Schattenkinder. Marcel Bauer
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Название: Schattenkinder

Автор: Marcel Bauer

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783898019002

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СКАЧАТЬ gerade aus, um die Restschulden bei dem Wucherer zu begleichen. Da er keinerlei finanzielle Reserven besaß, wusste er nicht, wo er die Mittel für eine Existenzgründung in Belgien finden sollte. So sehr er auch rechnete, es langte vorn und hinten nicht.

      Da er mit seinem Schicksal haderte, schlug ihm seine Frau vor, ihre Verwandtschaft in Deutschland zu kontaktieren. Einer ihrer ausgewanderten Verwandten hatte in der Freien Hansestadt Bremen mit dem Handel von Kaffee ein Vermögen gemacht. Sie schlug vor, sich mit ihrem Halbvetter Siegmund Meyer in Verbindung zu setzen, in der Hoffnung, dass er ihnen finanziell unter die Arme greifen werde.

      In Erwartung einer Antwort schwankte die Stimmung im Hause Rozenberg für einige Wochen zwischen Hoffnung und Entmutigung. Groß war die Erleichterung, als der Bremer Kaffeebaron wohlwollend auf die Anfrage der polnischen Kusine reagierte. Er lud sie ein, auf der Durchreise nach Belgien mit der Familie in Bremen Station zu machen. Dort würde man in aller Ruhe die Angelegenheit bereden und das Finanzielle regeln.

      Im Frühsommer des Jahres 1936 war es soweit. Da die Reichsregierung im Rahmen ihrer Bemühungen um eine Revision des Versailler Vertrages gerade einen Schmusekurs mit dem polnischen Nachbarn fuhr, stellte sie problemlos Touristenvisa für die Dauer der Olympischen Spiele aus. Als im Hause bereits riesige Unordnung herrschte, weihten die Eltern ihren ältesten Sohn in ihre Reisepläne ein, während sie den jüngeren weiterhin im Ungewissen ließen, um das Projekt nicht zu gefährden.

      Mendel wollte von den Eltern wissen, warum die Reise ausgerechnet über Deutschland erfolgen sollte. Die polnischen Klassenkameraden würden so schlecht über die Deutschen reden. Der Vater antwortete, das sei der direkte Weg, um nach Belgien zu gelangen. Außerdem redeten nicht nur die Deutschen, sondern auch die Polen schlecht über die Juden. Insofern solle er sich keine Sorgen machen. Es gebe überall gute und böse Menschen. Rozenberg hatte eine positive Sicht der Welt, und die wollte er sich nicht vermiesen lassen.

      * * *

      Am Hauptbahnhof gab es einen tränenreichen Abschied. Alle Freunde und Verwandten hatten sich auf dem Bahnsteig eingefunden. Sogar der Rabbi war gekommen, um ihnen seine Beracha, seinen Segen, für die Reise mitzugeben. Elsa Rozenberg fiel der Abschied von ihren Geschwistern und besonders von der hoch betagten Mutter schwer. Es war, als ahne sie, dass sie sie in diesem Leben nicht wiedersehen würde.

      Bis auf zwei Koffer mit persönlichen Sachen ließen die Rozenbergs alles andere in Polen zurück. Alles sollte so aussehen, als ginge es auf eine Urlaubs- und Vergnügungsreise. Die Einrichtung seiner Metzgerei hatte der Vater unter der Hand verkauft. Möbel und sonstige Geräte und Wertsachen waren in der Verwandtschaft verteilt worden. Von ihrem Hausstand durfte die Mutter nur einige Familienfotos mitnehmen. Die beiden Brüder mussten sich mit einem Spielzeug und einem Buch ihrer Wahl begnügen. Nachdem er sich mit Roro beraten hatte, entschied Joshua sich für ein Bilderbuch mit Burgen und Rittern, während Mendel seinem pragmatischen Temperament entsprechend ein Handbuch für Modelleisenbahnen auswählte.

      Der Vater bestand darauf, die Trompete mitzunehmen, die er sich vom Munde abgespart hatte. Seine beiden Schächtmesser, die unentbehrlichen Werkzeuge seines frommen Gewerbes, hatte die Mutter ins Futter eines der beiden Koffer eingenäht, um Schwierigkeiten am Zoll zu vermeiden.

      Von Lodz aus ging es über Posen nach Frankfurt an der Oder und von dort weiter nach Berlin. Die Passkontrolle an der deutsch-polnischen Grenze bei Neu Bentschen erfolgte reibungslos. Die Schaffner waren höflich und zuvorkommend. Der Vater musste allerdings seinen gepolsterten Trompetenkasten öffnen, weil der Beamte sichergehen wollte, dass es sich wirklich um einen Behälter für ein Instrument handelte und nicht um ein Versteck für illegale Waren.

      Im Rückblick kam es Joshua vor, als habe die Reise nicht siebzehn Stunden sondern eine Ewigkeit gedauert. Seinen Plüschhasen hatte er zwischen die Koffer auf dem Gepäckständer gesetzt, damit er aus luftiger Höhe alles genau verfolgen konnte, was sich im Zugabteil abspielte.

      Mendel hatte seinem Bruder das Denk- und Ratespiel »Schiffe versenken« beigebracht. Mendel kommandierte die deutsche, Joshua die englische Kriegsflotte. Es gelang Joshua auf Anhieb, einen Zerstörer Mendels sowie eine Fregatte zu versenken. Als er dann auch noch das Prunkstück von Mendels Flotte, das Schlachtschiff der Bismarck-Klasse, traf, war Mendel erbost. Er beschuldigte Roro, von seiner hohen Warte aus Joshua die entsprechenden Tipps zu geben und verlangte, dass er seinen Platz wechselte. Bevor der Streit zwischen den Jungen eskalierte, schritt der Vater ein.

      Bei der nächsten Fahrscheinkontrolle entdeckte ein Schaffner den Hasen in der Gepäckablage, sprach von einem blinden Passagier und verlangte dessen Fahrschein zu sehen. Während der Vater auf Polnisch eine Entschuldigung stammelte und schon nach seinem Portemonnaie griff, weil er mit einer saftigen Ordnungsstrafe rechnete, lachte der Beamte auf und sagte, es sei alles nur ein Scherz gewesen. Joshuas Vater war trotzdem verärgert. Er meinte, das blöde Stofftier bereite nur Scherereien und mache die Familie lächerlich. Joshua schloss daraus, dass er umsichtiger sein müsse, um Roro keinen unnötigen Gefahren auszusetzen.

      Als sie den Schlesischen Bahnhof in Berlin erreichten, fanden sie sich in einem Fahnenmeer wieder. Im Hinblick auf die Olympischen Sommerspiele waren die Bahnsteige nicht nur mit der olympischen Fahne und der Hakenkreuzflagge, sondern mit den Fahnen aller teilnehmenden Nationen geschmückt. Aus Lautsprechern dröhnte die olympische Hymne. Die Besucher, die zum Fest der Völker anreisten, sollten einen guten Eindruck vom Dritten Reich bekommen. Alles sollte festlich und freundlich wirken.

      Über Hannover erreichten sie die Hansestadt Bremen. Übermüdet, aber erleichtert verließen sie den Centralbahnhof. Wie der Vetter es beschrieben hatte, befanden sich auf dem Vorplatz des Bahnhofes die Haltestellen der Straßenbahnlinien 2 und 3, die zum Bremer Ostertor fuhren. Bis zur Humboldtstraße, wo die Meyers wohnten, waren es nur noch einige Fußminuten.

      Der Besuch bei der deutschen Verwandtschaft hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Konsul Meyer und seine Familie bewohnten ein repräsentatives Stadthaus aus der Gründerzeit. Die Eingangshalle war so groß, dass man darin hätte Federball spielen können. Der Hausherr erwartete sie wie ein Feldherr auf der Empore zum Obergeschoss. Konsul Meyer war eine Respekt einflößende Erscheinung, hochgewachsen und herrschaftlich im Auftreten. Er trug einen etwas aus der Mode gekommenen Zwirbelbart, wie Kaiser Wilhelm ihn getragen hatte.

      Der Konsul empfing die polnischen Gäste im Jagdzimmer. Der große Raum auf der Beletage war unterteilt: auf der einen Seite stand ein Billardtisch, der so groß und hoch war, dass ­Joshua kaum über den Rand gucken konnte. In der Mitte lagen in einem dreieckigen Rahmen neun weiße Kugeln bereit, davor eine rote Kugel. An den Kreidewürfeln konnte man erkennen, dass es schon lange her war, dass jemand gespielt hatte.

      An den Zimmerwänden hingen Jagdtrophäen, Hirsch- und Rehgeweihe sowie der mächtige Kopf eines Keilers. Eigentlich, klärte der Hausherr seine Gäste auf, sei er immer noch ein leidenschaftlicher Waidmann, aber seit dieser fette Parvenü von Göring Reichsjägermeister geworden sei und das christliche Kreuz im Geweih des Hirsches durch ein Hakenkreuz habe ersetzen lassen, mache ihm das Weidwerk keine Freude mehr.

      Seine Frau erzählte hinter vorgehaltener Hand, dass man ihren Mann nach Einführung des Arierparagrafen aus der Lüneburger Jägerschaft ausgeschlossen habe, was er nicht verschmerzt habe.

      Auf der anderen Seite des Raumes gab es eine Leseecke mit Polstermöbeln. Die Wände waren ganz mit Bücherregalen zugestellt. Gegenüber stand ein Flügel, auf dem die Tochter des Hauses ihre Partituren übte. Über dem Klavier hing eine Fotogalerie. Auf einem Foto war die Tochter Hedwig bei ihrer Konfirmation zu sehen, ein anderes zeigte den Hausherrn in der Uniform eines Leutnants des Infanterieregiments »Bremen«. Auf seiner Brust prangte das Eiserne Kreuz, das ihm für Tapferkeit vor dem Feind verliehen worden war. Als er die fragenden Blicke der Jungen bemerkte, begann der Konsul lang und breit von seinen Kriegserlebnissen zu erzählen.

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