Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Sie überschätzen meinen Einfluß, Wilbrand,« sagte die Dame dann nach einer Pause.
»Aber der Tolle ...«
»Der Tolle haßt mich, weil ich zwischen ihn und eins seiner Opfer getreten bin.«
»So tritt zurück aus dieser gefährlichen Position, und bedinge dir dabei aus, daß er dir deinen Willen tue.«
Die Dame stützte ihre Stirn auf ihre Hand, so daß ihre grauen Locken über ihre Weißen schmalen Finger niederfielen; so blickte sie eine Zeitlang nachdenklich in die Flammen des Kamins.
»Es wäre ein Seelenverkauf!« sagte sie endlich.
Der Mann ihr gegenüber zuckte die Achseln.
»Ah bah! Lassen wir es. Ich werde nach zwei oder drei Wochen mich dem Tollen vorstellen, und du wirst dann alles geordnet haben«, sagte er mit großer Bestimmtheit.
»Es ist auch nicht das allein,« fuhr die Dame mit einem Seufzer fort, »es ängstigt mich der Gedanke ...«
»Doch nicht etwa, daß man mich erkennen könnte?«
»Und wenn es so wäre?«
»Torheit! Die Zeit, das Leben und meine Schramme haben mich vollständig verwandelt. Und wieviel lebt denn noch von meinen alten Kumpanen und Bekannten dort? Es werden ihrer verzweifelt wenig sein! Dem alten Stier, dem Eggenrode kann ich aus dem Wege gehen. – – Der Gedanke, daß man mich erkennen könnte, ist es auch eigentlich nicht, was dich ängstigt«, fuhr der Mann nach einer Pause fort. »Es ist etwas anderes!«
»Und was sollte es sein?« fragte sie mit resigniertem Tone.
»Der Gedanke, mich in deiner Nähe zu wissen.«
Sie antwortete nicht.
»Gestehe, Gebharde, ist es nicht das?«
»Wenn es Ihnen Vergnügen macht, es zu hören – nun ja, allerdings.«
Der Mann legte die Arme auf der Brust übereinander, streckte behaglich noch weiter seine Füße aus und versetzte: »Ich kann es dir einmal nicht ersparen. Also mache deine Einleitungen. Du kennst meinen Willen. Du hast von einem Opfer gesprochen, das du dem Tollen bringen müßtest – welches ist das?«
»Ein junges Mädchen.«
»Natürlich!«
»Die Tochter eines seiner Beamten. Ich habe sie in mein Haus aufgenommen, um sie vor ihm zu schützen.«
»Laß sie unter ihr Dach zurückkehren, und das übrige geht ihn an!«
Die ältliche Dame antwortete nicht, sondern legte sich tief in ihre Kanapeecke zurück.
»Ist sie sehr hübsch?« fragte der Capitaine des chasses.
»Mehr als das – sie ist schön!« »Und sonst?«
»Sanft und harmlos, ein Wesen, das jedem Teilnahme einflößt; meinem Manne ist sie unentbehrlich geworden, und jedenfalls...«
Sie endete nicht, und der Mann ihr gegenüber fiel ein: »Ich errate, was du sagen willst: jedenfalls zu gut, des Tollen Beute zu werden. Nun, es braucht ja auch nicht dahin zu kommen. Hast du sie in diese Gefahr gestürzt, um deine Verwendung für mich zum Ziele zu führen und mir die Stellung zu verschaffen, die ich begehre – dann werden sich schon Mittel ausfindig machen lassen, sie vor ihm zu retten. Die Sache wird nun einmal nicht anders zu machen sein; ohne daß du ihm solch einen Gefallen erzeigst, wird er freilich schwer darauf eingehen, etwas für mich, deinen Schützling, zu tun.«
»Das ist leider nur zu wahr,« versetzte die Dame nach einer kleinen Pause, »und da auch ich fürchte, daß das junge Mädchen, wenn sie länger in meinem Hause bleibt, meinem Neffen Franz den Kopf verrückt, der ihr schon viel zu tief in die Augen geblickt zu haben scheint ...«
»Nun, dann besinne dich nicht lange!« fiel der Mann lebhaft ein.
Indem er diese Worte sprach, öffnete sich lautlos eine Tür im Hintergründe des Raumes, und ein düster blickender Mann in schwarzem Kleide, mit kleiner gepuderter Perücke trat ein, der mit gemessenen Schritten hinter den Sitz der Dame trat und ihr einige Worte zuflüsterte.
»Mein Wagen erwartet mich jetzt,« sagte diese darauf, zu dem Manne in Jagduniform gewendet.
»Soviel ich weiß, haben wir alles, was wir uns zu sagen hatten, gesagt und abgesprochen«, versetzte der Mann ihr gegenüber. »Nach drei Wochen etwa...«
Die Dame unterbrach ihn hier, denn sie wandte ihre Aufmerksamkeit einem vierten Wesen zu, welches sich seit einigen Augenblicken in dem Gemache anwesend gezeigt hatte.
Dieses Wesen war eine schöne, große Dogge mit langem zottigen Haar, der Gestalt nach an die Hunde vom St. Bernhard erinnernd, aber größer und schwerer. Auch war ihre Farbe eine andere als die jener berühmten vierfüßigen Philanthropen; der Hund war ganz weiß, bis auf einen schwarzen Flecken auf dem Oberkopf.
Das Tier hatte bis jetzt unter dem runden Tische gelegen, an dem die Sprechenden saßen; bei dem Eintritt des schwarzgekleideten Mannes, der offenbar ein Diener war, hatte es sich erhoben, war dem letzteren entgegengekommen und hatte, wie um ihn zu begrüßen, seine Hand beleckt. Während der letzten Worte des Herrn und der Dame am Kamin hatte es sich gähnend gereckt, dann eine Runde durch das Zimmer zu machen begonnen, aber plötzlich stillstehend, hatte es seinen Kopf erhoben, das kleine Guckfenster, hinter welchem die Lauscher standen, ins Auge gefaßt, und jetzt, indem es sein Rückenhaar sträubte, stieß es ein dumpfes Knurren aus.
Jungfer Traud sowohl wie Hubert waren bei dieser feindlichen Demonstration mit den Köpfen zurückgefahren.
»Machen wir, daß wir fortkommen!« flüsterte der Student hastig in das Ohr seiner Begleiterin.
Traudchen bedurfte dieser Aufforderung nicht. Aber vielleicht führte sie dieselbe zu eilig, mit zu wenig Vorsicht jedes Geräusch zu vermeiden, aus. Denn wahrend sie die nächsten Stufen hinabeilte und Hubert langsamer und gefaßter, dafür auch geräuschloser, ihr folgte, ließ drinnen der Hund ein paarmal ein tiefes, dumpftönendes Gebell hören.
Als Hubert, der die Stufen jetzt dem trotz Nacht und Dunkelheit förmlich hinabfliegenden Traudchen nach – die Laterne hatte der Student unter seinem Mantel geborgen gehalten – als Hubert an der obersten, der verschlossenen Bogentür, die aus dem Stiegenturm ins Innere des alten Hauses führte, vorüberkam, hörte er drinnen das Auftreten rascher Schritte. Als er ein Stockwerk tiefer den Absatz erreicht hatte, wo die andere, untere Bogenführung ins Innere führte, vernahm er, wie in der Höhe über ihm die verschlossene Tür entriegelt wurde und aufflog – gleich darauf hörte er den Hund hinter sich her die Stiegen herabgeschossen kommen.
Hubert Bender war ein mutiger junger Mann – es war jedoch sehr natürlich daß in diesem Augenblick etwas wie Schrecken und Angst ihn überkamen. Doch verlor er die Geistesgegenwart nicht; er hoffte, daß er den untern Kellerraum werde erreichen und dessen Tür hinter sich werde zuschlagen können, bevor ihn seine Verfolger eingeholt hatten; und für den Fall, daß dies nicht gelang, wickelte er im Hinunterstürzen einen Zipfel seines Mantels um den linken Arm ... er dachte vielleicht unwillkürlich an Hermann Gryn und СКАЧАТЬ