Gesammelte Werke. Ernst Wichert
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ernst Wichert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027237517

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      Hier hielt sich noch immer Frau Cornelia von der Buche auf, jetzt eine Witwe, die sich noch für jung halten konnte. Über den Tod ihres Mannes hatte sie sich bald getröstet: sie war ihm nie mit herzlicher Neigung zugetan gewesen, und ihr sorgloses Gemüt beschäftigte sich auch nicht einmal mit der Frage, wie sich der Stiefsohn zu ihr stellen werde und wie es in Buchwalde aussehe. Sie fühlte sich sehr wohl unter ihren Verwandten, die sie so lange entbehrt hatte, und in dem bewegten Treiben um sie her. Da konnte sie stundenlang auf den Polstern liegen und mit den Vettern plaudern, die auf der Jagd gewesen waren und Abenteuer mit Wölfen oder Bären gehabt hatten, oder vom königlichen Hoflager anlangten und Neuigkeiten mitbrachten, oder von den Juden mit Berichten über die Dinge in Ungarn und an der Südgrenze versehen waren, wo die Heere König Sigismunds bei Alt- und Neu-Sandecz arge Verheerungen angerichtet hatten. Mitunter erschienen auch Zigeuner und musizierten lustig; dann sah sie dem Tanz der jungen Leute zu. An Dienerschaft war kein Mangel, und die Mägde, die ihr aufwarteten, konnten als Leibeigene ganz nach Laune behandelt werden. Selten hatte sie jetzt Langeweile.

      Einige Zeit im Herbst war man freilich besorgt gewesen, daß der Krieg nach Polen hineingespielt werden könnte. Das war, als der Rückzug des Königs bekannt wurde. Die Polen, die bis dahin den Sieger von Tannenberg mit überschwenglichem Lobe gefeiert hatten, wurden nun plötzlich mutlos und warfen ihm vor, daß er zwar zu siegen, aber nicht den Sieg zu benutzen verstehe. Unverzeihlich schien ihnen die lange Zögerung vor der Marienburg, unverzeihlich die Aufhebung der Belagerung. Sie sahen nun schon den Hochmeister mit seinen Scharen ins wehrlose Land einbrechen und blutige Rache nehmen. Freilich wußten sie, daß Wladislaus Jagello alle Kraft aufbieten mußte, dies zu hindern, da er in solchem Falle allen Schaden zu vergüten verpflichtet war, den der polnische Adel auf seinen Gütern nahm. Bald kamen denn auch günstigere Nachrichten. Es dauerte längere Zeit, bis Heinrich von Plauen sein Heer neu ausrüsten, bei Thorn die Hilfsvölker aus Deutschland zusammenziehen konnte. Dann hieß es allerdings, der Hochmeister sei in der Stadt – die Burg war noch in den Händen der Polen – und dringe auf rasches Vorgehen, aber die deutschen Fürsten und Herren sowie die Bischöfe in seiner Umgebung hielten ihn zurück und nötigten ihn zu Friedensverhandlungen. Mitte Dezember kam Botschaft, daß wirklich beiderseits Kommissarien bestellt und ein vierwöchiger Waffenstillstand abgeschlossen sei. Damals kehrte Herr Michael von Kroczinski zurück, der solange beim Könige in Brzescz geblieben war.

      Sehr bald wurde er durch einen Eilboten wieder zurückberufen. Der König hatte den Hochmeister zu sich nach Raciaz eingeladen, um durch persönlichen Verkehr schneller zum Abschluß zu gelangen, Plauen hatte die Einladung angenommen. Herr Michael sollte unter den Kommissarien des Königs sein, deren jeder Teil sechs ernennen wollte. Er hatte bis Raciaz einige Meilen zu reiten, und nahm ein großes Gefolge mit, um sich ein Ansehen zu geben. Die Holzjuden mußten zur Bestreitung der Unkosten neue Vorschüsse machen, brachten aber die Zinsen reichlich ein, indem sie nun im Walde die Herren spielen konnten.

      Ein paar Wochen lang wurde es stiller in Sczanowo; die Vettern waren fast sämtlich mitgeritten zur Ehre des Hauses. Dann aber kehrten sie ohne das Oberhaupt der Familie, dem wahrscheinlich zu früh der Säckel leer geworden war, nach dem Schlosse zurück und erzählten, der Hochmeister sei drei Tage in Raciaz gewesen, habe aber so unbillige Forderungen gestellt, daß man nicht zum Schluß hätte kommen können. Nun verhandelten die Kommissarien weiter, übrigens sei Großfürst Witowd mit frischen Truppen aus Litauen im Anzuge. Sobald er erst an der Grenze stehe, werde Plauen sich gefügiger zeigen.

      So war man in das neue Jahr hineingekommen. Der Januar hatte große Kälte gebracht; das Schloß war eingeschneit, der Wald rundum wegen der in großen Rudeln andringenden Wölfe gefürchtet, die Verbindung mit der Nachbarschaft eigentlich nur über den gefrorenen Fluß hin möglich. Die Kälte drang nun auch ins Haus ein und ließ sich durch die Kaminfeuer, ob sie schon den ganzen Tag über brannten, nicht zurückschrecken. Man ging auch im Innern des Hauses in Pelzen und schloß sich am Kamin dicht zusammen.

      Ein Mitglied der Schloßgenossenschaft war während der ganzen Zeit immer nur selten in den Familiengemächern gewesen: Natalia. So munter und ausgelassen sie anfangs nach der Übersiedlung von Buchwalde hierher mit den Vettern um die Wette allerhand Reitkünste betrieben hatte, so still und kopfhängerisch war sie später geworden. Jeder wußte den Grund, aber man sprach nicht mehr davon, am wenigsten mit ihr selbst, nachdem sie ein paarmal die vorwitzigen Frager und Rater scharf abgetrumpft hatte. Ihre Mutter hatte gar keinen Einfluß auf sie und ließ sie gewähren, da sie jede unnütze Aufregung vermied. Es war nicht die Nachricht vom Tode des Vaters, was sie in solcher Betrübnis erhielt. An ihr zehrte ein Leiden, das sich täglich erneuerte und immer schmerzlicher wurde.

      Warum hatte ihr auch der Oheim vom Schlachtfelde einen Gefangenen zugeschickt, den sie nun zu hüten hatte?

      Es war eine schwere Stunde gewesen, als damals im Juli der mit Beutestücken aller Art beladene Wagen auf den Hof fuhr, der Führer das Fräulein rufen ließ und verschmitzt lachend sagte, daß er auch ihr etwas mitgebracht habe, aber nicht wüßte, wie es angekommen sein werde, und wie er nun den weißen Mantel aufhob und Junker Heinz von Waldstein dalag, anscheinend ein Toter.

      Sie schrie entsetzt auf. Der Schrei weckte ihn; er zuckte zusammen und öffnete matt die Augen, schloß sie aber gleich wieder, geblendet vom Licht, und schien vergebliche Anstrengungen zu machen, die trockenen Lippen zu bewegen.

      Er lebte also noch – aber was für ein Leben. Vielleicht nur Minuten noch dauerte der Kampf. Mit dem ist's zu Ende, sagten die Vettern; holt den Kaplan herbei, daß er wenigstens wie ein Christ sterbe.

      Nicht hier auf der Straße! rief Natalia, an allen Gliedern zitternd und doch schon innerlich ermutigt zu dem Liebeswerke, das ihr aufgetragen war. Er gehört mir, ich will über ihn verfügen. Helft mir, ihn in das Turmgemach hinaufschaffen; es ist kühl und luftig – er ist erschöpft von der weiten Fahrt und von der Hitze – er wird sich erholen.

      Sie trat auf das Rad des Wagens, beugte sich über die Leiter und faßte schauernd seine kalte Hand. Junker Heinz – sagte sie, sterbt nicht – Ihr seid bei guten Freunden. Es war, als ob ein Lächeln über die eingefallenen, farblosen Wangen zog; aber es konnte auch der Todeskrampf sein.

      Der Wagen wurde abgeladen und dann dicht bis an das Pförtchen im Turm gefahren. Frau Cornelia hatte indessen den verwunderten Vettern notdürftige Auskunft über den Mann gegeben, so daß sie sich nun teilnehmender zeigten. Der Hauskaplan kam heraus und traf mit geistlicher Ruhe Anordnungen, wie die Männer den Kranken vom Wagen heben sollten, nachdem die eine Leiter entfernt wäre. Tut ihm nicht weh, bat Natalia.

      Sie eilte dann voraus an der Kapelle vorbei, die das untere Geschoß einnahm, die Steinstiege in der dicken Mauer hinauf nach dem zweiten Stock, in dem sich zwei Stübchen befanden, die Mönchszellen ähnlich sahen. Mitunter wurden Fremde dort logiert, wenn das Langhaus gefüllt war, und es stand in dem einen auch ein hölzernes Gestell, das für eine Bettlade gelten konnte. In einer anderen Ecke lagen ein Strohsack und ein Lederkissen. Sie warf beides rasch auf das Gestell und klopfte die Einlage glatt aus. Dann trat sie in die tiefe Fensternische und stieß die Laden auf, damit die frische Luft einströmen könnte. Auch im Stübchen nebenan, das ganz mit Waffen und Jagdgerät behängt und bestellt war, öffnete sie die Luke zu gleichem Zweck. Als die Männer den Verwundeten hinaufbrachten, war alles zu seiner Aufnahme zugerichtet.

      Der Kaplan hatte seine Zelle in einem seitlichen Ausbau des Turmes, der schon unter dem Dache des Langhauses lag, neben der Kapelle. Er konnte also immer in der Nähe sein, was Natalia sehr beruhigte, sowohl seines geistlichen Amtes wegen, das ihn ja zu Werken der Barmherzigkeit verpflichtete, als weil er einige medizinische und chirurgische Kenntnisse besah. Er war nicht nur der Seelsorger, sondern auch der Arzt für die Schloßherrschaft und die Gemeinde der leibeigenen Bauern. Auch deshalb hatte Natalia dieses Turmzimmer gewählt. Nun beweiset Eure Kunst, Pater Stanislaus, sagte sie zu ihm, als sie allein waren, und Ihr sollt den Dank nicht missen. Mich aber betrachtet als Eure Gehilfin und dienstwillige СКАЧАТЬ