Название: Gesammelte Werke
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 4064066388829
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Der große Gegenkämpfer Luthers war keiner von den Päpsten, deren Herz im Grunde unbeteiligt war, wenn man den nur kurze Zeit regierenden Hadrian VI. ausnimmt, sondern Karl V., der, wenn auch wesentlich staatsmännisch begabt und interessiert, doch auch ein überzeugter, frommer Katholik war. Seine Beziehung zu den überirdischen Mächten war verknüpft mit den eindrucksvollen Gebräuchen der katholischen Kirche. In Augenblicken der Erschütterung war es ihm Bedürfnis, vor einem Marienbilde oder einem Kruzifix zu knien und zu beten. Der reichste und mächtigste Fürst des Abendlandes sparte wie ein schlecht bezahlter kleiner Beamter mit seinen Kleidern und gab sich in den von Musik und Weihrauch erfüllten Gewölben der Kirchen den Ahnungen einer seligen Welt hin. Die Messe, die Bilder, die Klöster, gerade das, was die Protestanten verwarfen, brachten ihn schon hier auf Erden in Berührung mit dem Reich Gottes, das er als die Heimat seiner Seele betrachtete. Es wird erzählt, Karl habe niemals in seiner Gegenwart die Protestanten ihren Glauben verfechten lassen, weil er gefürchtet habe, ihre gewandten und gelehrten Begründungen könnten seine Überzeugung erschüttern. Da das Luthertum bei einigen seiner Schwestern, die ihm nahestanden, Eingang gefunden hatte, scheint es nicht unmöglich, daß auch er Verständnis dafür gehabt haben könnte. Noch mehr gibt es zu denken, daß diejenigen spanischen Geistlichen, die das Evangelium ergriffen und verbreiteten, solange das neben der Inquisition möglich war, Begleiter Karls und von ihm hoch geschätzt waren. Es ist also anzunehmen, daß ihre Art, das Göttliche aufzufassen, ihm vorzugsweise zusagte, und daß er ihren Gedankengängen gefolgt wäre, wenn er nicht von vornherein zum Gegenteil entschlossen gewesen wäre. Karl war darin Luther ähnlich, daß er von Natur konservativ war; womöglich hielt er fest am Althergebrachten. Dazu kam, daß die alte Kirche, die sein Gemüt befriedigte, mit der Verfassung des Reiches verbunden war. Er war und wollte sein Kaiser im alten Sinne, die Leuchte und Stütze der Christenheit neben dem Papst, Dominus mundi. Wie die Hohenstaufen scheute er sich nicht, Päpste zu bekriegen, aber wie sie dachte er nicht daran, das Papsttum zu verwerfen. Wie sein Großvater Maximilian und die Kaiser des Mittelalters hegte er als Krönung seiner Taten den Plan eines Kreuzzuges gegen die Ungläubigen. Um ihn auszuführen, war Einigkeit des Glaubens im Reich notwendig; auf dieser beruhte die Kultur des gesamten Abendlandes überhaupt. Sie zu erhalten, betrachtete er als des Kaisers vornehmste Aufgabe. Der Verrat Moritzens und der Sieg der Protestanten machte alle seine bisherigen Erfolge zunichte. Vielleicht hätte er den Kampf noch einmal aufgenommen; aber er war durch und durch unheilbar krank, sein erschöpfter Körper versagte dem stolzen Geist den oft mit letzten Kräften geleisteten Gehorsam. Noch versuchte er, obwohl von Gichtanfällen gequält, das von den Franzosen geraubte Metz zurückzuerobern. Als allen klar wurde, daß die feste, gut verteidigte Stadt in der winterlichen Jahreszeit uneinnehmbar war, wollte er allein nicht nachgeben. Sein Leibarzt, der berühmte Vesalius, der ihn begleitete, sagte, sie alle und zuerst der Kaiser würden ihr Leben in dieser Festung lassen müssen. Nicht lange danach hatte ein Engländer Gelegenheit, ihn zu sehen: die geisterhafte Blässe seines Gesichtes verriet seine Krankheit, er hielt sich mit Mühe aufrecht. Nach dem Verlust vieler Zähne fiel der vorstehende Unterkiefer als häßlich auf; aber der energische Blick seiner Augen, die zugleich Anmut und Ernst ausdrückten, machte, daß man das Störende übersah. Der zusammengebrochene Kranke war mehr als je eine königliche Erscheinung.
Als Isabella, Karls Frau, noch lebte, hatten sich die beiden gelobt, in späteren Jahren sich in ein Kloster zurückzuziehen. Seltsamer Traum zweier Liebenden! War es, daß sie ihre Liebe als einen Raub an Gott betrachteten, den sie zurückerstatten müßten? Sollte dies Opfer ihnen die Gewißheit sichern, daß ihre Seelen in der jenseitigen Herrlichkeit auf ewig vereinigt würden? Oder hatte die spanische Johanna die schwermütige Sehnsucht nach Einsamkeit auf ihren Sohn übertragen? Als Isabella jung starb, zog er sich in ein Kloster zurück und dachte daran, es nicht mehr zu verlassen. Die Welt war ihm nach dem Erlöschen seines Lichtes dunkel geworden. Nur weil man ihm vorstellte, daß sein zwölfjähriger Sohn Philipp zu jung sei, um die Regierung zu übernehmen, kehrte er zu seinen Pflichten zurück. Inmitten der folgenschwersten Unterhandlungen und Kämpfe dachte er immer wieder an das wipfelumrauschte Kloster, den abendroten Garten des Friedens, den Vorhof des Himmels. Er bereitete alles zu diesem Ende vor, hoffte eine Zeitlang, ein im Glauben geeintes Reich seinem Sohne übergeben zu können. Als er in beidem gescheitert war und die Kraft nicht mehr fühlte, den Kampf von neuem zu beginnen, dankte er ab, um sich von der Welt zurückzuziehen. Wenn er vor den in Brüssel versammelten Ständen als den Grund, warum er seine Kronen niederlege, seine wankende Gesundheit anführte, sagte er die Wahrheit. Er fühlte den Abend; nun wollte er die Sonne zwischen den Zypressen eines Klostergartens untergehen sehen. Als die Geschäfte erledigt waren, wurde die Reise nach Spanien angetreten, zwei seiner Schwestern, Eleonore, die verwitwete Königin von Frankreich, und Maria, die verwitwete Königin von Ungarn, folgten ihm. Er hatte sich zur letzten Zuflucht das Hieronymiten-Kloster San Yuste in Estremadura ausgewählt; es lag in einem fruchtbaren Tal voll von Blumen und Früchten, aber auch umbraust von Gewittern und Stürmen. Angefügt an das Kloster hatte er sich einen kleinen Palast erbauen lassen, den er mit einigen Begleitern und etwaigen vornehmen Gästen bewohnte. Die Mehrzahl der Dienerschaft war im nächsten Dorfe untergebracht. Die Mönche, die der Ankunft ihres erhabenen Gefährten mit Ungeduld entgegengesehen hatten, waren, wie es scheint, etwas einfältige, gutartige Leute, die den Kaiser sehr gelangweilt hätten, wenn er auf sie allein angewiesen gewesen wäre. Da das nicht der Fall war, ging er gern und freundlich mit ihnen um. Sein hauptsächlicher Verkehr waren sein Kammerherr Don Luis Quixada, ein vornehmer Herr von altem Schlage, redlich, fromm und unwandelbar treu, dem er seinen Sohn von der schönen Regensburgerin Barbara Blomberg, Don Juan d'Austria, zur Erziehung übergeben hatte, ferner sein Arzt, ein junger Niederländer, und Wilhelm von Male, ein Gelehrter von natürlich schlichtem Wesen, gleichfalls Niederländer, mit dem er allerlei literarische Dinge zu besprechen pflegte. Gern hatte er auch den italienischen Mechaniker Torriano von Cremona um sich, der seine Uhren betreute und wunderliche Automaten verfertigte, wie zum Beispiel fliegende Vögel und eine nach dem Takt ihres Tamburins tanzende Dame. Wie einst der große Albert um ähnlicher Wunderwerke willen, sollen auch der Kaiser und sein Künstler den erschreckten Mönchen zauberverdächtig erschienen sein. Von seiner Einsiedelei aus verfolgte der Kaiser, denn er konnte doch nicht anders als Kaiser bleiben, mit lebhafter Teilnahme die Ereignisse der großen Welt. Briefe, Depeschen, Boten kamen und gingen. Er konnte in die heftigste Erregung geraten, wenn die Dinge anders gerieten, als er sich gedacht hatte; aber er pflegte sich bald zu beruhigen und folgte gern dem regelmäßigen Tageslaufe, wie er sich in dem kleinen Bezirk gebildet hatte. Seine Umgebung und seine Gewohnheiten waren einfach; aber er hatte schöne flandrische СКАЧАТЬ