Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
isbn:
Aber es war ihm eine kurze Bedenkzeit zugemessen. Der Kaplan stand und wartete mit ausgestreckter Hand. Endlich meinte Heinz, halb und halb dem Zufall die Entscheidung überlassen zu können. Gut, sagte er, nehmt den Brief – aber tragt dem Juden auf, ihn zurückzubringen, wenn er nur bis Thorn reisen sollte. Mag ihn dann später ein anderer zuverlässig in Danzig abgeben.
Bald hörte er draußen die Schellen klingen. Der Schlitten fuhr dem Flußufer zu. Nun wünschte er wieder, der Brief möchte in des Komturs Hand kommen.
Im Laufe des Tages fühlte er sich sehr matt und unwohl. Der nächste brachte mehrmals tiefe Ohnmachten. Er vermißte seine gütige Pflegerin sehr. Sie wird ihn nicht mehr lebend finden, sagte der Kaplan bei sich voraus.
Natalia war indessen glücklich in Raciaz angelangt. Ein Rudel Wölfe, das sich von dem bewaldeten Ufer auf den Fluß wagte, hatten ihre Begleiter verscheucht. Als eine der Bestien, von einem Bolzen ins Auge getroffen, gefallen war, blieben die andern zurück, die Beute zu verzehren. Die Pferde durften nicht durch die Peitsche zu rascherem Laufe angespornt werden.
In Raciaz kostete es Mühe, ein Unterkommen für die Nacht zu finden. Die sämtlichen Quartiere waren von den königlichen Hofbeamten und von den Kommissarien mit ihrer Dienerschaft besetzt, Herrn Michael von Kroczinski kam der Besuch seiner Nichte somit gar nicht erwünscht; doch räumte er ihr galant sein eigenes Gemach und behalf sich mit einer Kammer. Noch weniger gefiel es ihm, daß er ihre Bitte des Königs Arzt vortragen sollte, den er einen unverschämten Juden nannte. Allerdings sei seine Wissenschaft groß, und er verstehe auch in den Sternen zu lesen. Dem König habe er richtig aus den Sternen vorausgesagt, daß er in einer großen Schlacht siegreich sein werde; deshalb sei er nun sehr in dessen Gunst und behandle selbst die Mächtigsten vom Adel übermütig. Zudem nenne man ihn geldgierig, und es sei daher ganz unwahrscheinlich, daß er sich zu dem Krankenbesuche bestimmen lassen werde für den geringen Lohn, den man bieten könne.
Leib Israel schlug wirklich die Bitte rund ab; er dürfe den König keine Stunde verlassen, entschuldigte er sich. Natalia beruhigte sich dabei nicht; sie bat nun selbst um Gehör, den Fall vorzutragen und wenigstens seinen Rat zu erbitten.
Natalia fand einen Mann mit mächtiger Krummnase und schwarzen Stirnlocken in einem langen seidenen Kaftan, der um die Hüften durch einen mit arabischen Schriftzeichen gezierten Schal zusammengehalten wurde. Seine Finger, selbst der Daumen, waren mit kostbaren Ringen besteckt, wahrscheinlich den Beweisen der Erkenntlichkeit hoher Patienten. Er las in einem großen Buche mit silbernen Beschlägen. In einem offenen Kasten auf dem Fußboden neben ihm waren allerhand Gläser, Büchsen und blanke Instrumente sichtbar. Ein ganz eigener Duft von scharfen Essenzen oder Räucherwerk durchzog das ganze mit bunten Teppichen umhängte Gemach.
Natalia fühlte sich sehr beklommen dem gelehrten Doktor gegenüber. Sie dachte aber mit aller Innigkeit an ihren armen Kranken und faßte sich Mut. Dann sprach sie mit so viel Wärme und zugleich so verständig über den sonderbaren Fall, daß der Arzt seine Teilnahme nicht versagen konnte. Hatte er anfangs ein vornehmes Schweigen beobachtet, so fing er nun an Fragen zu stellen, und die klaren, bestimmten Antworten schienen ihm zu gefallen. Liebes Kind, äußerte er sich endlich, ich kann Euch wenig Trost geben. Den Grund des Leidens glaube ich wohl zu erkennen, aber ich zweifle, daß jetzt noch geholfen werden kann.
Dem schönen Mädchen stürzten die hellen Tränen aus den Augen.
O mein Gott, rief sie, die Hände faltend, so hätte ich zu lange gezögert? Aber nein, Eure Kunst ist gewiß nicht machtlos! Ihr zweifelt … Also ist Rettung doch noch möglich. Oh, ich flehe Euch an.
Sie wollte auf die Knie sinken, aber der Doktor hinderte es, indem er ihre Hand faßte und sie aufrecht hielt. Ich kann, da ich den Kranken nicht untersucht habe, nur Vermutungen aussprechen, sagte er. Die Wunde an der Schulter schließt sich deshalb nicht, weil der Tatarenpfeil, der sie schlug – vergiftet war.
Natalia wurde bleich wie das Leinentüchlein, mit dem sie ihre Augen getrocknet hatte. Vergiftet –?
Es kann nicht anders sein, liebes Kind. Das Gift hat sich dem Blut mitgeteilt, und alle Säfte sind nun mit der Zeit so ungesund geworden, daß der ganze Körper siecht. Er muß ganz ungewöhnlich kräftig gewesen sein, da er diesem Verderben solange Widerstand entgegenzusetzen vermocht hat. Dagegen konnte freilich Euer Pater sowenig mit seinen Kräutern als mit seinen Gebeten etwas ausrichten.
Der breite Mund mit den schmalen Lippen verzog sich dabei zu einem spöttischen Lächeln, das vielleicht nicht beabsichtigt war. Natalia wollte es nicht bemerken. Ihr aber wißt das Mittel, weiser Mann! rief sie. Oh, enthaltet es mir nicht vor!
Nun kniff er die Augen zusammen und ließ einen zischenden Ton durch die Zähne. Es gibt freilich für Gifte Gegengifte, antwortete er, und ich bin hinter das Geheimnis gekommen, mit welchem Saft die Tataren ihre Pfeilspitzen zu tränken pflegen. Was nützt das? Wir haben es nicht mehr mit einer Wunde zu tun: der ganze Leib ist verpestet. Kann ich ihm frisches, gesundes Blut in die Adern flößen?
Sie senkte den Kopf und weinte. Könnt Ihr das nicht?
Diese vertrauensvolle Frage schmeichelte dem gelehrten Manne. Er steckte die Hand mit den langen Fingern in den Gürtel und ließ einen wohlgefälligen Blick auf der gebeugten Gestalt ruhen. Nein, sagte er, das kann ich freilich nicht. Aber die Natur hilft sich mitunter selbst, wenn man dem Krankheitsstoff die Wege versperrt, weiteres Unheil anzurichten. Nur ist es spät – sehr spät …
Ach, gewiß nicht zu spät, flüsterte sie, nun mit ihren braunen Augen voll inniger Bitte zu ihm aufsehend. Gebt mir das Mittel und sagt mir, wie es angewandt werden soll; ich will es gewiß an Aufmerksamkeit nicht fehlen lassen.
Er schüttelte den Kopf. Ich sage Euch, daß die Wege versperrt werden müßten. Dazu gehört zunächst eine besondere Behandlung der Wunde selbst, die ich niemand lehren kann. Ihr würdet den Giftkeim nicht zerstören. Und bliebe er darin und die Wunde schlösse sich, so würde er in Tollwut enden.
Natalia zog das Kästchen mit ihrem Schmuck vor, öffnete mit zitternder Hand halb den Deckel und sagte leise: Nehmt das. Es ist alles, was ich habe … Begleitet mich nach Sczanowo.
Er nahm ihr lächelnd das Kästchen ab, hob die Kette heraus und breitete sie zwischen den Fingern aus. Ein gar feiner Schmuck, sagte er. Erlaubt, daß ich sehe, wie er Euch kleidet. Er trat nahe an sie heran und legte die Kette um ihren Hals; dabei berührte er ihre Schulter, aber sie zuckte nicht. Ich will Euch nicht berauben – das Ding da paßt besser für Euch als für mich.
Es hat Goldwert, versicherte sie, und ich kann Euch sonst nichts bieten.
Der Dienst, den Ihr von des Königs Leibarzt verlangt, ist auch unbezahlbar.
Oh, so wollt Ihr um Gottes Barmherzigkeit – Sie sah zu ihm auf, senkte aber gleich wieder den Blick, da er sie mit so eigenen Augen betrachtete.
Dafür tut's Euer Pater. Nein, ein Liebesdienst ist des andern wert – ist der eine unbezahlbar, muß es der andere auch sein. Wohl denn – lohnt mir den meinen – durch einen Kuß.
Natalia trat erschreckt zurück; auf ihren Wangen flammte plötzlich Zornröte. Ihr wagt es –
Die Schönheit zu besteuern. Was büßt sie dabei ein? Ich bin bescheiden – einen flüchtigen Kuß. Man nennt mich habsüchtig, begierig nach Schätzen … Ihr sollt erfahren, daß der häßliche Jude schönen Damen um andern Lohn gefällig ist. Dünkt er Euch zu hoch für den Mann, den Ihr retten wollt?
Natalia СКАЧАТЬ