Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ die ihn aber nicht irremachte. Nachdem er den selbstauferlegten Zwang abgeschüttelt hatte, brach er los wie ein dem Käfig entsprungenes Raubtier, das mit Lust nach allen Seiten springt, schlägt und beißt. In seiner Glosse auf das vermeintliche kaiserliche Edikt vergleicht er, aufgebracht darüber, daß in diesem Edikt seine Lehre vom verknechteten Willen viehisch genannt worden war, die Verfasser desselben mit Säuen, die auf ihrem Reichstage beschließen: Wie Säue gebieten, daß niemand halten soll, daß Muskaten edle Würze sei, was sie aber sei, das wissen wir nicht, und spricht weiterhin unbefangen von den hochgelehrten und durchlauchtigsten Säuen zu Augsburg.

      Luther war kein systematischer Denker und nicht immer folgerichtig im Handeln. Er war sehr abhängig von augenblicklichen Eindrücken und vergaß zuweilen ganz und gar, was er früher gesagt und gewollt hatte. Er hat sich oft selbst widersprochen und hat sich wohl aus persönlicher Abneigung in irgendeiner Richtung verrannt. So verurteilte er anfänglich die Hinrichtung von Ketzern, mißbilligte auch die in protestantischen Ländern vorgenommene Hinrichtung der Wiedertäufer. »Es ist mir wahrlich leid«, sagte er, »daß man sie so jämmerlich ermorde, verbrenne und greulich umbringe.« Später ging er nicht ohne sophistische Begründung davon ab. Wenn es dankenswert ist, daß er der Wahrheit nicht durch ein System Eintrag tat, so war es doch nicht unbedenklich, daß er, in seiner maßgebenden Stellung, sich zuweilen durch Stimmungen und wechselnde Eindrücke leiten ließ. Beschämen aber nicht jeden Ankläger seine übermenschlichen Leistungen, sein großes, liebeströmendes Herz, die Fülle seines Geistes, sein hoher Mut und die Qualen, die er sich mit Selbstanklagen zufügte?

      Wenn man das Jugendbildnis Luthers mit seinen Altersbildnissen vergleicht, so treten einem zwei verschiedene Menschen entgegen. Das junge Haupt umhüllt ein schicksalvolles Geheimnis, die Welt ist für ihn nicht da, er hält Zwiesprache mit seinem Genius. Er hat die tiefen Augen, aus denen Professor Pollich weissagte, dieser Mensch werde wunderbare Phantasien haben. Es ist das Bild eines Träumers, der auf der Schwelle großer Taten steht. Wie anders der Mann und der Greis, der die Taten getan hat. Das aufgeschwemmte Gesicht ist hart und grob geworden, hart und grob auch der Ausdruck. Seltsam müssen in dem fleischigen und zugleich harten Gesicht die immer noch dämonischen Augen gewirkt haben, deren flackernde Glut dem päpstlichen Nuntius Vergerio auffiel, der im Jahre 1535 nach Wittenberg kam, um zu erforschen, ob die Protestanten ein vom Papst berufenes Konzil besuchen würden. Daß der Antichrist den Häresiarchen zu einem Konzil einlud, regte Luthers Humor an; da er überzeugt war, das Konzil werde nicht zustande kommen, überließ er sich sorglos seiner guten Laune. »Herr Doktor, wie kommt es, daß Ihr Euch so früh wollt barbieren lassen?« fragte der Barbier. »Ich soll«, lautete die Antwort, »zu des Heiligen Vaters, des Papstes, Botschafter kommen, so muß ich mich lassen schmücken, daß ich jung scheine, so wird der Legat denken: ei der Teufel, ist der Luther noch so jung und hat soviel Unheil angerichtet, was wird er denn noch tun!« Als dann Luther seine besten Kleider anzog und ein goldenes Kleinod umhing, sagte der Barbier: »Herr Doktor, das wird ihn ärgern.« »Darum tue ich es auch«, erwiderte Luther, »man muß mit den Schlangen und Füchsen also handeln und umgehen.« Wirklich gelang es Luther, den Legaten durch bestialische Frechheit, wie dieser sagte, verbis verdrieslicissimis, wie Luther es ausdrückte, gehörig zu ärgern. Kurze Zeit darauf trat ein Ereignis ein, das für Luther persönlich sich tief verstimmend und auf seine Sache sehr schädlich auswirkte.

      Landgraf Philipp war mit einer Tochter des Herzogs Georg von Sachsen verheiratet, von der er mehrere, ungewöhnlich tüchtige Kinder hatte, die er aber, ungeachtet aufrichtiger Hochachtung, nicht liebte. Er gewöhnte sich deshalb an außereheliche Beziehungen, rechnete sich das aber so sehr als Schuld an, daß er jahrelang nicht das Abendmahl zu nehmen wagte. Als es nun dazu kam, daß er sich ernstlich in ein Hoffräulein verliebte, das ohne Heirat nicht die Seine werden wollte, erinnerte er sich einer gelegentlichen Bemerkung Luthers, nach der Bibel sei Vielweiberei nicht verboten, und gründete darauf den Plan, sich die Geliebte als Nebenfrau antrauen zu lassen. Er betrieb die Angelegenheit mit dem Ungestüm und der liebenswürdigen Ehrlichkeit, die ihm eigen war, und brachte Luther dahin, ihm die Erlaubnis zur Doppelehe zu erteilen, in der Art, wie wohl die Päpste den Fürsten in ihren Eheschwierigkeiten behilflich waren. Es wurde Luther nicht leicht, sich zum Bürgen für eine Sache zu machen, gegen die zwar vom Buchstaben der Heiligen Schrift aus nichts einzuwenden war, die aber doch berechtigten Anstoß erregen mußte; was ihn bewog, sich dazu herzugeben, war seine Zuneigung für Philipp, hauptsächlich aber dessen Drohung, er werde sich an den Papst wenden, wenn der Reformator ihm Hilfe verweigere. So schnell schlug der Landgraf in den Wind, daß er noch kürzlich seine Habe und sein Leben an seinen Glauben hatte setzen wollen und entrüstet war, wenn andere sich etwas vorsichtiger zurückhielten. Luther glaubte dem Unheil dadurch die Spitze abbrechen zu können, daß er die Bedingung stellte, es dürfe von dem Vorgang nichts in die Öffentlichkeit dringen; als er trotzdem sofort bekannt wurde, und Luther und mit ihm Melanchthon aufs schlimmste bloßgestellt wurden, verwickelte er sich immer tiefer in Unrecht, indem er von Philipp verlangte, er solle das Geschehene ableugnen, so daß der Landgraf, der sich entrüstet weigerte zu lügen, ehrenhafter dastand als der Reformator: Es war etwas geschehen, was nicht wiedergutzumachen war. Die Feinde triumphierten über den sittlichen Fall der Gegner, und der Zweck, um deswillen der falsche Schritt getan war, wurde nicht erreicht. Gerade damals hatte der Landgraf das neue kaiserliche Strafgesetzbuch, die Carolina, in Hessen eingeführt, das auf Bigamie die Todesstrafe setzte; es mag den freudigen Fürsten ein Schauder überlaufen haben, als ihm klar wurde, wohin seine Doppelehe ihn führen könnte. Dem Kaiser war es eher, als den Theologen zu verzeihen, wenn er über dem Unrecht ein Auge zudrückte, um es staatsmännisch auszunutzen. Für ihn war es ein Glück, daß in den Schmalkaldischen Bund ein auflösendes Gift getropft war. Philipp, der vor einigen Jahren mit Zwingli einen Weltbund aller Evangelischen geplant hatte, versprach jetzt dem Kaiser, nicht zu dulden, daß außerdeutsche Mächte in den Schmalkaldischen Bund aufgenommen würden, so daß der Anschluß Englands, Schwedens, Dänemarks unterbleiben mußte, und der Herzog von Cleve, der im Begriff war, sein Land zu reformieren, wurde preisgegeben, wodurch ein großes und wichtiges Gebiet am Niederrhein den Protestanten verlorenging. Immerhin breitete sich die Reformation weiter und weiter aus. Durch den Tod Georgs von Sachsen, ihres erbittertsten und zugleich tüchtigsten Gegners unter den deutschen Fürsten, ging das Herzogtum Sachsen an seinen evangelischen Bruder über, auf dieselbe Art wurden Pfalz und Brandenburg evangelisch. Durch einen strammen Kriegszug führte Philipp von Hessen den vertriebenen Herzog Ulrich nach Württemberg zurück, der in der Verbannung Protestant geworden war und sein Land sofort reformierte. Als der Erzbischof von Köln, Hermann von Wied, die Reformation in seinem Lande einzuführen beschloß, wenn auch im Gegensatz zu Domkapitel und Universität, hatte es den Anschein, als sollte ganz Deutschland für den neuen Glauben gewonnen werden. Auch in Bayern, und namentlich in Österreich, hatten sich viele vom Adel ihm zugewendet.

      Dieser Sieg des Evangeliums hätte den alten Reformator befriedigen können, blickten doch alle, Feinde wie Freunde, auf ihn als den Meister des Werks. Das Werk aber war, während es sich ausbreitete, im Innern nicht gereift. Die Klage über Unsittlichkeit und Roheit in den evangelischen Gebieten war allgemein. Augenscheinlich hatte die Auflösung der altgewohnten kirchlichen Aufsicht zu einem Ausbruch sinnlicher Ausgelassenheit geführt, der die früheren Ausschreitungen weit übertraf. Neben den groben Lastern erschreckte die unmäßige Geldgier, daß jeder alles an sich reißen und für sich allein haben wollte, und die Zunahme der Glaubenslosigkeit. Trotz des vielen Predigens wandte sich das Volk in allen Schichten vom Himmel ab und der Welt zu. Die Geistlichen waren verachtet und verhaßt; könnte man sie Hungers sterben lassen, sagte Luther, so täte man's am allerwilligsten, könnte man sie zum Lande hinausjagen, so täte man's noch lieber. Wenn die Leute von Gott hörten, achteten sie es so viel, als wäre es eines Gauklers Märlein, sie schlügen das Evangelium in den Wind, als habe es nicht die hohe Majestät vom Himmel, sondern irgendein Schuster gesagt. Es war von den Kanzeln so viel über die Betrügerei der Pfaffen gepredigt, daß man nun Kirche und Religion miteinander für einen Trug zur Unterdrückung des Volkes hielt. Luther, der geglaubt hatte, der Christenheit und insbesondere den Deutschen mit dem Evangelium ein überschwenglich kostbares Geschenk zu machen, erklärte sich die Undankbarkeit, der er begegnete, durch die rohe Gefühllosigkeit der Deutschen. Von den Bauern hatte er niemals viel gehalten, ebensowenig von den Fürsten, СКАЧАТЬ