Название: Gesammelte Werke
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 4064066388829
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Aufschwung der katholischen Kirche
Ein spanischer Edelmann aus dem Hause, das durch verschiedene seiner Mitglieder fürstliches Ansehen erworben hat, Francisco Borja, war Stallmeister der Königin Isabella, der Gattin Karls V. Nach ihrem Tode war es seine Aufgabe, den Leichnam von Toledo nach Granada in die Gruft zu geleiten und dort zu beschwören, daß sie es sei. Bei der Eröffnung des Sarges, die zu diesem Zweck vorgenommen werden mußte, waren die edlen und lieblichen Züge Isabellas schon so zerstört, daß er sie nicht mehr erkennen konnte. Dieser Eindruck und der bald darauf erfolgende Tod seiner eignen geliebten Frau erschütterten ihn so, daß er sich, da seine Kinder ohnehin erwachsen waren, von der Welt schied und in den kürzlich von seinem Landsmann Loyola gegründeten Orden der Jesuiten eintrat. Die Borja waren mit der spanischen und der portugiesischen Dynastie verwandt und Francisco insbesondere bekannt und wohlgelitten. So wurde er, als er den Kaiser in San Yuste aufsuchte, freundlich empfangen; doch sagte der Kaiser, Freund des Althergebrachten und Feind aller Neuerungen, mißbilligend zu ihm, er begreife nicht, warum Francisco in den neuen Orden eingetreten sei, in dem es keine weißen Haare gebe, und der nicht im besten Rufe stehe. Die Jesuiten wurden nämlich von verschiedenen älteren Orden als Werkzeug des Satans und Vorläufer des Antichrist angegriffen, und Karl selbst hatte den übrigens verdienten Jesuiten Bobadilla wegen seiner Kritik des Interims aus dem Reiche verbannt. Borja erwiderte, daß jede Erscheinung an ihrer Quelle am besten sei und verteidigte außerdem den Orden mit so vielen Gründen, daß Karl milder über ihn zu denken begann.
Der neue Orden, der anfänglich auf so viel Widerwillen der Katholiken stieß, hat der Kirche, die vor dem Ansturm der Protestanten erschreckt zurückwich und ihre zündenden Ideen nur mit abgestorbenen, entwerteten zu bestreiten wußte, neue Kraft und neues Leben zugeführt. Der mittelalterliche Klerus war ein sehr gesicherter Stand, so gesichert, daß er anfänglich die allgemeine Kritik und Abneigung kaum beachten zu müssen glaubte. Die Geistlichen fühlten sich unerschütterlich im Besitz. Als der ernstliche Angriff kam, hatten sie der Begeisterung und Glaubensinnigkeit der Evangelischen nichts Gleiches oder Stärkeres entgegenzusetzen. Das Bewußtsein, Fehler begangen zu haben, lähmte sie, viele stimmten heimlich oder laut in die Vorwürfe ein, die gegen sie erhoben wurden. Die Jesuiten brachten ihnen das reine Gewissen, sie hatten die Angriffslust der unverbrauchten Glaubenskraft, sie lehrten sie, mit neuem Geiste neue Wege einzuschlagen.
Iñigo de Loyola ist bei seiner Schöpfung ebenso von seiner Eigenart und seinen persönlichen Erlebnissen ausgegangen wie Luther bei der seinigen. Sein Ehrgeiz, seine Abenteuerlust, seine visionäre Inbrunst, seine Lust an der Mechanisierung des Menschlichen haben sich in seiner Gründung gerade so verwirklicht, wie im Luthertum Luthers Gottinnigkeit, Luthers Sehnsucht nach Entbindung seiner geistigen Kräfte, Luthers Tiefsinn, seine Herrschsucht, seine geistige Freiheit, seine Überschätzung des Menschen. Will man den bedeutendsten und folgenreichsten Gegensatz bezeichnen, der zwischen beiden bestand, so ist es der, daß Luther die freie Betätigung der schaffenden Geisteskraft für ein Gut hielt, das alle Menschen ersehnen, und auf das alle Menschen ein Recht haben, während Loyola die Neigung des Menschen, sich alles Denken, Wählen und Verantworten abnehmen zu lassen, benützte, um aus den Menschen ein nutzbares Werkzeug, einen lebendigen Mechanismus zu machen. Er verglich deshalb seinen Orden mit einem Heer und stattete die höheren Beamten des Ordens mit einer Gewalt aus, wie Offiziere sie über ihre Untergebenen haben. Wenn Luther den Christen mit einem Ritter oder Soldaten verglich, wie die Bibel es oft tut, dachte er dabei nicht an die Disziplin eines Regiments, wo Fahnenflüchtige durch die Spieße gejagt werden, sondern an den Heldenmut derer, die sich für ihre Überzeugung einsetzen. Erst wenn man Luthers Werk mit dem Loyolas vergleicht, erkennt man, daß Luther recht hatte, sich der Befreier zu nennen, was man über den Härten seiner Kirchengründung und seiner übermäßigen Betonung des Untertanengehorsams wohl vergißt. Gregor de Valencia, ein sehr angesehener spanischer Jesuit, sagte, daß Menschen von der wahren Lehre Christi abirrten, könne geschehen, weil sie den Maßstab außer acht ließen, wonach man unterscheide, ob etwas sichere Lehre Christi sei oder nicht. Habe man die Norm vor Augen, so sei mit Leichtigkeit in allen Streitfragen die Wahrheit gefunden. »Ich will nun«, sagte er, »den sicheren Weg zu dieser Norm zeigen. Die Norm ist der Papst.« Es gibt also nach ihm keine Wahrheit, kein Recht an sich: wahr und recht ist der Wille der Oberen, sei es der des Generals oder der des Papstes. Luther kam es gerade darauf an, die Menschen von Menschensatzung in der Beziehung zum Göttlichen zu befreien. Das Gerüst von Dogmen, das er aufgestellt hat, ist der Heiligen Schrift entnommen, die die einzige Quelle des Glaubens für den evangelischen Christen sein soll. Indem Luther seinen Anhängern empfahl, sie zu lesen, ein unerschöpfliches Lebensbuch, eröffnete er ihnen eine fast schrankenlose Freiheit, verwies er sie im Grunde auf ihr eigenes Gewissen, wobei freilich vorausgesetzt ist, daß das Gewissen von Gott eingepflanzt ist und daß das Wort und Gesetz Gottes in ihm widerhallt. Diese geistige Freiheit neben dem dogmatischen Bekenntnis ist trotz der Gefahren, die sie mit sich bringt, und die sich so bald zeigten, ein unveräußerlicher, herrlicher Besitz der Protestanten. Die Leistungen des Jesuitenordens waren in den ersten 50 Jahren seines Bestehens außerordentlich und auch später zuverlässig, wie die einer exakt funktionierenden Maschine, während die lutherische Kirche im ganzen wenig fruchtbar war; aber der Geist Luthers und der Heiligen Schrift wirkte innerhalb und außerhalb der Kirche unberechenbar, lindernd und lösend, schöpferische Kräfte weckend.
Nach der Lehre des Loyola, die eine Frucht langer, reiflicher Überlegung war, sollte die Erziehung des Jesuiten auf einer Wechselwirkung von Befehl und Gehorsam beruhen, wobei die Gehorchenden naturgemäß in der Mehrzahl waren. Der Gehorsam entwickelte sich in der Reihenfolge des Gehorsams der Tat, des Willens und der Gedanken. Es ist leicht, zu tun, was der Obere befiehlt, schwerer zu wollen, was er will, am schwersten und am lobenswertesten zu denken, was er denkt. Sorgfältige Übungen bereiteten den Zögling darauf vor, auf Befehl befohlene Vorstellungen zu hegen, fallen zu lassen, wiederaufzunehmen, auf Befehl bestimmte Gedankengänge zu verfolgen. Diese Übungen und die Erforschung des Gewissens, die jede Regung der Gedanken und Empfindungen dem Vorgesetzten bloßlegten, bildeten Menschen aus, die, wenn sie nicht sehr geschickte Heuchler waren, sich in vorgeschriebenen Gedanken bewegten. Es war zwar dem Untergebenen erlaubt, wenn er einen Befehl für sündhaft hielt, dies dem Vorgesetzten vorzustellen; aber es war nicht anzunehmen, daß nach mehrjähriger derartiger Bearbeitung Kritik sich noch regte. Indessen sollte die Unterwürfigkeit durchaus nicht auf Verdummung begründet sein. Der Jesuit sollte unterrichtet, klug, schneidig, selbsttätig wie ein Soldat sein, der in schwieriger Lage, auf sich allein gestellt, selbst einen Ausweg finden muß. Er sollte ein selbständig handelnder Mensch sein; aber das Ziel und die Mittel seines Handelns sollte er mit den Augen seines Vorgesetzten sehen. Indem er angewiesen war, seinem jeweiligen Vorgesetzten sich so hinzugeben, als ob er Gott wäre, da er ja an Gottes Statt stehe, war er von Gott selbst abgeschnitten. Der Spruch: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen, den die Protestanten so häufig anführten, hatte für den Jesuitenzögling keine Bedeutung. Der Inhalt und Zustand seines Gewissens hing von seinem Vorgesetzten ab.
Das Gelübde des Gehorsams hatten auch die Klosterbrüder geleistet; aber dieser Gehorsam bezog sich nur auf das klösterliche Leben, dessen Zweck nie ein anderer sein konnte als die Heiligung des Lebens der Mönche. Nichts konnte gefordert werden, was nicht im Einklang mit diesem Zweck stand, dem auch die Regeln der großen Ordensgründer entsprachen. Der Jesuitenorden bestimmte seine Angehörigen für eine vielfache Tätigkeit in der Welt, die zu unübersehbaren СКАЧАТЬ