Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Von neuem probte der Pater seine Heilmittel durch; kein einziges brachte in dem Zustande des Kranken eine mehr als vorübergehende Besserung. Von dem blühenden Menschen war bald nicht mehr als der Schatten übrig. Der Körper magerte gänzlich ab und wurde so kraftlos, daß an ein Verlassen des Bettes nicht zu denken war. Kaum daß er den Arm heben und sich ohne Beistand auf die andere Seite legen konnte. Tag und Nacht rüttelte ihn das Fieber, die Stirn war fortwährend feucht, die Augen lagen tief in ihren Höhlen, das ganze Gesicht zeigte eine grünliche Farbe. Manchmal, wenn Natalia am Morgen in das Stübchen trat, um für den Tag wieder ihr Pflegeamt zu übernehmen und Heinz die Augen geschlossen hatte, glaubte sie schon eine Leiche auf der Bettlade liegen zu sehen.
Sie ermüdete nicht. Keine andere Unterstützung nahm sie an als die des guten Paters, der ihr ganz ergeben war. Sie reichte dem Kranken den Kräutertrank, den dieser bereitet hatte, den Becher mit Wein oder frischem Wasser, sie hob zur Essenszeit seinen Kopf in ihren Arm und führte jeden Bissen Speise in seinen Mund. Als der Herbst mit den kalten Tagen herankam, ließ sie das Fenster verdichten, Binsenmatten über den ganzen Fußboden ausbreiten, die Tür mit einer wollenen Decke verhängen. Sie sorgte auch für eine Lampe, damit ihm die finsteren Abende nicht lang würden. Ihr seid engelgut, sagte er wohl nach solchen neuen Beweisen von freundlicher Werktätigkeit, ihr mit den hageren, zitternden Fingern die kleine Hand drückend, das habe ich mir um Euren Bruder Hans nicht verdient.
Still, still, antwortete sie dann und nickte ihm aus den dunklen Augen freundlich zu, Ihr seid mein Gefangener, und ich will mein Lösegeld nicht verlieren – wenn ich Euch überhaupt freigebe.
Lange hoffte er selbst auf Besserung und Genesung. Als aber Tag nach Tag, Woche nach Woche schied und sein Zustand immer kläglicher wurde, meinte er sich die Wahrheit nicht vorenthalten zu dürfen, daß es mit ihm rasch oder langsam zu Ende gehen müsse. Eine traurige, manchmal recht verzweifelte Stimmung bemächtigte sich seiner. In schlaflosen Stunden der Nacht klagte er Gott an, daß er ihn nicht auf dem Schlachtfelde habe sterben lassen, und dann bat er wieder recht kindlich und inbrünstig, daß der Herr über Leben und Tod seinen Leiden bald ein Ziel stecken möge. Die düsteren Dezembertage schienen recht geeignet, solche Trübseligkeit zu fördern. Wenn freilich des Morgens seine treue Pflegerin hinter dem Türvorhang vorschaute und ihm mit der hellen Stimme einen Gruß zurief oder das Lederkissen unter seinem Kopf zurechtrückte und dabei mit der Hand seine Wange streifte oder sie auch wohl, wenn das Fieber ihn schüttelte, beruhigend auf die seine legte, dachte er nicht ans Sterben. Er war ja so jung! Manchmal freilich überkam ihn bei solchen Liebkosungen eine ganz eigene Beklommenheit. Es war ihm dann, als ob nicht nur das Mitleid dem Kranken sie spendete, sondern ein wärmeres Gefühl sich bei dem Mädchen regte. Wie konnte das auch bloßes Mitleid sein, was sich bei dem jungen Ding mit so ausdauernder Werktätigkeit zu erkennen gab? Nein, da sprach eine herzlichere Teilnahme mit, und er mußte sich's gestehen, daß sie ihm wohltat. Wenn sie neben seinem Bette saß, zwang's ihn recht, die matten Augen von der Decke zu heben und auf das jugendlich frische Gesichtchen zu richten, dem die bekümmerte Miene gar nicht anpassen wollte und doch so viel Reiz verlieh. Er träumte sich dann zu dem Tag zurück, als sie beide, strotzend von Lebenskraft, zur Zigeunermusik getanzt und hoch zu Pferde in raschem Lauf die Heide durchmessen hatten. Diese schlanke, biegsame Gestalt – dieses leuchtende Auge – diese keck herausfordernde Sprache – dieses muntere Lachen! Schon damals hatte sie Gefallen an ihm gehabt – ganz gewiß. Und seinetwegen war sie nun die Samariterin! Stundenlang saß sie bei ihm in dem kalten, halbdunklen Gemach, in ihren Augen glänzten oft Tränen, ihre Stimme klang weich und mild, nur die Lippen lachten still, wenn er ihr ein Wort des Dankes sagte. Sie wollte, daß er lebe. Warum wollte sie es? Welche Frage!
Und doch beunruhigte ihn die Antwort in gar nicht unlieber Weise. Erst wenn sie ihm gute Nacht gesagt hatte und er nun mit sich allein war, kam es ihm wie sündhaft vor, daß seine Gedanken sich so viel mit dem schönen Mädchen beschäftigten, das doch über sein Herz nicht Macht gewinnen sollte. Dann meinte er, solcher Unruhe würde er ledig sein, wenn er den Ring mit dem Vergißmeinnicht besäße; und wieder tauchte der Verdacht auf, sie selbst könnte ihn von seinem Finger gezogen haben, damit er das Gedenken verlernte und ganz ihr Gefangener sei. So finster es um ihn war, schloß er doch noch die Augen und strengte seine Vorstellungskraft an, in seiner Seele das liebliche Bild erscheinen zu lassen, das sonst immer so lebendig bei ihm gewesen war. Aber die Farben waren nun blaß, die ganze Erscheinung schattenhaft. Und ehe er sich's versah, huschte ein anderes Bild darüber hin und verwirrte alle Linien.
Das schmerzte ihn. Er wußte, daß er in seinem tiefsten Gefühl Maria nicht untreu werden konnte, und doch beherrschte ihn ein anderer mächtiger Zwang. Was sollte daraus werden, wenn er gesundete und so unfrei bliebe? Vielleicht war's eine Wohltat, wenn Gott ihm den Tod gab. –
25. DES KÖNIGS LEIBARZT
Maria glaubte gewiß schon lange nicht mehr daran, daß Heinz noch unter den Lebenden sei. War er begraben in ihrem Herzen? Vielleicht gerade deshalb, weil er ihr nicht mehr lebte, minderte sich ihre Macht über ihn. Heinz meinte, es müsse eine solche Wechselwirkung bestehen zwischen denen, die einmal ihr Schicksal verkettet hätten. Nun dachte er darauf, wie er sie's wissen lassen könne, daß er in Polen gefangen sei und an seinen Wunden krank liege.
Er hatte mit dem Pater verabredet, daß er mit einem Stock auf den Boden klopfen wolle, wenn er in der Nacht etwas bedürfe. Der Ton war bis in seine Zelle neben der Kapelle zu hören, und der Kaplan hatte einen leisen Schlaf. Selten genug hatte der Junker von dieser Erlaubnis, ihn zu wecken, Gebrauch gemacht. In einer Nacht aber, als ihn wieder jene Gedanken quälten, entschloß er sich und klopfte an.
Bald erschien der gute Mann mit einem Lämpchen, das vor dem Heiligenbilde in der Kapelle brannte und von ihm besorglich mitgenommen war, und fragte nach seinem Begehr. Er glaubte nicht anders, als daß des Junkers letztes Stündlein gekommen sei und er von ihm geistlichen Trost begehren werde.
Darin irrte er freilich. Es waren weltliche Gedanken, die Heinz beschäftigten. Ich sehe wohl, daß es traurig um mich bestellt ist, sagte er, und wenig Hoffnung, daß ich genese. Was ich an irdischem Gut besitze, ist gar gering und mag durch Eure Hand den Armen zufallen, ohne daß es einer Schrift bedarf. Es beschwert mich aber, daß ich von dieser Welt scheiden soll, ohne von den Freunden Abschied zu nehmen, die mir im Leben Gutes erwiesen haben. Da wollte ich Euch nun herzlich bitten, hochwürdiger Herr, mir einen Brief zu schreiben, der ihnen Nachricht gibt von meinem Schicksal. Vielleicht findet sich eine Gelegenheit, ihn sicher nach Preußenland zu befördern.
Der Kaplan machte ein bedenkliches Gesicht. Lieber Junker, antwortete er, Ihr merkt wohl, daß ich des Deutschen wenig mächtig bin, und ob ich's gleich verstehe und zur Not sprechen kann, so weiß ich's doch nicht zu schreiben.
Schreibet denn Latein, bat der Kranke, es gibt in den Konventen überall gelehrte Priesterbrüder, die in dieser Sprache bewandert sind.
Pater Stanislaus zupfte verlegen an dem Stricke seiner Kutte. Daß ich's Euch nur gestehe, Junker, sagte er nach einer Weile, mit meinem Latein sind auch nicht weite Sprünge zu machen. Ich weiß die Gebete auswendig und lese ein wenig in den heiligen Büchern, habe auch vor Jahren einiges zu meinem Gebrauche abgeschrieben. Aber ob es mir mit diesem geringen Vorrat gelingen kann, über weltliche Dinge einen Brief abzufassen –
Versucht es immerhin, schnitt Heinz seine Bedenken ab. Ihr würdet mich sehr beruhigen.
Und СКАЧАТЬ