Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ Wenn ihr darunter versteht, daß ich die Gebote der Schrift für die Gemeinde auslege, so habt ihr recht. Ich nehme sie auf mein Gewissen, ich vertrete sie vor Gott. Es ist nicht meine Schuld, daß es so wenig wahre Christen gibt, daß so wenige den rechten Glauben haben, daß sie nur ihre eigene Albernheit und ihren Wahn in der Bibel suchen.

      »Wenn das so ist, warum denn die Kirche zerstören, die die Last der Verantwortung trug? Der Glaube, den sie lehrte, war durch Jahrhunderte geheiligt und von vielen bestätigt, und Heilige haben in ihm gewirkt. Ist es recht, ein Volk von seiner Vergangenheit loszureißen?«

      Es wäre Vermessenheit, alle die Schwerter benennen zu wollen, die Luther während seiner Anfechtungen sich selbst in die Brust stieß. Gewiß konnte er nicht alle unheilvollen Folgen der Spaltung voraussehen, und manches Übel, das sie einschloß, wurde ihm wohl nicht bewußt. Zuweilen fiel ihm ein, daß manches von dem, was er jetzt verfolgte und tadelte, einmal gut und angemessen gewesen war; vielleicht aber dachte er nie daran, daß auch ein Volk ein Gedächtnis hat wie der einzelne und daß es ein gefährlicher Eingriff ist, das Gedächtnis zu zerstören. Luther gewöhnte seine Anhänger daran, alles was vor ihm gewesen war und geschehen war, in Bausch und Bogen zu verwerfen. Die Protestanten fingen gleichsam von vorn an, protestierten gegen ihre ganze so reiche, so stolze Vergangenheit. Für die Protestanten versank das Reich und verschwand der Reichsgedanke, weil er mit dem Papsttum verknüpft war, vom Reich und der Vergangenheit abgeschnürt wurden die Untertanen in die kleinen Fürstentümer gebannt, wo ihre Anschauungen sich verengten und trübten. In diesen Bezirken lebten sie dumpf und geduldig hin, auf Befehl ihrer Fürsten in krampfhaften Patriotismus ausbrechend. Hatte Luther solche Menschen aus seinen Deutschen machen wollen? Nein, er hatte ein anderes Vorbild aufgestellt: den christlichen Ritter, Herrn der Sterne, furchtlos vor Tyrannen und Teufeln, freudig im Elend, freudig in der Fülle, Feind des Bösen, aus Liebe allen dienstfertig, allen hilfsbereit. Würde es solche Ritter geben in dem Obrigkeitsstaate, den er aufgerichtet hatte? Und er selbst? War er noch der den Sternen gebietende Heros? Er, das sanftlebende Fleisch zu Wittenberg! Während draußen seine Anhänger das Feuer verzehrte, weidete er sich an den vollen Krippen fürstlicher Beamtung. Als er verfolgt wurde, verbarg er sich im behaglichen Schlupfwinkel der Wartburg. Er hatte sich Gott entzogen; oder hatte Gott sein Opfer nicht gewollt? Würden die Namen seiner Feinde im Buche der Märtyrer leuchten, wenn kommende Geschlechter ihn als den dicken Papst von Wittenberg verfluchten? War er von Gott verworfen? Warum ließe er es sonst zu, daß der Teufel ihn mit solchen Anfechtungen marterte? Oder wie, wenn Gott der Teufel wäre, der Teufel Gott? Oder wenn es keinen Gott gäbe?

      Luther hat selbst erzählt, daß die schwerste seiner Prüfungen war, wenn er Gott und Christus verlor und die Welt leer wurde. Die Schwungkraft des Glaubens, die ihn hoch erhoben, überschwenglich beseligt hatte, ließ nach, versiegte ganz. Es ist keinem Menschen gegeben, auf der Höhe des Gefühls sich immer zu erhalten, am wenigsten einem Menschen, der seine Kraft so maßlos verschwendete. Diese Stunden, wo sein Glaube erlosch, waren furchtbarer, als sich ausdenken läßt. Die Erde wurde zu einem Gräberfeld, zu einer Eiswüste. Das Leben verlor seinen Sinn, Luther war ein Betrüger. Für ein Phantom waren seine Anhänger in Flammen gestorben. Ja, selbst wenn Gott wäre, was wäre er, wenn er auf einem so schwankenden Grunde ruhte, wie der Glaube ist? Nur wenige hatten Luthers Glauben, und selbst Luthers Glaube war nur fliegender Sand. Wäre es nicht besser, der Papst und seine Priester, eine unsterbliche Schar, gerüstet mit unanfechtbaren Dogmen, glaubten für alle, bürgten ihnen für das Dasein und das Wesen Gottes, den zu glauben sie selbst zu schwach sind? Wie ein Gewitter in immer heftigeren Schlägen sich entlädt, mit vernichtenden Blitzen trifft, und dann die Donner schwächer rollen und in der Ferne verschweben, so erschöpfte sich auch die Qual der Anfechtungen. Zuweilen berührte das warme Wort eines Freundes und führte den Verzweifelten aus der Hölleneinsamkeit des leeren Raumes in den Kreis der Lebendigen zurück. Ein Tränenstrom beendete wohl den Anfall.

       Inhaltsverzeichnis

      Als Karl V. im Frühling 1530 nach Deutschland kam, um nach neun Jahren zum ersten Male wieder einen Reichstag selbst zu leiten, kam er als Sieger. Mit Frankreich, England, Venedig hatte er Frieden geschlossen. Der Papst, Clemens VII., hatte den Gehaßten, dessen Truppen Rom verwüstet hatten, in Bologna, nicht ohne tiefe Seufzer auszustoßen, mit der Kaiserkrone gekrönt. Die Protestanten hatten Ursache, besorgt zu sein: der Kaiser hatte die Hände frei, um sie gewaltsam zu unterwerfen. Das Gerücht, das bei der Langsamkeit und Unsicherheit der Nachrichten sich nach Lust ergehen und mehr als heute wirken konnte, flüsterte von gewaltigen Rüstungen des Kaisers und seinen blutdürstigen Absichten; es schien angezeigt, sich zur Wehr zu setzen. Des jungen Landgrafen Kriegslust flammte auf; er hielt den Augenblick für gekommen, mit dem Schwerte zu protestieren. Darin verstand er sich gut mit Zwingli, der großartige, die ganze evangelische Welt ins Auge fassende Pläne ausgearbeitet hatte. Beide glaubten im Besitz der wahren Religion zu sein und wollten sie so weit wie möglich ausbreiten, wenn dadurch auch Brüder voneinandergerissen würden. Das religiöse Bewußtsein beherrschte mit solcher Energie die Gemüter, daß alle anderen Bindungen dagegen zurücktraten. Capito und Oekolampad, die angesehenen Reformatoren von Straßburg und Basel, waren der Ansicht, ein Bündnis unter religiös Gleichgesinnten gewähre stärkeren Schutz als jede politische Verbindung, und angesichts der Religionsgefahr hätten alle anderen Bünde zurückzutreten. Hatten doch auch die katholischen fünf Orte der Eidgenossenschaft sich nicht gescheut, ein Bündnis mit Österreich einzugehen, dessen Spitze sich gegen die evangelischen Eidgenossen kehrte. Philipp von Hessen und Zwingli richteten den Blick nicht nur auf die evangelischen Reichsstände, sondern auch darüber hinaus auf Dänemark und sogar auf Frankreich; Zwingli glaubte gern an das Gerücht, Franz I. neige, durch seine Schwester beeinflußt, zum Evangelium. Auflehnung gegen den Kaiser hatte für beide nichts Erschreckendes. Philipp, so warmherzig er war, wurde durch Regungen der Pietät nicht gehemmt; warf er doch die Gebeine seiner Ahne, der heiligen Elisabeth, nachdem er die Heiligenverehrung abgetan hatte, aus der Kirche heraus, wo sie ruhten. Zwingli vollends fühlte sich zwar als Deutscher, aber nicht als Reichsdeutscher. Die Eidgenossenschaft, in der Anhänglichkeit an den Kaiser entstanden, wurde widerkaiserlich, nachdem das Kaisertum wie ein erblicher Besitz an das Haus Österreich, den Erbfeind der Schweiz, gekommen war. Als nun gar die katholischen Orte mit Österreich die christliche Vereinigung geschlossen und dadurch die Entzweiung zwischen den Eidgenossen vollendet hatten, haßte Zwingli den Kaiser. Ganz anders fühlte Luther. Gerade von seinem überwiegend religiösen Standpunkt aus lehnte er gewaltsame Verbreitung des Glaubens ab, das Wort allein sollte kämpfen und wirken, wie er so oft gesagt hatte. Dann aber stand er ganz anders als Zwingli zu Kaiser und Reich. Auflehnung der Stände gegen den Kaiser, das Haupt des Reiches, hielt er für ein Unrecht, zu dem er nicht raten wollte. Nach seiner Auffassung von den Beziehungen im Reiche waren die Fürsten dem Kaiser ebenso unterworfen wie die Bürgermeister von Torgau dem Kurfürsten von Sachsen. Die Juristen und mehrere Geistliche widersprachen ihm, ohne ihn anderen Sinnes machen zu können, und Kurfürst Johann von Sachsen und Markgraf Georg von Brandenburg dachten wie er. Ihr Entschluß wurde bestimmend für die Haltung der evangelischen Partei; trotz Philipp von Hessen wurde auf gewaltsamen Widerstand verzichtet. Man beschloß, die Sache Gott anheimzustellen, vom Wort nicht zu lassen und für das Wort zu leiden, wenn es sein müsse, auch den Tod. Wieviel weltliche Interessen zu der unerschütterlichen Anhänglichkeit der Fürsten an das Evangelium beitragen mochte, sie waren in diesem bedeutenden Augenblick von aufrichtiger Frömmigkeit erfüllt. Sie waren ein kleines Häuflein gegenüber der Macht des Kaisers und der katholischen Stände, sie waren ersichtlich in Gefahr, der Kurfürst von Sachsen, der noch nicht vom Kaiser belehnt war, mußte damit rechnen, daß der Kaiser ihm die Kur nehmen und auf den katholischen Herzog Georg, seinen Vetter, übertragen würde; aber gerade er schätzte Gottes Gnade höher als irdischen Besitz und gab sich in Gottes Hand. Es sind zwei Wege, sagte er, Gott verleugnen oder die Welt; denke ein jeder, welches am besten sei. So ihr stille wäret, wäre euch geholfen; das war Luthers Lieblingsvers in den Psalmen. Etwas anderes kam hinzu, daß sie nämlich alle, besonders Luther, im Herzen auf die Milde des Kaisers hofften. Luther war empfänglich für den kindlichen Glauben СКАЧАТЬ