gilt D als rational im Unterschied zur marxschen Abstraktion des Klassenkampfs.

      Man spürt den Stückeschreiber, der seinen Boden betritt, wo er diese luftigen Gedanken handeln lässt. Denn weil die Arbeiterklasse und ihre Emanzipation Fiktionen und weil Fiktionen nicht handeln, muss sich ein Akteur-in-ihrem-Namen finden, und das ist natürlich die Partei. Sie tritt an die Stelle der Bourgeoisie und stellt so das Herr-Knecht-Verhältnis СКАЧАТЬ