Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Sie eilte fort, und er besichtigte nun aufmerksam die breite Stirnwunde, indem er mit geschickter Hand die angetrocknete Blutkruste ein wenig hob und mit den Fingern tastend prüfte, ob der Knochen erheblich verletzt sei. Dann öffnete er das Lederwams über der Brust und untersuchte die Verletzung an der Schulter. Hier war ein Pfeil zwischen Plate und Armschienen eingedrungen. Die Wunde war dreieckig und anscheinend tief, ihre Ränder zeigten sich weithin entzündet. Die ganze Umgebung mußte sehr schmerzhaft sein, denn der Körper zuckte bei der leisesten Berührung. Eine Quetschung des Schenkels, wahrscheinlich von dem Hufschlage eines Pferdes herbeigeführt, erwies sich ebensowenig gefährlich als einige Schrammen und Beulen hier und dort, die durch die Rüstung nicht hatten abgewehrt werden können.
Natalia brachte Wasser und Verbandzeug. Mit ängstlicher Spannung sah sie zu, wie der Kaplan die Kopfwunde wusch und die Blutkruste löste, indem er zugleich das lockige braune Haar zur Seite strich. Als nun der breite Spalt in der Kopf- und Stirnhaut klaffte, überfiel sie einen Augenblick ein Schwindel, daß sie die Schale mit dem Wasser niedersetzen und sich an das Holzgetäfel der Wand stützen mußte. Sie ächzte leise, als ob sie selbst Schmerz empfände. Rasch aber faßte sie sich wieder und setzte die Handreichungen fort. Das ist eine entsetzliche Wunde, sagte sie, ihrer Beängstigung durch Worte Luft machend.
Der Schädel scheint nicht gespalten zu sein, antwortete er bedächtig. Es wäre freilich fast ein Wunder zu nennen, wenn der Knochen ganz unverletzt geblieben sein sollte. Der Helm hat die Wucht des Hiebes geschwächt, ist aber offenbar gesprengt worden, so daß die Schneide des Schwertes oder der Axt eine lange Bahn reißen konnte. Ein kräftiger Schädel! Ah, hier gibt die Decke dem Druck doch nach – diese scharfe Spitze – ein Knochensplitter. Das hat noch keine Gefahr, wenn das Gehirn nicht verletzt ist. Wäre nur schon auf dem Schlachtfelde ein Verband –
Es hat keine Gefahr? erkundete das Mädchen eifrig, sich an das einzige Wort haltend, das tröstlich klang.
An sich nicht, liebes Fräulein, erwiderte er; solche Brüche heilen bei guter Behandlung. Aber ob hier … Sicher hat der arme Mensch Tag und Nacht auf dem Felde gelegen, und dann die lange Fahrt in der Sonnenhitze? Man muß staunen, was der Mensch ertragen kann. Und dieser atmet doch noch!
Also keine Hoffnung?
Das sage ich nicht. Wer atmet, lebt – und wer lebt, den soll man nicht verloren geben, denn Gottes Rat macht alle Menschenweisheit zuschanden. Eine solche Wunde läßt sich heilen, wenn nur die Kraft ausreicht. Er zog ein kleines Täschchen aus dem Ärmelaufschlag seines Rockes vor, nahm ein blankes Instrument heraus und sondierte vorsichtig. Der Bruch scheint in der Tat nicht bedeutend –
Gott sei gelobt!
Aber die andere Wunde –
Die an der Schulter?
Eine Pfeilspitze ist tief eingedrungen, und man weiß nicht, was sie im Innern beschädigt hat. Eine sehr heftige Entzündung rundum – wir wollen sogleich mit Wasser kühlen. Die Kräfte, die Kräfte – er ist gänzlich erschöpft. Bringt ein wenig Wein, wir wollen versuchen, ihm einzuflößen.
Sie eilte wieder die Treppe hinab und rief nach dem Kellermeister. Er verstand sich nur ungern dazu, ihr zu Dienst zu sein, denn auf dem Hofe war Herrschaft und Dienerschaft um den Führer des Wagens und seine Begleiter versammelt, die von der siegreichen Schlacht bei Tannenberg erzählten. Es war ein Faß Bier herangerollt, und des Königs Wohl wurde so oft getrunken, daß die Zungen schon zu lallen anfingen. Was kümmerte man sich um den deutschen Junker?
Sie stieg selbst in den Keller hinab, der unter dem Turm lag, füllte eine Kanne mit Wein und trug sie hinauf. Mühsam gelang es, dem Kranken die krampfhaft verbissenen Zähne voneinander zu bringen. Dann aber schien der Wein seine ermatteten Lebensgeister wundersam zu kräftigen. Wieder schlug er die Augen auf und ließ den Blick auf dem bekümmerten Gesicht des Mädchens verwundert haften, bis sie zufielen. Der Kaplan hielt seine schlaffe Hand und fühlte den Puls, der sich ein wenig gehoben hatte. Dann legte er die wollenen Decken über das Lager. Wir können jetzt weiter nichts tun, sagte er, ich will in der Kapelle für ihn beten.
Als sie allein war, kniete sie neben der Bettstelle nieder, faltete die Hände und blickte unverwandt auf sein Gesicht. Mitunter streichelte sie den Arm, der sich unter der Decke unbeweglich am Körper hinstreckte. Er lag in tiefem Schlaf.
Die Sonne ging unter und warf beim Scheiden durch das Fenster einen glutroten Schein auf die Wand, daß sich das ganze Gemach erhellte. Nun sah der Kranke recht erhitzt aus; er atmete auch lauter und hastiger. Als es dämmerte, löste der Kaplan das Mädchen ab. Schlaft, sagte er, Ihr werdet hoffentlich noch viel bei ihm zu wachen haben.
Er hatte recht. Die Nacht ging ohne einen Unfall vorüber, und der nächste Tag forderte wieder ihre unausgesetzte Pflege. So auch die folgenden Tage. Sie wechselte mit dem Geistlichen am Krankenbett ab und ließ sich's auch nicht nehmen, hin und wieder eine Nachtwache zu leisten, damit er nicht seine Kräfte erschöpfe. Ein furchtbar heftiges Wundfieber hatte den Kranken ergriffen. Mehr als einmal glaubte der Arzt sein Ende gekommen. Aber seine kräftige Natur überwand diesen Anfall. Die Besinnung fand sich wieder, er erkannte seine Pflegerin, er sprach einige verständliche Worte, nahm mit Behagen Nahrung zu sich. So vergingen viele Wochen zwischen Fürchten und Hoffen.
Habt Ihr meinen Ring verwahrt? fragte er eines Morgens nach einer meist in ruhigem Schlaf verbrachten Nacht schüchtern.
Welchen Ring, Junker?
Einen Ring mit kleinen blauen Steinen –
Ah, den! Ich sah ihn damals im Buchwalde am kleinen Finger Eurer Hand.
Und jetzt fehlt er an der Stelle. Habt Ihr ihn nicht bemerkt, als ich hierher –
Nein, Junker. Man wird ihn Euch auf dem Schlachtfelde vom Finger gezogen haben. Nach Kostbarkeiten haben die Plünderer sicher zuerst gesucht.
Er nickte.
Der Ring war Euch sehr wert! bemerkte sie, die Augen senkend und an den Schnüren ihres Mieders zupfend.
Darauf antwortete er nicht. –
Und wieder vergingen Wochen. Die Stirnwunde fing an sich zu schließen, die Kopfwunde eiterte noch, aber immer seltener lösten sich Knochensplitter aus. Pater Stanislaus, der täglich den Verband erneute, glaubte mit gutem Gewissen die Versicherung geben zu können, daß die Gefahr beseitigt sei und die Heilung bald rasch fortschreiten werde. Natalia setzte mit einer Ausdauer, die ihr keiner der Verwandten zugetraut hätte, ihre Pflege fort und schlug jede Lockung der Vettern ab, zu Pferde in der Nachbarschaft einen Besuch abzustatten oder in dem kleinen Boot auf dem Flusse zu fahren, was ihr sonst das größte Vergnügen bereitet hatte. Es fehlte selbst an Fasttagen nicht an kräftiger Fleischkost, nicht an süßem Ungarwein und frischem Met. Dennoch wollte sich in dem Befinden des Kranken keine Besserung zeigen, im Gegenteil schienen die Kräfte sich immer mehr zu erschöpfen.
Das konnte seinen Grund nur in der bösartigen Schulterwunde haben, an der Pater Stanislaus vergebens alle seine Kunst versuchte. Das kleine Dreieck schloß sich nicht, und die Ränder blieben weithin entzündet. Vielleicht war die Pfeilspitze abgebrochen und steckengeblieben. So schmerzhaft die Stelle bei der geringsten Berührung war, entschloß Heinz СКАЧАТЬ