Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Ein- oder zweimal im Jahre, an heitern Tagen; dann geht er um die Mittagszeit hinein und öffnet einige Fenster im ersten und zweiten Stock, um zu lüften.«
»Und seit Menschengedenken hat nie jemand in dem Hause gewohnt?« fragte der Professor.
»Wenigstens nicht, seit ich bei dem Ohm bin,« versetzte Traudchen, »und das ist nun schon lange her; denn ich war, ein ganz kleines Kind, als meine Eltern starben und der Ohm mich zu sich nahm.«
»Aber jetzt wohnt jemand darin, verlassen Sie sich darauf, und wir wollen es untersuchen, es mag kosten, was es wolle. Brechen wir auf, Traudchen, kommen Sie,« sagte der Student drängend. »Ich wette, Sie kennen sehr wohl irgendeinen Schrank- oder Kistenschlüssel, womit wir des Ohms Spinde losmachen können und ...«
»Oh, um alles in der Welt täte ich das nicht,« fiel Traudchen ein. »Wenn der Ohm dahinterkäme! ... Aber es ist noch eine Art Eingang in das Haus da ... und wenn der Monsieur Bender so gar groß Verlangen trägt, seinen Hals zu wagen ...«
»Nun sehen Sie, daß ich recht hatte, wenn ich sagte, Sie würden schon ein Mittel wissen, hineinzukommen? Ich bitte Sie um alles, Traudchen, kommen Sie!«
»Gehe Sie in Gottes Namen, Jungfer Traud,« sagte der Professor, »die Gefahr wird so arg Nicht sein; es gibt der verlassenen und leer stehenden Häuser leider mehr in unserer durch schlimme Zeitläufe entvölkerten Stadt, und wenn Sie Ihrem alten Bau nichts Schlimmeres nachsagen kann, als ich nun bisher angehört, so wird der Monsieur Bender den Hals nicht darin brechen. Morgen in der Früh', hoffe ich. kommt unsere liebe Hausfreundin und stillt unsere nicht unbeträchtliche Neugier, was aus dem kecken Monsieur Bender und seiner Entdeckungsfahrt in die nächtlichen und geheimnisvollen Regionen des alten Hauses geworden!"
»Ja, bis morgen, Herr Professor!« rief Traudchen Gymnich aus, indem sie ihren Regenmantel umschlug und die Ladentür öffnete; und nachdem der Scholar sich von seinem Lehrer verabschiedet, folgte er dem jungen Mädchen mit seiner Laterne.
Zweites Kapitel
Was der Student und das junge Mädchen in dem alten Hause entdeckten
Es schlug acht Uhr in dem verwitterten alten Domturme, es schlug acht Uhr auf Groß- und auf Klein-St.-Martin, und acht Schläge hallten in verschiedenen Pausen, bald dumpf, bald hell, bald nahe, bald fern, von allen den zahllosen Türmen, die zwischen St.-Kunibert und St.-Severin lagen. Es war ein seltsames Konzert, das durch den dichten Nebel schwirrend bis in die kleinsten Sackgassen, Durchgänge und Höfe drang. Acht Uhr! Es wäre genug gewesen, wenn es die große Domglocke mit ihrem mächtig dahinrollenden Klange gesagt hätte; denn jedermann, der hören wollte, konnte nicht den geringsten Zweifel darüber hegen, daß die großen Glockenhämmer in dem Turme der Kathedrale achtmal aushoben und achtmal niederfielen. Aber die andern wollten es auch sagen. St.-Maria im Kapitol, St.-Maria zu den Staffeln, St.-Maria in der Kupfer – und die in der Schnurgasse wollten es auch verkünden; und was St.-Maria behauptete, damit waren St.-Kunibert, St.-Andreas, St.-Gereon, St.-Ursula und St.-Pantaleon so sehr einverstanden, daß sie es ausdrücklich laut wiederholten; und dann kamen die kleinem Heiligen: St.-Alban, St.-Mauritius und St.-Columba; sie machten sich ein wahres Vergnügen daraus, ihre vollständige Übereinstimmung mit den großen an den Tag zu legen und ihr Stimmrecht zu wahren, und so verkündeten sie alle, daß nun abermals eine Stunde ins Meer der Ewigkeit versunken.
»Bitte, gehen Sie voraus, Herr Bender,« sagte das junge Mädchen zu ihrem Begleiter, als sie den Laden des Professors verlassen hatten; »leuchten Sie mir.«
Der Student schritt voraus und ließ das Licht seiner Laterne auf den Boden der Straße fallen. Jungfer Traud faßte herzhaft ihren Mantel und ihr Sergeröcklein hinter sich zusammen, und auf ihre festen Schnürstiefelchen vertrauend, ergab sie sich, dem raschen Schritte Benders folgend, in das Unvermeidliche.
Ihr Weg mündete in eine Straße, wo der Schmutz noch unergründlicher war. Die beiden jungen Leute aber waren zu voll von ihrem Vorhaben, um sich viel daran zu kehren. Sie gingen der Hochpforte zu, über den Weltmarkt, dann links ab und eine Weile neben der düstern, niedern Georgskirche her, deren gewaltiger Turm noch massenhafter und breiter als bei Tage jetzt durch Nacht und Nebel dräute. Während in den Straßen, durch welche sie gekommen, hier und dort aus den Läden und aus den offenen Türen der Weinhäuser heller Lichtschein auf den Weg gefallen war, lag die ganze Gegend, in welche sie jetzt gelangten, durchaus in Dunkel und Finsternis. Doch glitt der enge Lichtkreis, den Huberts Laterne auf den Boden warf, rasch dahin, und innerhalb dieser Lichtsphäre bewegten sich ebenso rasch zwei männliche, mit Klappenstiefeln bewaffnete Beine und der untere Teil einer weiblichen Gestalt – denn von den Oberkörpern waren nur höchst unsichere zerflossene Umrisse zu unterscheiden. Entschlossen schritten sie vorwärts. Als sie die Kirche hinter sich hatten, gelangten sie auf einen kleinen viereckigen Platz, der allerdings vor dem unergründlichen Schmutz der Straßen den Vorteil darbot, daß man hier festen Boden unter den Füßen fühlte. Dafür aber war er durch Haufen von Kehricht und Schutt, die hier mit oder ohne obrigkeitliche Erlaubnis abgelagert waren, unwegsam gemacht, und die liebe Jugend, die, aus dem Zwinger der Bildungsanstalt entlassen, täglich hier ihre kindlichen Spiele aufzuführen Pflegte, hatte überall tiefe Löcher, wahre Schachtbaue angelegt, so daß Hubert Mühe hatte, in Schlangenlinien seinen Weg durch dieses schwierige Terrain zu finden. Endlich stand man am Ziele. Es war ein kleiner einstöckiger Vorbau, mit einem großen Einfahrtstore, über dem ein vorspringendes Schutzdach die Figur irgendeines nicht recht erkennbaren Heiligen schirmte. Traudchen zog einen Schlüssel hervor, um eine kleinere in das Tor eingeschnittene Einlaßtür zu öffnen.
»Wenn jemand sähe, daß ich Sie mit hereinnähme, was würden die Leute denken!« sagte sie dabei ängstlich flüsternd; »verdecken Sie ja die Laterne,«
»Dann, Traudchen, heirate ich Sie,« gab Hubert lachend zur Antwort, »und was ist dann dabei?«
»Oh, ich danke schön,« versetzte das junge Mädchen, »da wär' die Medizin schlimmer als die Krankheit!«
Sie standen jetzt unter einem gewölbten Torbogen; links lag der Eingang zur Wohnung Traudchens und des Ohms Gymnich, vor ihnen aber ein Hof, dessen hintere Seite ein hohes, in der Dunkelheit unbeschreiblich düster aussehendes Gebäude bildete; die linke Seite dieses Hofes schloß ein auf Holzständern ruhendes offenes Bauwerk, der Holzschuppen, von dem Traudchen geredet hatte, ab, von dem Vorbau bis an das Hauptgebäude reichend und beide verbindend. Rechts schloß eine hohe Mauer den Hof.
Traudchen hieß den Studenten unter dem Durchgang des Vorbaues warten und verschwand dann im Innern ihrer Wohnung. Nach einer Pause kehrte sie zurück. Sie fand ihren Begleiter jetzt auf der Mitte des Hofes stehend und die Laterne noch immer unter dem Mantel verborgen haltend, aber angestrengten Blickes an dem allen Herrenhause hinaufspähend.
»Von Rauch sehe ich nichts,« sagte er leise, als er Traudchens Schritte hinter sich hörte, »ich kann heute nicht einmal die Essen sehen, so dunkel ist es; aber blicken Sie einmal auf das dritte Fenster von links in der obern Reihe – das, welches sich gerade über dem Erker befindet – schimmert da nicht in der Mitte etwas wie ein ganz schmaler Lichtstreifen hindurch?«
»In der Tat,« versetzte Traudchen, »es muß da oben Licht sein.«
»Was haben Sie da, Jungfer Traud?« fragte Hubert, auf einen Gegenstand deutend, den das junge Mädchen in der Hand trug.
»Ein paar alte Filzschuhe vom Ohm,« sagte sie. »Ziehen Sie das über die Stiefel an, damit Sie auf den Treppen kein Geräusch СКАЧАТЬ