Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ und wenn er es nicht geliebt und sich für es verantwortlich gefühlt hätte, würde ihn der Anblick seiner Entartung nicht so tief geschmerzt haben. Die Bemerkung der Bibel, daß das Ende der Zeiten sich durch das Überhandnehmen aller Laster anzeige, bestärkte ihn, wie auch andere, in dem Vorgefühl eines nahen Unterganges. So war es, sagt er, vor der babylonischen Gefangenschaft, so vor der Zerstörung Jerusalems, so vor der Verwüstung Roms. Er, der den Untergang des mittelalterlichen Reiches hatte aufhalten wollen, hatte ihn wider seinen Willen gefördert und brach unter seinen Trümmern zusammen.

      Besonders erbittert war Luther über die Fürsten, die er, wie er selbst sagte, zu Göttern gemacht hatte und die ihre durch ihn vermehrte Macht und ihr Ansehen nicht benutzten, um ihren Untertanen ein gutes Beispiel zu geben, um sie zu erziehen, sondern um sie zu schätzen, so daß die meisten Fürstentümer nichts anderes wären als Rentereien und Zollhäuser. Als es sich einmal um ein Bündnis mit Heinrich VIII., dem König von England, handelte, schrieb Butzer an Philipp von Hessen: »Der König ist, wie er ist, und andere Fürsten sind auch, wie sie sind.« Das sollte heißen: sie taugen allesamt nichts, wollte man sie nach einem moralischen Maßstab beurteilen wie andere Menschen, könnte man sich überhaupt mit keinem einlassen. Fast ohne Ausnahme waren die protestantischen Fürsten dem Trunk ergeben, es kam vor, daß sich einer buchstäblich zu Tode soff. Luther mußte es erleben, daß sich sogar der kursächsische Hof übler Nachrede aussetzte. Auf Johann den Beständigen, den von allen Verehrten, folgte sein Sohn Johann Friedrich, mit dessen geistiger Plumpheit schon sein Lehrer Spalatin nicht hatte fertig werden können. Sein Vetter Moritz nannte ihn die dicke Hoffart. Luther machte kein Hehl daraus, daß er ihn für einen Esel hielt. Gottes Wunder erben nicht, so übersetzte Luther das lateinische Wort, daß die Söhne der Heroen entarten. Luthers Urteil, mit Friedrich sei die Weisheit, mit Johann die Frömmigkeit dahingegangen, ist um so auffallender, als Johann Friedrich, im Luthertum aufgewachsen und erzogen, dem neuen Glauben mit besonderem Nachdruck und unentwegter Treue anhing; aber es machte sich bemerkbar, daß seiner Gläubigkeit ein guter Teil Starrsinn und Beschränktheit beigemischt war. Er regierte zuweilen mit der Faust sowohl in die Religion wie in die damals so subtile Politik hinein. Im allgemeinen war das Luthertum, nachdem es zwanzig Jahre bestanden hatte, zu einer festen Einrichtung geworden, mit politischen und sozialen Dingen verknüpft, an der mit mehr Selbstverständlichkeit, aber mit weniger Glaubensinnigkeit festgehalten wurde als früher. Gab es auch viel Fromme, denen es ein Bedürfnis war, sich in die Bibel zu vertiefen, so war doch das Evangelium und das Wort Gottes, das beständig im Munde geführt wurde, ein Schlagwort geworden, bei dem die meisten nichts mehr als ihr Parteibewußtsein empfanden. Auch die sich mehrenden theologischen Streitigkeiten über die Lehrbegriffe gingen mehr aus Gelehrteneitelkeit und Rechthaberei hervor als aus Liebe zur Wahrheit. Auf den alternden Luther drückte die ungeheure Arbeitslast mehr als früher. Schon im Jahre 1519 klagte er einmal gegen Spalatin, der eine Abhandlung über irgendeine theologische Frage von ihm verlangte, über Überbürdung: er habe Vorlesungen an der Universität und Predigten in der Kirche zu halten, seine Bibelübersetzung zu fördern und eine Menge Briefe an fremde Leute zu schreiben, die sich an ihn wendeten. »Ich bin doch wirklich bloß ein Mensch, ein einzelner Mensch«, schrieb er damals. Wie hatten sich inzwischen die Ansprüche vervielfacht! Wer ist schwach und ich werde nicht schwach, wer wird geärgert und ich brenne nicht, konnte er mit dem Apostel sagen. Nicht nur einzelne wollten Ratschläge und Tröstungen von ihm, Fürsten, Magistrate, Theologen, fast ganz Deutschland bestürmte ihn mit Fragen und Bitten. Dazu kamen Verwaltungsgeschäfte, immer noch Übersetzungen, Gutachten und eine umfassende schriftstellerische Tätigkeit, darunter Streitschriften, die zum Teil seine eigene Leidenschaftlichkeit veranlaßte. Wegen einer verschiedenen Meinung über eine Frage im kanonischen Recht verlor er einen seiner ältesten Freunde, Hieronymus Schurf. Agricola, mit dem er sich im sogenannten Antinomistenstreit entzweite – er wollte, daß weniger das Gesetz als das Evangelium gepredigt werde –, war ein neuerer Freund, aber ein guter Gesellschafter und zusammen mit seiner Frau ein ihm angenehmer, erheiternder Umgang. Luther hatte sicherlich recht, es der Eitelkeit, Eigenbrötelei zuzuschreiben, daß jeder Theologe seine besondere Lehre vorbringen wollte; aber eine gewisse Bewegungsfreiheit hätte gerade er doch auch der Eigenart eines jeden zugestehen sollen. Den durch die Wittenberger Konkordie beruhigten Abendmahlsstreit fachte er von neuem an und verdammte Zwingli in die Hölle, den er damals einen trefflichen Mann genannt hatte.

      Weit bitterer als der Verlust von Schurf und Agricola war das seltsam gespannte Verhältnis zu Melanchthon, der sich innerlich fast ganz von ihm gelöst hatte und für die Welt doch sein unzertrennlicher Gefährte bleiben mußte. Er war zum berühmten und zum einflußreichen Manne geworden auf einer Bahn, die ihm eigentlich unheimisch war, die er nun aber nicht verlassen konnte, ohne zahllose Fäden zu zerreißen, auch die, welche ihn selbst ans Leben knüpften. Durch seine Beziehung zu Luther und als Verfasser der loci communes und der Augustana war er so verkettet mit der Reformation, daß er sich nicht hätte zurückziehen können, ohne ihr und sich selbst unberechenbaren Schaden zuzufügen. Das konnte er um so weniger wollen, als er, wenn er auch gern den Zusammenhang mit der Kirche festgehalten hätte, doch von der evangelischen Wahrheit überzeugt war. Er war ein frommer Mann im Sinne des Erasmus, der christlichen Lehre von Herzen zugetan, hauptsächlich ihrer friedlichen Seite; aber Luthers Ringen um die letzten Geheimnisse war ihm fremd, und seine Zwiesprache mit Gott verstand er nicht. Insgeheim neigte er zu Zwinglis Auffassung vom Abendmahl, was er vor Luther verheimlichte. Die gehässigen theologischen Streitigkeiten, oft Tüfteleien und Absurditäten, gewürzt durch das grobe, unflätige Schimpfen, das Luther in die Polemik eingeführt hatte, waren ihm widerwärtig. Wie sehr er aber unter der Sklaverei litt, in der er sich verfangen hatte, hörte er doch nicht auf, Luthers schöpferische Kraft und seine mächtige Persönlichkeit zu bewundern, und konnte nicht verkennen, wie Luther an ihm hing. Bedenkt man, wie rücksichtslos, ja wie grausam Luther oft gegen die verfuhr, die ihm widersprachen oder ihn sonst reizten, so staunt man über die Zartheit, mit der er Melanchthon behandelte. Es tat ihm wohl leid, daß jenem die Sicherheit des Glaubens fehlte; aber er machte ihm keinen Vorwurf daraus und litt auch nicht, daß andere es taten, selbst nicht, als auf dem Reichstage zu Augsburg Melanchthons Unsicherheit sehr ärgerliche Folgen bewirkte. Als bei Gelegenheit des Abendmahlsstreites das Gerede ging, Luther bereite einen groben schriftlichen Angriff auf Melanchthon vor, und dieser, das Ärgste fürchtend, einen Brief von ihm kaum zu öffnen wagte, enthielt er eine Einladung zur Geburtstagsfeier. Luthers Anhänglichkeit war um so auffallender, als sein treuer Freund und Gefolgsmann Amsdorff eine Abneigung gegen Melanchthon hatte und ihn beständig verdächtigte, insofern nicht mit Unrecht, als Melanchthon in der Tat sich von Luthers Ansichten entfernt hatte. Melanchthon machte sich Luft in Briefen an seinen Freund Camerarius, der seine eigentlichen, die humanistischen Interessen teilte; in seinen Äußerungen über Luther klingt es zuweilen wie ohnmächtiger Haß. Ihm gegenüber erscheint Luther großmütiger; vielleicht empfand er das Tragische ihrer Freundschaft, vielleicht hatte er ihn zu sehr geliebt, um eine ausgesprochene Trennung ertragen zu können. Er lebte in den letzten Jahren, besonders seit ihm 1542 sein Töchterchen Magdalena gestorben war, in schrecklicher Einsamkeit. Der Tod hatte viele seiner Feinde gefällt: Zwingli, Herzog Georg von Sachsen, Papst Clemens VII., Erasmus; nun langte er nach seinem Liebling, als wollte er sagen: du bist nicht mehr wert als jene. Ich bin alt, kalt und ungestalt, pflegte er zu klagen. Seine ungeheure Arbeitskraft fing an zu erlahmen, die Krankheitsanfälle, an denen er zeitlebens gelitten hatte, suchten ihn immer häufiger heim; aber wie eine Ruine oft stärkere Eindrücke von Schönheit und Größe vermittelt als das vollendete Bauwerk, so bewegt uns auch der verdüsterte und ermüdete Heros mehr fast als der jugendlich stürmende. Der wachsende und handelnde war auf Ziele gerichtet, zusammengefaßt, durch die Umwelt, die ihn umgab, und die er bekämpfte oder für die er einstand, beschränkt; als das mächtige Gefäß langsam und mühsam zerbrach und die Seele sich verströmte, spürte man, welches Übermaß von Kräften darin gebannt gewesen war. Oft waren seine Worte, ein schwermütiges, träumerisch schweifendes Phantasieren, von süßer Zärtlichkeit durchtränkt. Häufiger noch äußerte sich seine Verdrießlichkeit und seine nie erlöschende Kampflust.

      Als brauchte er einen neuen Gegenstand des Zornes, nachdem der Papst endgültig aus dem Felde geschlagen schien, fing er einen Feldzug gegen die Juden an. In seiner Frühzeit hatte er sich in der Schrift »Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei« mit СКАЧАТЬ