Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Mir graut,« versetzte sie. »Lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen.«
»Woran denken Sie! Jetzt bin ich erst recht versessen auf die Entdeckung, was da oben, vorgehen kann.«
»Mir fällt eine, greuliche Geschichte ein,« flüsterte Jungfer Traud, indem sich ihr glänzendes Auge erweiterte und aus ihren Wangen die Farbe wich, »eine Geschichte von einem, der nachts in ein altes Schloß gekommen ist, und da ist er in einen hellerleuchteten Saal geraten, in welchem Herren und Damen in altmodischer Tracht stumm um einen Tisch gesessen haben, essend und trinkend, und wenn sie getrunken haben, dann ist eine blaue Flamme aus dem Becher geschlagen, und es sind lauter längst, längst tote Menschen gewesen.«
»Hören Sie auf mit Ihren Spukgeschichten, Jungfer Traud, mir graut schon so, daß ich aus lauter Angst mich dicht an Sie schmiegen werde, wie ein furchtsames Kind an seine Mutter«, sagte schelmisch Hubert, indem er noch einmal versuchte, Traudchen zu umschlingen. Sie entschlüpfte ihm leise lachend. Hubert fuhr fort: »Jetzt kommen Sie vorwärts, hinauf; nun müssen Sie schon mit mir aushalten bis ans Ende; ich gebe Ihnen die Laterne nicht zurück!«
Mit diesen Worten verließ Hubert den Saal, schritt hastig über den Vorplatz vor demselben, und als er sich wieder auf der Wendelstiege befand, auf der er bis hierher vorgedrungen, begann er mit verdoppelter Vorsicht emporzusteigen. Jungfer Traud, welche sich Wohl hütete, im Dunkel allein zurückzubleiben, hielt sich ihm dicht auf den Fersen.
So kamen sie leise steigend bis an eine ganz ähnliche Bogenöffnung wie die, durch welche sie eben auf den Vorplatz im eisten Stock geschritten – nur mit dem Unterschiede, daß diese hier mit einer Tür, die aber weder Schloß noch Riegel zeigte, verschlossen war. Hubert drückte erst leise, dann stärker daran – aber sie gab nicht nach; stärkere Kraftanstrengungen dagegen zu versuchen, war nicht rätlich. Vielleicht war sie von innen fest verriegelt.
Hubert stand einen Augenblick, wie sich besinnend, was zu tun. Dann legte er plötzlich den Finger auf den Mund und flüsterte, zu Traudchen sich niederbeugend: »Mir ist, als hörte ich reden ... Pst ... hören Sie nichts?«
Traudchen antwortete nicht – aber sie wies mit ihrem Zeigefinger über Huberts Kopf fort in die Höhe.
Hubert folgte mit den Augen der Richtung, in welcher sie deutete, die Treppe hinauf. Dann schlug er rasch einen Mantelzipfel um die Laterne, und nun wurde bei der um die jungen Leute entstehenden Dunkelheit doppelt sichtbar, was Traudchen eben bemerkt und worauf sie gedeutet hatte.
Es drang ein schwacher Lichtschimmer von oben her die Wendelstiege herab. Der Schimmer lag bleich und dämmerig auf der Mauerfläche, die über der nächsten Wendung der Treppe sichtbar war.
Hubert drang jetzt, ohne sich lange zu besinnen, keck vorwärts, weiter hinauf, Traudchen aber überkam eine unwillkürliche Angst. Sie blieb wie gefesselt stehen.
Nach einer Pause, während deren das junge Mädchen die Schläge ihres eigenen Herzens hatte vernehmen können, erschien Hubert zurückkommend, oben auf der Treppe wieder – er winkte heftig mit der Hand. »Folgen Sie mir doch, kommen Sie, Traudchen – nur kühn vorwärts – kommen Sie rasch!« flüsterte er hinab.
Traudchen ermannte sich und stieg empor. Nachdem die Treppe noch eine Wendung gemacht, zeigte sich dem jungen Mädchen eine kleine Fensteröffnung, die etwa anderthalb Fuß im Gevierte haben mochte und durch welche heller Lichtschein fiel. Das Fenster gingen das Innere des Hauses hinein.
Hubert deutete Traudchen an, ihr Gesicht dem Fenster nahe zu bringen, und indem die letztere sich auf den Zehen erhob, gelang es ihr, in den Raum zu blicken, aus welchen der Lichtschein hervordrang. Sie zog sogleich das Gesicht wieder von den Scheiben zurück, um mit der Miene der äußersten Überraschung Hubert anzublicken.
Dieser legte den Finger auf den Mund und brachte zu gleicher Zeit sein Ohr der Decke des Fensterchens nahe, wo eine der kleinen bleigefaßten Scheiben zerbrochen und ausgefallen war.
Jungfer Traud dagegen war noch ganz Auge. Sie blickte mit weit aufgerissenen Lidern in ein Gemach von mittlerer Größe, das viel wohnlicher eingerichtet war, als der Zustand des übrigen Gebäudes es erwarten ließ. Den Boden bedeckte ein Teppich, die Wände, bis zur halben Höhe mit Holz getäfelt, zeigten oben blanken weißen Estrich, mit dem sie bis an das Gesimse belegt waren, und am oberen Ende, wo ein kleiner französischer Kamin sich befand, flackerte ein lustiges Holzfeuer, das einen hellen Schein in den Raum warf. Auf einem runden, dem Kamin nahegerückten Tische standen außerdem zwei altfränkische gewundene Leuchter mit brennenden Wachslichtern. Auf den Stühlen mit hohen Rückenlehnen von Rohrgeflecht, die sich an den Wanden zeigten, lagen Kleidungsstücke und allerlei Gegenstände, wie sie Personen um sich verbreiten, die eben von einer Reise einkehren und nun mit Mänteln, Hüten, Fußsäcken und Etuis die Räume füllen, welche sie betreten.
Vor den tiefen Fensternischen zeigten sich dicht zusammengezogene Vorhänge von schwerem Stoffe.
Vor dem flammenden Kamin aber saßen zwei Gestalten, in lebhafter Unterredung begriffen.
Die eine der beiden Gestatten war eine Dame, die nachlässig auf der Hälfte eines Kanapees ruhte, welches, um einen fehlenden bequemen Fauteuil zu ersetzen, zwischen dem runden Tische und der Kammecke dem Feuer nahegerückt war.
Ihr gegenüber an der andern Seite des Feuers, auf einem der Stühle mit den hohen Rückenlehnen, saß ein Mann, der seine Füße in bequemer Lage dem wärmenden Scheine der Flammen entgegenstreckte.
Die Dame stand in reiferm Alter; ihr Gesicht hatte ernste, scharf ausgeprägte Züge, in denen sich mehr Klugheit und Entschlossenheit als Wohlwollen und weibliche Milde spiegelten. Die hohe Stirn war stark gerundet, die Nase gebogen, und so bildete das Profil eine Linie, die dem Segment eines Kreises zu nahe kam, als daß diese Frau je hatte von großer Schönheit sein können. Und doch hatte ihr Antlitz etwas Edles, Vornehmes, und ihre ruhige, selbstbewußte Haltung, ihre Bewegungen erhöhten diesen Eindruck. Obwohl, ihr Gesicht und ihre Haltung nichts von Spuren des Alters verrieten, zeigten doch ein paar grauschimmernde Locken, welche unter einer kleinen, mit Spitzen besetzten Haube hervortraten, daß sie über die Mittagshöhe des Lebens weit hinaus sei und an der Schwelle des Alters stehe.
Sie war in eine Robe von schwarzer Seide gekleidet, über welcher sie einen dunkeln, mit braunem Pelz besäumten Überwurf trug, dessen weite Ärmel von den Ellenbogen an den Unterarm freiließen.
Der Herr ihr gegenüber wandte den lauschenden jungen Leuten den Rücken zu. Sie konnten nur aus seiner kräftigen und in den Schultern breiten Gestalt schließen, daß auch er in reifem Jahren stehe. Er trug ein dunkelgrünes Kleid, über dessen Kragen ein starker Zopf niederhing; zu seiner Rechten auf dem Tische lag ein Hirschfänger mit breiter Koppel und ein dreieckiger, mit schmaler Goldborte besetzter Hut.
Während Jungfer Traud mit ihren weit aufgerissenen Augen diese Beobachtungen machte, horchte Hubert Bender voll Spannung auf die Worte, welche die beiden fremden Menschen vor dem Kamin miteinander sprachen.
»Davon kein Wort mehr, Gebharde!« sagte der Mann vor dem Kamin mit einer volltönenden, etwas rauhen Stimme, die durch Anstrengungen in Wind und Wetter von ihrem ursprünglichen Metall verloren zu haben schien, und mit einem etwas fremdländisch klingenden Akzent. »Davon kein Wort mehr! Als Capitaine des chasses zu Chantilly konnte ich dieses vermaledeite Frankreich erträglich finden. Seitdem aber der Herzog von Condé zum Teufel gejagt, Chantilly geplündert und meine Kapitanerie wie jede andere vernünftige Einrichtung, die den Pöbel in seinen Schranken hielt, von der Kanaille über den Haufen gestürzt ist, sprich mir von keiner Rückkehr dahin! Ich sage dir, das ganze schöne Frankreich ist ein Tollhaus СКАЧАТЬ