Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ daß die im Vordergrunde der Zeit stehenden Männer, die Geistlichen, auf protestantischer Seite sich verheirateten, auf katholischer natürlich nicht; besonders aber daran, daß bei einer angreifenden, von neuen Ideen und Plänen erfüllten Partei mehr Kraft und Leben zu sein pflegt als bei den Beharrenden. Übrigens aber standen die katholischen Frauen unter denselben Bedingungen wie die protestantischen und haben sich in schwieriger Lage, zum Beispiel als Nonnen, überzeugungstreu und charaktervoll erwiesen. Viele Frauenklöster erzwangen durch unbeugsamen Widerstand eine längere Dauer, als den reformierten Gebietsherren bequem war. Am bekanntesten unter den aufrechten Klosterfrauen ist durch ihre Denkwürdigkeiten Caritas Pirckheimer geworden, Äbtissin eines Nürnberger Klosters. Sie war humanistisch gebildet, verstand Lateinisch und wechselte Briefe mit ihrem berühmten Bruder und seinen Freunden, deren Interesse sie teilte. Als der Nürnberger Rat die Reformation annahm und die Aufhebung der Klöster der Bevölkerung eine nützliche, notwendige Maßregel zu sein schien, weigerte sich Caritas Pirckheimer, sich und ihre Schützlinge dem Zwange zu unterwerfen, und wandte sich um Hilfe an den Pfleger, der die Rechte des Klosters im Rat zu vertreten hatte und sich jetzt zwischen der Pflicht seines Amtes und seiner Pflicht gegen Gott und den Staat in einer peinlichen Klemme fühlte. Man versuchte es mit Überredung durch einen protestantischen Prediger, der den Nonnen die evangelische Wahrheit erklären sollte. Sie hörten ihn an, und Caritas setzte ihn durch treffende Antworten und Einwendungen in Verlegenheit. Drei gewissenhafte, wohlwollende Personen, der Pfleger, der Pfarrer und die Äbtissin, in einen unlösbaren Konflikt verwickelt, bemühten sich verzweifelt, ihrer Aufgabe in anständiger Weise zu genügen. Die Frau tat es, als Angegriffene, als Schwächere und im Recht, in der stolzesten Haltung. Auf Bitten des Pflegers ließ sie sich schließlich auf ein Gespräch mit Melanchthon ein, mit dem sie sich leicht verständigte, die humanistisch gebildete Frau mit dem Humanisten. Er gestand zu, man könne im Kloster ebensogut selig werden wie in der Welt, und es sei unrecht, Leute mit Gewalt aus dem Kloster zu werfen. Sie schieden in Freundschaft.

      Wenn im Reformationszeitalter die Frauen Gelegenheit hatten, in Kampf und Opfer sich hervorzutun, so kann man doch sagen, daß Reformation und Humanismus in ihren Folgen die Frau eher herabgedrückt als gehoben haben. Daß es für die Protestanten nur noch männliche Götter, keine Göttin mehr gab, daß sie sich nicht mehr an die große Fürbitterin Maria wenden konnten, entzog dem weiblichen Geschlecht einen Glanz und eine Würde. Durch ihre Männer beleidigte und gefährdete Frauen, besonders Fürstinnen, hatten bei der Kirche nicht selten Schutz gefunden: der Hofprediger hatte nur schlotternde Ermahnungen für den Schuldigen und wendige Trostesworte für die Gekränkte. Die scharfe Gegenüberstellung von Obrigkeit und Untertanen, von Herrenrecht und rechtloser Untertänigkeit machte sich auch in den Beziehungen der Frauen zu den Männern geltend. Die deutsche Frau versäumte mehr und mehr, ihrer Demut und Opferfreudigkeit den Stolz beizumischen, ohne den jene Eigenschaften zu häßlicher, oft liebedienerischer Unterwürfigkeit herabsinken. Überhaupt fingen die Schwächeren an, wie die Bauern es schon immer gewesen waren, Verachtete zu werden. Es konnte geschehen, daß das, was man einst an den Frauen bewundert oder angestaunt hatte, ihre Phantasie, ihr Ahnungsvermögen, ihre Neigung zu volkstümlicher Heilkunde, sie der Verdächtigung und grausamsten Verfolgung aussetzte. Das Zeitalter des Großen Krieges, der Zerstörung und Barbarei, der Wissenschaft und des Absolutismus leiteten Hexenbrände ein.

       Inhaltsverzeichnis

      Luther litt während seines ganzen Lebens an Angstzuständen, die so furchtbarer Art waren, daß er sie nur mit Tod und Hölle vergleichen konnte. »Alsdann weiß man nicht«, sagte er, »wo aus noch ein. Da ist kein Trost, weder von innen noch von außen, sondern alles ist ein Ankläger.« Wie in dunklen Novembernächten zuweilen von weither ein Sturm aufgrollt, sich näher und näher wälzt und anschwillt, als wolle er die Lichter des Himmels auslöschen und die Erde entwurzeln, so stürmten zuzeiten schwarze Gedanken gegen Luthers Seele und drohten sie zu ersticken. Es waren nicht immer dieselben. Als er noch jung im Kloster war, waren es, soweit er sie äußern konnte, nichtige, grundlose, leicht zu widerlegende; die sich jetzt einstellten, entstiegen seinen Taten und seiner Erfahrung und waren nicht so leicht zu bestreiten. Konnte sie noch ein Lied auf der Laute beschwichtigen, eine Melodie voll Wohllaut? Was ihn jetzt bedrängte, das waren Tatsachen, man konnte das Auge von ihnen wegwenden, aber sie blieben stehen wie Felsblöcke. Oder es waren Stimmen, die von allen Seiten bald flüsterten, bald schrien; er konnte sich das Ohr verstopfen, aber er wußte, daß jedermann sie hörte und wiederholte. Wenn man Luther einen Vorwurf oder einen Einwand machte, wies er ihn ungeduldig zurück, er gab nie zu, daß er unrecht habe; aber er war wehrlos gegen die Anklagen, die er selbst gegen sich erhob. Vor den Stürmen, die er selbst gegen sich entfesselte, war kein Ausweichen möglich, sie warfen ihn nieder und löschten ihn aus. Als Luther anfing, das Evangelium zu verkündigen, glaubte er, alle würden davon bewegt werden, an allen würde das Wort des Herrn die Sinnesänderung von der Selbstsucht zur Liebe bewirken, der befreite Sklave der Kirche würde als Kind Gottes freudig die Gebote des himmlischen Vaters befolgen. Es kam ganz anders: die Befreiung wurde ausgenutzt, um das Leben desto unbändiger zu genießen. In allen Ständen nahm die Sittenlosigkeit und Genußsucht, die Gleichgültigkeit gegen das Jenseitige zu. Die Bauern waren nach dem Bauernkriege ohnehin nicht geneigt, auf Luther zu hören, viele haßten ihn. Verarmt, wie sie waren, hatten sie keine Lust, mit ihrem Gelde Pfarrer zu erhalten, die ihnen Unterwerfung unter ihre unchristlichen Herren predigten. Luther sah das mit Schrecken. Im Papsttum war viel Aberglauben und viel Sünde im Schwange gewesen: unter dem Evangelium war des Aberglaubens nicht weniger und war der Sünde mehr geworden. Wenn die Altgläubigen solche Vorwürfe erhoben, konnte man es für Verleumdung halten; aber den Evangelischen selbst fiel es auf, wie das Laster sich breitmachte. Hans Sachs, der Luther anfangs freudig begrüßt hatte, klagte, daß die Lutheraner mit ihrem wüsten Leben die evangelische Lehre verächtlich machten. An Fasttagen Fleisch essen und das Heiraten der Mönche und Nonnen schien der Inbegriff der Religion zu werden. Melanchthon, Justus Jonas, Martin Butzer, überhaupt sämtliche Reformatoren jammerten untereinander über die zunehmende Ruchlosigkeit unter den Evangelischen. »Es wird der gemeine Mann so frech, roh und bärenwild«, schrieb Justus Jonas, »als wäre das Evangelium darum kommen, daß es losen Buben Raum und Freiheit zu ihren Lastern machen wollte.« Und Melanchthon: »Ich glaube, daß du nun zu Wittenberg besser siehst, welch ein tiefer Fall und Untergang allem Guten droht, wie groß der Haß der Menschen untereinander ist, wie sehr verachtet alle Ehrbarkeit, wie groß die Unwissenheit derer, welche der Kirche vorstehen, und vor allem, wie gottvergessen die Fürsten sind.« Ein Prediger in Ulm: »Die Herren und Obrigkeiten suchen jetzt gemeiniglich in ihrem ganzen Leben nichts anderes denn Wollust und Pracht, spielen, fressen und saufen von einer Mitternacht zur anderen … Also ist auch der Bauer und der gemeine Mann … Sie haben einen Bund mit der Hölle und dem Tode gemacht, sagen: wir wollen fressen und saufen und tun was uns gebührt, vielleicht sterben wir morgen und kommt der Dinge, die der Pfaff sagt, keines über uns.« Luther selbst war der erste wahrzunehmen, »daß die Leute jetzund geiziger, unbarmherziger, unzüchtiger, frecher und ärger sind denn je zuvor unter dem Papsttum«. Dem Kurfürsten schrieb er: »Da ist keine Furcht Gottes noch Zucht mehr, seit des Papstes Bann ist abgegangen, und tut jedermann, was er will.« »Insgemein«, sagt er an anderer Stelle, »sind Bürger und Bauern, Mann und Weib, Kind und Gesinde, Fürsten, Amtleute und Untertanen alle des Teufels.« In seiner nächsten Umgebung, in Wittenberg, erreichte die Frechheit des Lasters einen solchen Grad, daß Luther die ihm zur Heimat gewordene Stadt verlassen wollte. Es zeigte sich, daß das, was Luther als päpstliche Tyrannei und als Vergewaltigung der Natur zu brandmarken pflegte, eine wohltätige Schranke gewesen war, mit der die Weisheit von Jahrhunderten die Begierden der Menschen eindämmte oder umwandelte. Luther hatte geglaubt, die Liebe zu Gott würde hundertmal mehr Gutes wirken als der Gehorsam gegen die Kirche; aber trotz all seines Predigens achtete man den fernen unsichtbaren Gott bei weitem nicht so hoch wie die nahe, strafende Kirche. Als Ursache des sittlichen Niedergangs, der jedermann auffiel, betrachtete man allgemein, auch unter Luthers Anhängern, seine Lehre von der Unfreiheit des Willens und von der Seligkeit durch den Glauben allein ohne Werke. Viele Freunde von denen, die während der schönen Zeit des ersten freien Aufschwungs ihm zugejubelt hatten, waren СКАЧАТЬ