Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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      »Aber Ohm, so sprecht doch, so tut doch Euern Mund auf ... Was haben sie angefangen mit dem Studenten?«

      »Geiht et dich jet an?«

      »Sie haben ihn totgemacht!« schrie sie in ihrer Seelenangst auf, ohne ihre Stimme im mindesten zu dämpfen.

      »Dhudt! Mer mäht ene Minsch nit esu bahl dhudt! Wat hät dä Lotterbov en dem ahlen Huus zu dhunn gehat? Wat hät hä sich enzoschliche we 'nen Deev, dä Cujon?«

      Mit solchen Reden war Traudchen freilich nicht beschwichtigt, aber es gelang ihr nun einmal nicht, dem alten tückischen Manne mehr abzugewinnen. Sie mußte sich endlich zur Ruhe legen, ohne auch nur durch eine Silbe weiter von ihm beruhigt zu werden, und mußte noch obendrein ihrem Schöpfer danken, daß des Oheims Zorn sich nicht in hellen Wogen über sie ergoß, obwohl dies wieder ein neuer Grund der Angst für sie wurde. Hatte das, was er drinnen gehört oder gesehen, ihn so erschüttert, daß er darüber seinen Zorn gegen sie vergessen? Mußte es nicht etwas Fürchterliches sein, was ihn sofort nüchtern gemacht? Über was brütete er, daß er gar kein Verhör mit ihr anstellte, wie denn alles gekommen? – Daß Traudchen über alledem die ganze Nacht schlaflos zubrachte, brauchen wir nicht zu erwähnen. Mit dem frühesten war sie am andern Morgen wieder auf. Der Ohm schlief noch ... sie öffnete sacht die Tür zu seiner Kammer und überzeugte sich, daß er wirklich ruhig schnarchte. Sie machte ein absichtliches Geräusch, um ihn zu wecken. Sie wollte sein Ausgehen beschleunigen. Nach dem Frühstück ging der Alte zu einer Cichorienfabrik im Ferkulum, wo er die zahlreichen Mußestunden, die ihm sein Hausmeisteramt übrigließ, durch Teilnahme an dem Geschäft als eine Art Magazinverwalter verwertete. Gegen neun Uhr sah Traudchen ihn denn auch wie immer, in seinen Mantel gehüllt, richtig abziehen. Darauf nur hatte sie gewartet, um nun ihre weiteren Nachforschungen zu beginnen. Sie eilte in den hintern Hof zu den alten verfallenen Stallungen und Nebengebäuden, ob sich Hubert Bender dahin vielleicht gerettet. Aber sie waren verschlossen wie immer, der feuchte Boden vor denselben zeigte keine Spuren von Fußstapfen. In dem Raume unten im Treppenturme konnte sie dann mit Muße die große, jetzt schwarz geronnene Blutlache betrachten. Noch einmal versuchte sie die ins Innere führende Tür zu öffnen, aber vergeblich; auch als Traudchen unten, wo die Tür etwas aufklaffte, den Stiel eines von den alten Gartengeräten einschob und damit die Tür aufzusprengen versuchte, leistete diese hartnäckigen Widerstand. Dabei kam ihr der Gedanke, daß es noch einen Zugang zu dem geheimnisvollen Hause gebe. Er lag seitwärts an einer der nach dem Georgsplatz führenden Gassen. Zwei Häuser standen dort, die, mit den Hinterseiten an den alten Bau stoßend, ein ganz schmales Gäßchen zwischen sich freiließen. Das Gäßchen aber war mit einer Holzplanke, die nie geöffnet wurde, verschlossen. Doch eilte Traudchen dorthin. Sie fand, wie sie erwartet hatte, von dem verwitterten alten Brett den Zugang zum Gäßchen gesperrt. Durch eine Ritze an der Seite konnte sie jedoch wahrnehmen, daß der Gang, der eigentlich nur eine Gasse zwischen den beiden Häusern war, auf eine kleine spitzbogige Tür zulief, die in das Gebäude, in welches sie so gern eingedrungen wäre, führte. Draußen, da, wo sie jetzt spähend stand, befanden sich, dem Schmutze der Straße eingedrückt, Fußstapfen, auch Wagenspuren genug. Sie konnten aber von den Vorübergehenden, die an den vergleichungsweise trocknern Seiten der Straße ihren Weg gesucht hatten, gemacht sein. Im Innern der schmalen Gasse, die gepflastert war, suchte Traudchen vergeblich Fußstapfen zu erspähen. Nun wäre sie gern zu dem Hause gegangen, in welchem, wie sie wußte, Hubert Bender wohnte. Sie dürstete nach der Gewißheit, daß er nicht heimgekommen. Aber eine eigentümliche Scheu hielt sie ab. Es war ihr, als würde man den unglücklichen jungen Mann von ihr verlangen, als würde man sie verantwortlich machen für sein Mißgeschick! – –

      Es war um diese Zeit oder etwas früher, daß der Professor Anatomiae et Chirurgiae practicae D. Bracht von seinem gewöhnlichen ersten Morgengange aus der Messe in der Minoritenkirche nach Hause heimkehrte. Professor Brachts äußeres Erscheinen in der Öffentlichkeit war stets von einem gewissen Dekorum begleitet, und das Gepräge bürgerlicher Stattlichkeit, welches den Ehrenmännern des verflossenen Zeitabschnittes eigen war, wurde von diesem würdigen Mitglied einer gelehrten Zunft mit jenem Maße von Selbstbewußtsein zur Schau getragen, das freilich mehr Gelegenheit hatte, sich auf der Straße zu entwickeln, als in der mannigfach bedrängten Häuslichkeit.

      So sehen wir denn den Professor in sein Museum treten, auf dem gelehrten Haupt eine schöne Mütze von Fuchspelz, von der der lange weichhaarige Schwanz in anmutiger Bewegung auf den Rücken niederhängt; ein kurzer Radmantel von blauem Tuch fließt faltig von seinen schmalen Schultern herab und bedeckt den braunen Tuchrock mit großen Knöpfen von Glasguß; ein graues Beinkleid umhüllt seine bescheidene Lende und hält sich vorsichtig um die Breite einer Hand von den ledernen Teilen des Anzugs entfernt, welche die nicht beneidenswerte Bestimmung haben, den zunächst auf die Berührung mit dem Erdenschmutz angewiesenen Teil des Menschen zu schützen – beim Professor Bracht sind sie geschmückt mit schön glänzenden, gelblackierten Klappen.

      So, wie gesagt, tritt der gelahrte Herr durch den Laden in seinen Hörsaal und sieht sich alsbald umringt von einer kleinen Schar Kinder, die aus des Professors Studierstüblein hervorstürzt, das, hinter dem Museum oder Auditorium liegend, die eigentliche Tempelzella ist, welche Zeuge und Schauplatz seiner Anstrengungen im Priestertum der Wissenschaft. Die kleine Bande – es sind zwei Mädchen, so dünn und lang aufgeschossen wie wasserblaue Winden, und ein desto derber aussehender Knabe von sieben Jahren – beginnt damit, den Papa seiner überflüssigen Kleidungsstücke zu entledigen, und während Nieschen und Billchen ihm den Mantel von den Schultern ziehen, hat Drickeschen sich seines spanischen Rohrs bemächtigt; und nach des Vaters Hauptzierde begierig, jedoch nicht imstande, bis da hinaufzureichen, schiebt dies sinnreiche Kind von hinten her so ungestüm mit dem Stocke daran, daß die schöne Pelzmütze dem Papa auf die Nase rutscht.

      »Drickeschen, do Lotterbov!« ruft der Professor einigermaßen unwillig aus – »wat mähß do?« Und während Nieschen dem Kleinen den Stock zu entreißen sucht, den dieser mit lautem Schreien verteidigt, fragt der Papa Billchen, weshalb sie überhaupt hier und nicht oben bei der Mama seien.

      »Die Mama«, antwortet Billchen, »wollte Ruhe haben und hat uns herabgeschickt in dein Zimmer, da sollen wir bleiben und gut auf dich achtgeben, Papa, daß du das Zeug hängen lässest, das die Magd gestern gewaschen und um deinen Ofen aufgehängt hat.«

      Der Professor schreitet in sein Stüblein, aus welchem ihm ein Qualm von Hitze und Wäschedunst entgegenquillt; und in der Tat ist sein getreuer Freund, sein wärmespendender Kachelofen, mit einer Fülle weißer Leinwand umgeben, die an Anzahl der Quadratellen wetteifern kann mit der, womit ein Rangschiffer alle seine Masten bekleidet, wenn er mit günstigem Winde rheinabwärts gegen Emmerich fährt.

      Nieschen und Billchen wissen jedoch durch diese nassen Zeugwolken zu schlüpfen, um dem Papa seinen warmgehaltenen Kaffee aus dem Ofenloch zu holen; während Nieschen ihm einschenkt und Billchen die Milch in die Tasse gießt, reitet Drickeschen, die eroberte Pelzmütze auf dem blonden Kopf, das spanische Rohr zwischen den Beinen, in dem engen Stüblein mit einem ganz unnützen Aufgebot von Kräften und Geschrei umher.

      »Papa, do solls nit zo vill Zucker nemme, hät de Mama gesaht,« bemerkt Nieschen mit einigem nicht ganz kindlichem Vorwitz.

      »Nä, no süch enß, Niesche,« sagt Billchen, »no hät der Papa widder de Sonntagsstievvelen angetrocke, un nit de ahle!«

      »Et eß nicks met dem Mann anzofange!« bemerkt Nieschen, mit altklugem Schütteln des Kopfes eine Lieblingsredensart der Mama echoend, und setzt sich auf einen Stuhl ans Fenster, wo sich die fleißige Kleine mit einem Strickstrumpf beschäftigt.

      »Papa,« erzählt Billchen nun, »der Drickes well nit en de Schull gonn.«

      »Do unadige Jung ... wat geihß do nit en de Schull?«

      »Gangk en de Schull«, rät auch Nieschen dringend СКАЧАТЬ