Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ fabelhafte Drachen und unglaublich dünnbäuchige Löwen angeschafft hatten, die bei Regenwetter ganze Wassermassen auf den unglücklichen Wanderer ausspien, den der Mangel eines Bürgersteigs in die Mitte der Straße trieb – auch diese merkwürdigen alten Häuser gewannen ihm kein Interesse ab; und noch weniger taten dies die schönen, aber unbeschreiblich verwitterten Kirchen, an deren Portalen eine fürchterlich zudringliche Rasse von Bettlern saß, die von wohlgekleideten Fremden mit einer ganz rücksichtslosen Härte ihren Zoll eintrieben, erbarmungslos wie indische Zemindars, und ebenso geneigt wie diese, die Unglücklichen, die nicht zahlten, ein wenig zu foltern oder ans Kreuz zu schlagen. Für alle diese schönen Merkwürdigkeiten der heiligen Stadt zeigte der Fremde, wie gesagt, keine Teilnahme. Auch schien es, daß er von früher her wohl bekannt sei mit dem Gassenlabyrinth um ihn her. Er fand sicher und ohne zu fragen seinen Weg durch die Sternengasse über Cäcilienkloster zum Neumarkt. Als er in der Nähe der schönen Apostelkirche angekommen war, die mit ihren Kuppeln und Türmen wie eine verkleinerte Aja Sophia sich vor ihm erhob, fragte er einen Vorübergehenden nach der Wohnung des Kanonikus Klevesahl. Der Mann deutete auf eine hohe Mauer und ein Gartentor, hinter welchem die Wohnung des »Knünchs« liege. Ripperda schob mit einiger Mühe das schwere Tor auf und sah sich in einem geräumigen Garten, in dessen Mitte ein nicht großes, aber freundliches, unten von Reben umkleidetes Haus von drei Stockwerken lag. Am Mittelfenster über der Haustür sah er die Gestalt eines Mannes in reifen Jahren, mit einem runden blühenden Gesicht, das mit einem Ausdruck von großer Gutmütigkeit und neugieriger Freundlichkeit auf den durch den Gartenpfad Heranschreitenden niederblickte.

      »Ich muß wünschen, Sie unter vier Augen zu sprechen, mein Herr Kanonikus Klevesahl«, redete ihn Herr von Ripperda an, als er die schmale hölzerne Wendelstiege emporgeschritten und von einem jungen Burschen in das Wohnzimmer geführt war. »Sie haben mir und einer gewissen andern Person einmal, als wir uns kannten, nicht ohne eigene Gefahr einen sehr großen und angenehmen Dienst geleistet; und da Sie die Wohltaten, die Sie erzeigen, vermutlich ganz vergessen, muß ich es Ihnen wohl sagen welchen; Sie waren damals noch nicht zum Kanonikus in der Stadt befördert, Sie waren noch Pfarrer einer weitentlegenen Landgemeinde; es war in der Kapelle zu Wolfshagen ...«

      »Mein Himmel... Sie sind doch nicht...Herr von Walrave?« rief der Kanonikus erschrocken aus und fuhr einen Schritt zurück. »Richtig,« versetzte der Fremde, mit seinem einen Auge den Geistlichen spöttisch fixierend, »ganz richtig!«

      »Leben Sie noch?! Sie leben noch?!«

      »Ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn ich Sie dadurch inkommodiere!«

      »Ich glaubte, Sie wären tot, lange schon!«

      »Unkraut vergeht nicht, wissen Sie, lieber Klevesahl! Als Walrave bin ich aber eigentlich auch tot; der, den Sie vor sich sehen, ist ein Herr von Ripperda – wollen Sie die Güte haben, das zu beachten?«

      »Ripperda? Nun, wie Sie wollen. Aber die ...«

      »Ganz richtig, die ... nun, wir verstehen uns. Es war eben für sie nichts anderes zu machen. Eggenrode brauchte Gewalt! Sie kannten ihn ja auch, den Stierkopf!«

      Der Geistliche ließ sich auf das schmale, mit schwarzer Serge überzogene Kanapee nieder, welches hinter seinem runden Tische stand, und starrte den Gast mit Augen an, welche zu verraten schienen, daß er immer noch nicht recht gewiß sei, ob er einen Lebenden oder ein Gespenst vor sich sehe.

      »Beruhigen Sie sich,« fuhr der Fremde fort, »ich sage Ihnen ja, der Walrave, den Sie kannten, ist tot, und was Sie jetzt sehen, ist ein ganz anderer, ein durch das Leben gewitzigter, alter Mensch, der nur das Unglück hat, die unangenehmen Erinnerungen jenes Walrave, welcher sich in seiner Jugend etwas leichtsinnig aufgeführt haben soll, mit sich herumschleppen zu müssen. Die französische Revolution führt mich zurück.«

      »Das heißt?«

      »Ich bin Emigré.«

      »Also in Frankreich hielten Sie sich bisher auf?«

      »So ist es. Nachdem ich hier in Deutschland gestorben war, führte ich mein schattenhaftes Dasein in Frankreich weiter, und da ich in diesem Lande endlich bei der edlen Jägerei in Chantilly angestellt wurde – als Capitaine des chasses des Herzogs von Condé – so habe ich, wie Sie sehen, das Dasein des Wilden Jägers geführt, der auch tot ist und dennoch auf die Jagd geht, und zwar sehr leidenschaftlich, wie man sagt.«

      »Wie der sehen Sie in der Tat beinahe aus! Und wie haben Sie diese entsetzliche Schmarre über der Wange bekommen?« fragte der Geistliche.

      »Wie man so etwas bekommt«, antwortete achselzuckend der ehemalige Capitaine des chasses. »Man begleitet seinen Herrn auf kleinen Abenteuern, steht wohl gar Wache dabei, wird von tugendhaften Leuten, die ihre Degen ziehen und unvorsichtig damit umgehen, in eine Unterhaltung verwickelt... und hat eins weg, ehe man sich's versieht. Doch man hat ja auch auf der Jagd mancherlei Zufälle; ein wütender Eber bricht durchs Garn, ein brünstiger Hirsch erinnert sich, daß er ein Geweih hat... Sie dürfen immerhin annehmen, daß ich einem dieser Umstände ein solches Glück verdanke.«

      »Glück? Sie sagen das mit einem Ausdrucke, als wenn es keine Ironie wäre!«.

      »Ist's auch nicht. Es ist ein Glück für mich, daß ich, was ein zerfetztes Gesicht angeht, den berühmten Balafré aussteche. Denn da ich hinüber will auf den Schauplatz meiner frühern rühmlichen Taten, so müßte ich sonst gefaßt darauf sein, daß man mich dort einfinge, mir eine eiserne Maske vors Gesicht schnallte und mich damit in die Kerkerzellen von Dudenrode würfe... Es gibt Leute, welche dafür sorgen würden, mein lieber Kanonikus, Sie begreifen das! Jetzt aber, in diesem Zustande, bin ich harmlos; es ist unmöglich, mich wiederzuerkennen.«

      Der Geistliche schüttelte den Kopf.

      »Aber was wollen Sie denn drüben?«

      »Meine Dienste dem Tollen anbieten; der Tolle wird mir höchstwahrscheinlich eine Stellung verleihen.«

      »Das ist eine unheilvolle Geschichte!« sagte der Geistliche mehr wie für sich als laut. »Und sie,« fuhr er dann lauter fort, »ahnt sie ...?«

      »Sie denken, Sie müßten sofort, wenn ich dieses Zimmer verlassen haben werde, eine Stafette an sie abschicken, um ihr einen Wink zu geben, welche Freude ihr bevorstehe ... aber beruhigen Sie sich, Klevesahl, und sparen Sie sich diese Auslage. Sie ist von allem unterrichtet. Wir haben uns bereits gesprochen, haben uns in den letzten Jahren schon einigemal Rendezvous hier in Ihrem alten heiligen Köln gegeben, und sie hat es jetzt über sich genommen, die Unterhandlungen zu führen, welche mir eine neue Anstellung vermitteln sollen. Aber ich bin gezwungen, Sie inzwischen mit einer Bitte zu belästigen.«

      »Was soll ich für Sie tun?«

      »Nichts, als mir ein kleines Attest ausstellen, daß Sie mich kennen und eine gewisse moralische Bürgschaft für mich übernehmen.«

      »Eine moralische Bürgschaft ... für Sie?!« rief der Kanonikus fast erschrocken aus.

      Herr von Ripperda lächelte bitter.

      »Ihr Erschrecken hat etwas sehr Schmeichelhaftes für mich«, sagte er. »Aber ich entschuldige es, weil es Ihnen immer noch nicht geläufig geworden ist, zwischen dem frühern Walrave und dem jetzigen Ripperda zu unterscheiden. –

      Sie wissen, Ihre Stadtregierung ist dem Aufenthalte von Emigranten innerhalb ihrer von St. Ursula beschützten Mauern abgeneigt. Man hat mir erklärt, nur wenn ich ein Zeugnis eines achtbaren und bekannten Bürgers beibringe, daß ich unverdächtig und wirklich ein geborener Deutscher sei, so werde mein Aufenthalt hier gestattet. СКАЧАТЬ