Jahrhundertwende. Wolfgang Fritz Haug
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Название: Jahrhundertwende

Автор: Wolfgang Fritz Haug

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783867548625

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СКАЧАТЬ bisher mit bereits bezahlten Waffen aus den Lagern geführt«; zweitens »tragen die Verbündeten einen nicht unerheblichen Anteil der Kosten im Rahmen des ›burdensharing‹«. – Mit anderen Worten: Lagerräumung, bezahlt mit Tributen.

      In Deutschland sind die Urlaubsbuchungen laut DER zwischen 30 und 40 Prozent zurückgegangen. Die Lufthansa, deren Auslastung seit Kriegsbeginn von 60 auf 40 Prozent gesunken ist, hat 6 Prozent ihrer Flüge gestrichen. Die Leute fürchten die Ausdehnung des Krieges in diffusen Terrorismus.

      *

      Heute Nacht, gegen ein Uhr, die Gramsci-Dateien auf eine Diskette gepackt, völlig erschöpft, dann mit Klaus Bochmann, Leonie Schröder und Pit Jehle zu Barbara Steinhardt, wo wir die Fertigstellung bei einer Flasche Champagner feierten. Heute gehe ich langsam durch die Welt, wie ein Rekonvaleszenter.

      Noch später in der Nacht erzählte mir Klaus, dem ich von M. erzählt hatte, dass Friedrich Schorlemmer bis Frühjahr 1990 unter Drohanrufen zu leiden hatte, die vermutlich von der Stasi kamen.

      31. Januar 1991

      Sandra Harding erklärt den Krieg mit den Interessen des militär-industriellen Komplexes. Abgesehen von der Rüstungsproduktion ist da ein riesiges Personal, das sie als »middle class« einstuft. Wäre es tatsächlich zur »Friedensdividende« gekommen, hätte dies eine Umschichtung an die Unterklassen bedeutet. Die Dritte Welt innerhalb der USA schwillt an.

      1. Februar 1991

      Heute kam von Bé Ruys einer der »Occasional Letters« von Ajit Roy, datiert vom September 1990. Er schreibt darin, ich hätte bei der Volksuni den Tod des historischen Marxismus ausgerufen, während er, Ajit, für dessen Unsterblichkeit und Erneuerung eintrete. Ich habe ihm geschrieben, dass ich allenfalls vom Ende des ML gesprochen habe und kräftig an der Erneuerung des Marxismus arbeite. Warum sonst das enorme Opfer an Lebenszeit (und auch, weniger wichtig, Geld) auf mich nehmen, das die Herausgabe der Gefängnishefte Gramscis gekostet hat oder die Arbeit am Neuen marxistischen Wörterbuch.

      2. Februar 1991

      Gelman aus dem ZK ausgeschlossen. Die SU spricht mit vielen Stimmen durch- und gegeneinander. Noch immer zeichnet sich kein neuer geschichtskräftiger Block ab. Zerfall. Nachdem der Markt nicht eingeräumt und gestaltet werden konnte, herrscht der Schwarzmarkt, und gegen ihn wird der KGB eingesetzt.

      In der TAZ vom vergangenen Dienstag lese ich ein vorzügliches »Tischgespräch im Bistro« von F. C. Delius. In der Tradition von Lessings Falk und Jahn und von Brechts Flüchtlingsgesprächen arbeitet er sorgfältig mit dem Material dieser Tage, FAZ-Artikel, Kneipengesprächen. Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit lassen grüßen. Ich folge dem spontanen Impuls und rufe ihn an, bitte ihn, fürs »Argument« zu schreiben.

      In derselben Nummer der TAZ ein interessantes Gespräch von Max Thomas Mehr mit Ernst Tugendhat über den Golfkrieg. Für T sind die USA schuld am Krieg, und dieser ist »das größte Verbrechen seit Hitler«. »Ich rede ganz bewusst antiamerikanisch, wie man ganz bewusst antideutsch sein musste im Zweiten Weltkrieg.« Tugendhats sehr scharfe und scharfsinnige moralphilosophische Analysen kranken daran, dass er nichts von politischer Ökonomie versteht. Er inkriminiert die Waffenlieferungen an den Irak, plädiert damit implizit (vielleicht ohne es zu wollen) für ein kriegstechnologisches Dauerembargo, von dem er wohl auch nicht sieht, dass es, wie im Falle des gegen den Osten gerichteten Embargos, ganz »normale« zivile Exporte behindern würde wegen des Transfers militärisch nutzbarer Technologie. Aber wie dann das Öl bezahlen? Wiederum übersieht er, dass der Irak versucht, die Welt-Ölpreise hochzudrücken, was in einer vom Geld (Kapital) beherrschten Welt auch eine Form staatlich-militärisch aufgebauter ökonomischer Gewalt ist. Gegen diese Öl-Hochpreispolitik stellen sich daher auch die Länder der Dritten Welt, die auf Ölimporte angewiesen sind, Indien zum Beispiel. Krieg zwischen industriellem Kapital und Grundrentenbeziehern, transponiert. Man muss den Weltverhältnissen auf den Grund gehen, deren Irrationalität in Kriegsform umgeschlagen ist. Die Interessen der BRD an der Kapitalisierung der ehemaligen DDR, denen der Krieg in die Quere kommt, blendet T. aus.

      Tugendhat differenziert hinsichtlich der UNO. Dass sie sich »endlich einmal zu einem wirklichen gemeinsamen Schritt durchgerungen hat«, war »für viele Nationen vielleicht etwas besonders Erhebendes«. Aber die UNO hat allen Verhandlungsspielraum dem Westen überantwortet, und viele Länder haben sich in Abhängigkeit von den USA begeben. Diese »wollen die unangefochtene Macht Nummer eins sein«. Welthegemon mit Klienten.

      3. Februar 1991

      Politische Ökonomie des DDR-Anschlusses. – Lutz Hoffmann, Präsident des DIW, analysiert in der gestrigen FAZ sehr strategisch vom Standpunkt des Gesamtkapitalisten die ökonomischen Aspekte des DDR-Anschlusses. Die derzeitige Misere erklärt er der Sache nach mit der Niederlage der Politik Lafontaines, ohne dessen Namen zu nennen: »Durch die lange Weigerung, die Notwendigkeit hoher Infrastrukturinvestitionen – mit öffentlichem wie privatem Kapital – als Preis für die rasche Einführung der Währungsunion anzuerkennen, hat die Bundesregierung viel Zeit für die Sanierung der ostdeutschen Infrastruktur verloren.« In Hoffmanns Sprache: »nicht ökonomische Rationalität, sondern die politische Ökonomie« hat das Sagen gehabt. Unter letzterer versteht er mit Anthony Downs »Neuer politischer Ökonomie« (An Economic Theory of Democracy, 1957) ein System, das darauf basiert, »dass der wirtschaftspolitische Entscheidungsträger nicht die gesellschaftliche Wohlfahrt [maximiert], sondern seinen politischen Nutzen, der vor allem in der Wahrscheinlichkeit besteht, wiedergewählt zu werden«. Das geht gegen Helmut Kohl.

      Mit mangelnder Infrastruktur erklärt Hoffmann das bis dato festzustellende Ausbleiben des großen Kapitals. Interessant, wie er die Folge der Einschnitte sieht. Währungsunion: »Im Grunde handelte es sich um den Vorschlag einer radikalen Handelsliberalisierung, verbunden mit einer drastischen Aufwertung.« Die DDR-Wähler wollten das Westgeld. Was ihnen »nicht bewusst war«, waren die Folgen für die Arbeitsplätze. Nur die Subventionierung der Exporte ins alte RGW-Gebiet8 milderten den ökonomischen Kollaps für eine Weile noch etwas ab.

      »Extrembeispiel« für einen Sieg der »auf Stimmenmehrheit zielenden politökonomischen Rationalität« mit chaotischen Folgen ist für ihn Gorbatschow.

      In den »Fünf Neuen Ländern«, kurz »FNL«, ist laut FAZ die Verbitterung besonders groß bei den Abgeordneten der letzten Volkskammer und den Mitgliedern der Regierung de Maizière. Sie hatten die Anschlusspolitik gemacht und fanden sich über Nacht auf dem politischen Abstellgleis. Empörung darüber, zum bloßen Steigbügelhalter degradiert zu sein. Man sieht nachträglich auch klar, dass de Maizières Sturz seit langem »für den Herbst nach den Bundestagswahlen« geplant gewesen ist. Von »Politik wie mit der Neutronenbombe« soll man vor allem in kulturpolitischen Kreisen sprechen: der Westen nicht an lebendiger Kultur, sondern an den Immobilien interessiert; für ihn nur neuer Raum hinzugekommen, ein Terrainkalkül, für welches die DDR-Bevölkerung nun 40 Jahre gelebtes Leben auszulöschen habe.

      5. Februar 1991

      Neuer Tiefenrekord des US-Dollars. »Pessimisten erinnern an die langwierige Depression nach 1929 und halten nach dem Zusammenbruch des Sozialismus den Kollaps des Kapitalismus, ausgelöst durch eine schwere Krise des Finanzsystems, für möglich.« (Gerald Braunberger im Wirtschaftsleitartikel der FAZ) In den USA sind die Steuereinnahmen wegen der Rezession (wie sie die Krise entnennen) um 87 Mrd USD unter den Erwartungen geblieben. Die Sanierung der Sparkassen wird noch über 100 Mrd USD kosten. Aus dem erhofften New Deal mit Sozialinvestitionen in Verkehr, Gesundheit und Bildung wird nichts.

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