Schattenkinder. Marcel Bauer
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Название: Schattenkinder

Автор: Marcel Bauer

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783898019002

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      »Ah, e sue is dat«, nickte die Alte. Dann zeigte sie mit dem Finger auf die Kölner Straße. »Do önne want d’r Haas.«

      Tatsächlich gab es am Ende der Straße an einem Haus, das unbewohnt schien, eine Hausklingel mit diesem Namen. Nach mehrmaligem Klingeln öffnete ein Mann mittleren Alters die Tür.

      Als er sah, dass es sich um Fremde handelte, wollte er die Tür gleich wieder schließen. Rozenberg hatte gerade noch Zeit den Friedensgruß »Schalom12, Schabbat Schalom« zu sagen. Es war an einem Freitag, und da es bereits dunkelte, war nach jüdischem Verständnis bereits der Sabbat angebrochen.

      Als der Mann den vertrauten Gruß hörte, schaute er sich kurz um, um sicher zu gehen, dass sie niemand beobachtete. Dann zog er den Mann und das Kind zu sich ins Haus. »Kommen Sie herein«, sagte er auf Jiddisch. Er führte sie in eine Wohnküche und sagte, er müsse sich in Acht nehmen: die Nachbarn würden jeden Besucher bei der Polizei melden. Daran könne man sehen, dass die ständige Hetze gegen die Juden und die Gräuelpropaganda der Nazis ihre Wirkung zeige.

      Haas schenkte Rozenberg einen Wacholderschnaps ein und fragte ihn nach seinem Anliegen. Als der erwähnte, er habe wunderbare Sachen über die Eifeljuden gelesen, wiegelte der Viehhändler ab. In der Eifel gebe es fast keine Juden mehr. Ihre Zeit sei abgelaufen. Von den dreihundert Glaubensjuden, die es noch vor ein paar Jahren alleine in Euskirchen gegeben habe, seien nur noch einunddreißig übrig. Und die seien von der Kreisverwaltung in sogenannte Judenhäuser gesperrt worden.

      Alles habe damit angefangen, dass die Behörden auf den Viehmärkten getrennte Plätze für jüdische und arische Händler eingerichtet hätten. Von amtlicher Seite habe es geheißen, das sei notwendig, weil die Juden notorische Betrüger seien, die man besser kontrollieren müsse. Dann sei es immer öfter zu Handgreiflichkeiten der SA gekommen. Wenn die jüdischen Händler nicht freiwillig ihren angestammten Platz geräumt hätten, habe man nachgeholfen. Seinen Freund Andreas Baer von der Baumstraße, der im Krieg das Eiserne Kreuz bekommen habe, habe man grundlos zusammengeschlagen. Er habe selber mit ansehen müssen, wie die Braunen ihn gezwungen hätten, Schweinefleisch zu essen.

      Rozenberg sagte, der Kantor der Synagoge von Lüttich habe ihm seinen Namen genannt, weil er von anderen Juden wisse, dass er ihnen geholfen habe, über die Grenze zu gelangen. Dem Viehhändler war es sichtlich unangenehm, das zu hören. Nein, das tue er schon lange nicht mehr. Das sei zu gefährlich. Die Grenze sei stark gesichert und nicht mehr so durchlässig wie vor zwei oder drei Jahren. Sein Bruder sei kürzlich als Judenschlepper enttarnt worden und dafür in einem Konzentrationslager gelandet.

      Beim dritten Glas Wacholder schilderte Haas die Lage an der Grenze. Früher sei der Handel mit Flüchtlingen in der Eifel ein florierendes Gewerbe gewesen. Ganze Berufssparten, Fuhrunternehmen und Transporteure hätten sich als »Judenfänger« und »Kommunistenschieber« eine goldene Nase verdient. Ohne viel nachzufragen hätten sie gegen gutes Geld politisch und rassisch Verfolgte über die Schmugglerpfade nach Belgien geleitet. Bauern, die jenseits der Grenze Wiesen oder Äcker besäßen, hätten Flüchtlinge unter Heuhaufen oder Zuckerrüben versteckt und mit Pferdekarren über die Grenze gebracht, wo sie von belgischen Komplizen in Empfang genommen worden waren. Selbst NS-Parteigenossen und Nutznießer des Regimes hätten vom lukrativen Judenhandel profitiert, denn die Schanzarbeiter am »Westwall« und die Bauarbeiter an der braunen Ordensburg »Vogelsang« hätten sich rege daran beteiligt, um ihr mageres Salär aufzubessern.

      Damit sei es nun vorbei. Die Preise, die professionelle Schleuser inzwischen verlangten, hätten astronomische Höhen erreicht: Für eine Passage würden Kopfprämien von 1.000 bis zu 10.000 Reichsmark verlangt. Früher hätte man für einen Juden höchstens ein paar Hunderter gefordert. Nun würden die Flüchtlinge regelrecht ausgeplündert, ohne dass diese sicher sein konnten, dass die Schlepper ihre Versprechen hielten. Sie nähmen ihnen nicht nur ihr gesamtes Bargeld ab, sondern auch Schmuck, Uhren und sonstige Wertsachen. Das nenne man im Volksmund »den Hut rund gehen lassen«. Er warnte Rozenberg dringend davor, sich mit solchen Leuten einzulassen.

      Der Viehhändler wirkte resigniert. Er sagte, seine Familie sei bereits »nach drüben abgehauen«, und er werde ihnen bald nachfolgen, denn es gebe hier für ihn kein Auskommen mehr, seitdem sie ihn aus der Metzgerinnung geworfen hätten. Er müsse noch ein paar Dinge regeln, dann werde er verschwinden.

      Inzwischen war es Nacht geworden, und Mendel war bereits am Tisch eingeschlafen. Haas lud die Besucher ein, die Nacht bei ihm zu verbringen. Für eine Rückreise nach Aachen sei es eh zu spät. Auch sei es nicht ratsam, die Nacht auf dem Bahnhof zu verbringen, und die wenigen Pensionen und Hotels, die es im Ort gebe, würden wegen der Grenznähe von der Gestapo überwacht. Die Rozenbergs nahmen das Angebot dankbar an.

      * * *

      Niedergeschlagen trat Rozenberg am nächsten Morgen die Rückreise nach Aachen an. Als sie in der Pension eintrafen, fand er seine Frau völlig aufgelöst vor. Sie hatte sich große Sorgen gemacht, weil sie nicht wie versprochen am Abend zurückgekehrt waren. Umso glücklicher war sie, Vater und Sohn wohlbehalten in ihre Arme schließen zu können. Für die beiden Söhne waren solche Emotionen ein ungewohntes Schauspiel.

      Die Mutter berichtete aufgeregt, dass sie während seiner Abwesenheit mit der Pensionswirtin aneinandergeraten sei. Die habe ihr auf den Kopf zugesagt, dass sie keine harmlosen Reisenden, sondern flüchtige Juden seien. Solcherlei dulde sie nicht in ihrem Haus. Sie habe mit der Polizei gedroht. Nach einigen Beschimpfungen habe sie ein überraschendes Angebot gemacht. Sie kenne da jemanden, der könne ihnen helfen über die Grenze zu kommen: wenn sie bereit wären, dafür den entsprechenden Preis zu zahlen! Obwohl Haas ausdrücklich vor solchen Judenfängern gewarnt hatte, beschlossen die Eltern, auf das Angebot einzugehen.

      Am Abend fand sich der Schlepper in der Pension ein. Der Mann machte einen ungepflegten und gemeinen Eindruck. Rozenberg war auf der Hut und entschlossen, sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen. Das Gespräch verlief in angespannter Atmosphäre. Während die Mutter dolmetschte, lauerte die Wirtin im Hintergrund.

      Der Mann begann damit, die Gefahren an die Wand zu malen, die ihnen drohten, wenn sie sich ohne ortskundige Führer auf den Weg machen sollten. Die größte Gefahr ginge nicht von deutschen Zöllnern, sondern von belgischen Gendarmen aus. Wer sich von denen in der Grenzzone erwischen lasse, werde sofort ins Reich abgeschoben. Und sie wüssten ja, was ihnen dann blühte. Selbst, wenn sie es auf die andere Seite schaffen würden, wären sie noch nicht in Sicherheit. Die Bewohner der Grenzgebiete sympathisierten mit den Nationalsozialisten. Sie würden sie verraten und der Gendarmerie ausliefern.

      Rozenberg war verunsichert: Von solchen Schwierigkeiten hatte der Viehhändler nichts berichtet. Er wollte den Schlepper auf die Probe stellen und fragte, wie er es denn anstellen werde, um sie unbemerkt über die Grenze zu bringen, wo doch alles hermetisch abgeriegelt sei. Der Schleuser lächelte maliziös, beugte sich vor und begann zu flüstern: Es gebe immer noch ein Schlupfloch an der Grenze, ein Nadelöhr, das weder die Deutschen noch die Belgier hätten schließen können. Ob sie jemals von der Vennbahn13 gehört hätten? Rozenberg horchte auf: eine Vennbahn? Was war damit?

      Der Mann erläuterte, diese Bahnstrecke sei eine von den verrückten Sachen, die in Versailles ausgeheckt worden wären. Die Bahn stamme aus preußischer Zeit und führe quer durch die Eifel. Sie verbinde das Aachener Kohlerevier mit dem luxemburgischen Stahlrevier. Um den Deutschen zu schaden, habe man die Vennbahn zusammen mit den Kreisen Eupen und Malmedy Belgien zugesprochen.

      Seitdem schlängele sie sich als belgische Staatsbahn wie ein Bandwurm fünfzig Kilometer weit durch deutsches Staatsgebiet. In den Zügen gebe es streckenweise kein deutsches Personal, da einige Bahnhöfe auf belgischem Hoheitsgebiet lägen. Wenn sie sich am Bahnhof in Aachen als Wanderer und Sommerfrischler ausgeben würden, würde niemand Verdacht schöpfen. Den Rest würde er besorgen.

      Rozenberg СКАЧАТЬ