Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ Mitteln erreicht. Der Tag des Schülers war bis auf die Minute eingeteilt, und zwar so, daß die Tätigkeit nicht nur stündlich, sondern zuweilen viertelstündlich wechselte. Den Lehrstunden waren halbstündige Erholungsstunden eingeschoben, viertelstündige Belustigungen, viertelstündige Gebete. Die eigentümliche Zerstückelung des Tages zerteilte gleichsam auch die jugendliche Seele, ließ sie nicht zum Wachsen von innen, zum Kristallisieren in eigener Form kommen. Alles im Leben des Schülers begab sich nach Vorschrift: es war ihm vorgeschrieben, was und wie lange er zu denken, was und wie lange er zu beten, wie lange und in welcher Weise er sein Gewissen zu erforschen habe. Die Pflicht zu häufiger Beichte, die Beobachtung durch die Oberen und Gefährten lieferte den Knaben völlig seiner Umgebung aus. Eigene Gedanken, selbständiger Wille konnten sich nicht in ihm bilden, dagegen wurde er angefüllt mit den Vorstellungen und Bestrebungen, die der Orden für richtig hielt. Doch war es nicht so, daß der Wille überhaupt gebrochen werden sollte, nur der eigene Wille. Der Schüler sollte ein Werkzeug in der Hand des Oberen sein, das auch fern von ihm in seinem Sinne tätig sein konnte. Er mußte durchdrungen sein von den Absichten des Ordens, erfüllt von seinem leidenschaftlichen, unbeugsamen Eifer. War er durch Gehorsam zum fertigen Jesuiten geworden, durfte er auch herrschen. Zwar war jeder Führer dem General unterworfen; aber innerhalb der großen Organisation konnte man doch zu weitgehender Selbständigkeit kommen, und jeder einzelne Jesuit hatte Macht über jede Seele, die er sich unterwerfen konnte, natürlich stets im Rahmen der festgesetzten Weltanschauung.

      Dieser auf Befehl und Gehorsam gegründete Organismus wurde wirklich das, was dem General vorgeschwebt hatte: eine Armee von tapferen Soldaten, die auf Befehl des Feldherrn bereit waren, die höchste wie die niedrigste Aufgabe, Ehre und Gnade sowie Tod und Schmach auf sich zu nehmen. Wie hätte ein solches Heer nicht Großes vollführen sollen? Der Wille des Führers ging zunächst hauptsächlich dahin, die Häresie auszurotten oder soviel wie möglich zurückzudrängen. Die jungen Jesuiten lockte mehr die romantische Märtyrerkrone, die in fernen Ländern, in Indien oder in China zu erwerben war, nach dem Beispiel des Franz Xaver; allein der General wehrte meistens ab, indem er sagte, sie sollten das mühsamere Martyrium des Schulehaltens auf sich nehmen, Deutschland als der Ketzerei verfallen sei Indien, sei Barbarenland, das müsse zurückerobert werden. Ganz ohne Beihilfe staatlicher Mittel, Drohungen und Strafen, Einquartierungen, Quälereien, ging die Bekehrung nicht vor sich; aber Predigt und hingebende Bemühung der Jesuiten hatte doch großen Anteil daran. Bis in den Norden, nach Westfalen, Ostfriesland, Hildesheim, Bremen, Hamburg drangen die Jesuiten vor, überall faßten sie Fuß. Mit derselben Energie, mit der der Protestantismus sich vor 50 Jahren ausgebreitet hatte, wurde er durch die neue katholische Strömung zurückgeworfen. In den Jahren 1607-1611 war in Paderborn und Münster noch die Mehrzahl der Einwohner protestantisch, 1625 waren beide Städte fast ganz katholisch. Mehrere Fürsten, so der von Pfalz-Neuburg, der von Nassau-Hadamar, traten zum alten Glauben zurück und zwangen ihre Untertanen, ihnen zu folgen. Die Markgrafschaft Baden hat bis 1635 zehnmal, die Oberpfalz in 80 Jahren fünfmal den Glauben gewechselt. Es ist anzunehmen, daß die geistigen Vergewaltigungen den Charakter der Bevölkerung sehr geschwächt und erniedrigt haben; aber viele hatten wohl von vornherein keine feste Überzeugung und waren es zufrieden, sich die Schnürbrust eines gut geregelten Glaubens von den Jesuiten anlegen zu lassen. »Die Deutschen«, sagte ein Jesuit, »sind im allgemeinen einfach und ehrlich, nicht verstockt und bösartig. Sie nehmen auf, was man sie lehrt.« Eine gewisse geistige Trägheit kam dem Bekehrungseifer entgegen. Da, wo durch Luther die christliche Freiheit verkündet war, wo Wallfahrten und Bilderdienst aufhörten, der Zwang zu Gebet und Beichte wegfiel, hatte das kirchliche Leben oft fast ganz aufgehört; in den durch die Jesuiten bekehrten Ländern wurde wieder gewallfahrtet, der Rosenkranz abgebetet, das Marienbild bekränzt, Knie vor dem Allerheiligsten gebeugt. In Österreich, Bayern, Westfalen war es bald vergessen, daß hier einmal trotziger Protestantismus geherrscht hatte.

      Es ist begreiflich, daß die Protestanten die siegreich vordringende Armee der Jesuiten haßten. Sie konnten sich ihren Erfolg nur durch den Gebrauch abgefeimter Mittel, Verzauberung der Seelen und Vergiftung der Leiber erklären. Sie schrieben den Jesuiten alle erdenklichen Teufeleien zu, die ihnen fernlagen; aber die Witterung von etwas Anrüchigem trog sie doch nicht ganz. Peter Faber und Peter Canisius waren aufrichtig fromme Männer, die versuchten, auch ihre Feinde zu lieben, die die grobe und gehässige Polemik, wie sie Luther aufgebracht hatte, verschmähten. Den schönen Grundsatz, den Irrtum durch Darstellung der Wahrheit zu bekämpfen, bemühten sie sich durchzuführen. Bei den Nachfolgern der Begründer der Gesellschaft waren die bedeutenden Eigenschaften und die religiöse Wärme nicht mehr so allgemein, sie mußten sich oft mit der Maske des liebevollen, sanften und tugendhaften Heiligen aushelfen. Ohnehin war den Schülern nicht nur die Gesinnung, sondern auch das Benehmen bis auf die Haltung des Kopfes, die Richtung des Blickes, die Bewegung der Hände vorgeschrieben; schon ihre äußere Erscheinung sollte zur Erbauung dienen. Bei diesem Zwang, sich gottselig zu gebärden, mußte den Jesuiten eine Heuchelei zur zweiten Natur werden, der gegenüber die massive Grobheit und das naive Darauflosleben der Protestanten erquickend wirkte. Etwas Künstliches, Übertriebenes, Süßliches drang mehr und mehr in die katholische Kirche überhaupt ein. Nicht allein, aber zum großen Teil war der Jesuitismus schuld daran, daß der reformierte, nachmittelalterliche Katholizismus sehr von dem des Mittelalters abwich. Weitherzig, großartig hatte die mittelalterliche Kirche das germanische Heidentum in sich aufgenommen, die menschliche Schwäche nicht nur geduldet, sondern sich weise eingeordnet. Freude und Übermut, ja Ausschweifung durfte schwärmen und überschäumen, um von der heiligenden Macht der Kirche wieder gereinigt und geweiht zu werden. Die Irrenden wurden verfolgt und verbrannt; aber nur wenn sie sich ausdrücklich von der Kirche lossagten und gegen sie wandten. Die nach der höchsten christlichen Vollkommenheit streben wollten, konnten sich in Klöstern von der Welt scheiden und wurden von der Welt verehrt; aber auch in den Klöstern konnten Kunst und Wissenschaft und fröhliches, gemütliches Leben sich entfalten. Im Gegensatz zu der Sittenlosigkeit, die das Bedürfnis der Reformation hervorgerufen hatte, hielten sowohl Protestanten wie Jesuiten auf Sittenstrenge, die bei den Reformierten oft ans Sauertöpfische und Finstere, bei den Jesuiten ans Zimperliche, Versteckte grenzte. Es kam dazu, daß die Jesuiten als Fremde für die Neigung des deutschen Volkes, auf unschuldige Art mit dem Heiligen zu spielen, der es in den Mysterien und bei Festlichkeiten sich hingab, wenig Verständnis hatten. Schon der Umstand, daß über ein Jahrzehnt nach der Gründung des Ordens verging, ehe deutschsprechende Jesuiten nach Deutschland kamen, zeigt, wie durchaus die Bewegung eine fremde war. Das Christentum überhaupt war aus dem Süden nach Deutschland gekommen, die großen Erfrischungen des mittelalterlichen Glaubenslebens aus Frankreich, Italien, Spanien. Diesmal kam die Neubelebung aus Spanien und brachte mit sich die Eigentümlichkeit dieses Landes: Fanatismus, Inbrunst, Heroismus und eine seltsame Mischung von Sinnlichkeit und Verstandesschärfe. Die Sinnlichkeit äußerte sich darin, wie das Göttliche den Sinnen nahegebracht wurde; wenn in den Exerzitien etwa das Höllenfeuer oder die äußere Schönheit des Heilands ausgemalt wurde, so steht das in bedeutsamem Gegensatz zu dem Spruch, den Luther liebte, von dem, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und was Gott denen zubereitet habe, die ihn lieben. Die Marienverehrung bekam einen neuen Aufschwung dadurch, daß die Jesuiten sie zu ihrer Patronin wählten, sie als die holdseligste aller Frauen verehrten; aber es kam in diesen lieblichen Kult etwas Überhitztes. In alle kirchlichen Betätigungen schlich sich etwas Gespreiztes, Krampfhaftes. Die Figuren der Heiligen in den Kirchen und auf den Kirchen glichen geschickten Schauspielern mit pathetischen Gebärden in wirbelnden Gewändern, die leere oder lüsterne, jedenfalls ganz weltliche Seelen verhüllen. Formvolles und auf das Äußerliche gerichtetes Wesen war den Italienern und Spaniern natürlich, nicht den Deutschen. Loyola wünschte, daß die Jesuiten Redeübungen in den großen Ruinen Roms veranstalteten, um klangvoll und großartig sprechen zu lernen. Man begreift, daß von Zeitgenossen der Protestantismus als germanisches Christentum bezeichnet wurde. Es war, als habe das Luthertum die Innerlichkeit aus der Kirche herausgelöst und ihr die äußere Form und Gebärde gelassen. Auch darin sprach sich das aus, daß Loyola als wesentlichen Gegensatz zum Luthertum die Freiheit des Willens und die Notwendigkeit der guten Werke lehrte. Luther kam es darauf an, die Menschen auf die Allmacht Gottes und seine Gnade hinzuweisen, Loyola wollte seine Anhänger zu energischem Handeln fortreißen. Auch Luther hat ungeheure Tatkraft gezeigt; dennoch war er mehr ein Mann des Glaubens als des Willens und scheute oft СКАЧАТЬ