Schattenkinder. Marcel Bauer
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Название: Schattenkinder

Автор: Marcel Bauer

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783898019002

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СКАЧАТЬ fragte den Schlepper, was eine Passage kosten würde.

      Alles hinge von der Höhe der Gage ab, sagte der süffisant: je höher das Honorar wäre, umso besser der Service. Manche Kunden habe er schon komfortabel mit dem Taxi über die Grenze chauffiert. Er schaute Rozenberg etwas herablassend an. Wie viel er denn zu investieren gedenke?

      Der Metzger bot 1.000 Reichsmark an, für alle vier wohlgemerkt. Der Schlepper grinste abfällig, erhob sich und tat so, als wolle er den Raum verlassen. Da packte Rozenberg ihn beim Ärmel, drückte ihn wieder auf den Stuhl und sagte, er verdoppele das Angebot. Schließlich wurden beide sich bei 2.200 Reichsmark handelseinig: 600 RM pro Erwachsenen, 500 RM für jedes Kind. Hinzu kam eine Provision von 350 RM für die Wirtin. Das Honorar solle vor Antritt der Reise bar gezahlt werden.

      Auf dem Zimmer berichteten die Eltern den Söhnen, die aufgeregt gewartet hatten, dass alles geregelt sei. Morgen Abend würde ein Mann sie über die Grenze bringen. Dann wären sie in Sicherheit.

      Allerdings dämpften die Eltern die Freude der Jungen, indem sie mitteilten, der Schlepper habe verlangt, dass sie ihr gesamtes Gepäck zurücklassen müssten, um keinen Argwohn zu erregen. Die Wirtin habe sich angeboten, es in Verwahr zu nehmen, wobei die Mutter sich keine Illusion machte, dass sie je etwas wiedersehen würde. Joshua fürchtete schon, er müsse Roro zurücklassen, aber die Mutter beruhigte ihn, davon könne keine Rede sein. Der Vater bestand darauf, die Trompete mitzunehmen. Mendel musste sie in seinen Rucksack stecken und dafür seinen Metallbaukasten zurücklassen.

      In der Nacht hatte es geregnet. Als sie sich auf dem Regionalbahnhof Aachen-Brand einfanden, trafen sie auf dem Bahnsteig auf eine Gruppe Wanderer, die angeblich genau wie sie selber die Eifel erkunden wollten. Alle schienen auf den gleichen Wanderführer zu warten. Auch die Rozenbergs wunderten sich, dass sie den Schleuser nicht sahen.

      Schließlich stellte sich ihnen kurz vor der Abfahrt ein Mann vor, der vorgab, im Auftrag des Herrn Soundso zu kommen, der leider verhindert sei. Es sei aber alles geregelt: Wie besprochen seien die Eisenbahner, sowohl die deutschen wie die belgischen, eingeweiht und hätten ihre Provisionen schon kassiert. Niemand werde sie behelligen. Allerdings habe er Fahrscheine für die gesamte Strecke, also von Aachen bis nach Luxemburg, lösen müssen, und diesen Aufschlag müssten sie extra bezahlen.

      Zähneknirschend fügte auch Rozenberg dem Geld, das er schon abgezählt in seiner Hosentasche hatte, noch einige Scheine hinzu. Ihm blutete das Herz, denn er wusste, dass es ihm für eine Geschäftsgründung fehlen würde. Nachdem der Mann diskret nachgezählt hatte, überreichte er die Fahrscheine und gab allen Anweisungen über den Verlauf ihrer anstehenden Reise.

      In Monschau, an der 13. Haltestation, sollten sie aussteigen. Dort erwarte sie ein Kurier, der sie über die nahe Grenze bringen werde. Im Bewusstsein, dass sie einem Betrüger auf den Leim gegangen waren, bestiegen sie den Zug. Mendel schlug dem Vater vor, den Kerl bei der deutschen Polizei anzuzeigen, aber der meinte, das sei keine gute Idee.

      Unterwegs gaben sie sich Mühe, wie harmlose Reisende zu wirken. Die Söhne spielten Karten, die Eltern blätterten in deutschen Zeitschriften. Mendel hatte sich bei dem Ausflug in die Eifel erkältet und hörte deshalb nicht auf zu husten und zu schniefen, was den Vater auf Dauer nervös machte. »Reiß dich zusammen«, fuhr er ihn an, »willst du unbedingt, dass wir auffallen?«

      Aber die Sorge war unbegründet, denn auf der gesamten Strecke begegnete ihnen kein Schaffner. Aus dem Zug konnten sie beobachten, dass auf den Bahnhöfen, die sie passierten, abwechselnd deutsche Schutzpolizisten und belgische Zöllner patrouillierten und die aussteigenden Reisenden kontrollierten.

      Die Landschaft, die an ihnen vorüber zog, veränderte sich zusehends: Heide- und Moorflächen lösten die Wiesenlandschaft ab. Die Sonne stand schon tief am Horizont, als sie die Halte­station Monschau erreichten.

      Der kleine Bahnhof, der eine belgische Enklave in Deutschland bildete, lag oberhalb des Städtchens an einem Flachhang, der mit Ginster und Dornengestrüpp bewachsen war. Es gab ein Wartehäuschen, in dem sich eine größere Menschengruppe drängte. Alle waren sommerlich gekleidet, als ginge es auf einen Jahrmarkt oder in den Biergarten: Die Frauen trugen luftige Kleider, die Männer offene Hemden. Einige hatten Wanderstöcke dabei, trugen grüne Knickerbocker und Jägerhüte mit Gamsbart. Die Frauen hatten leichtes Schuhwerk an den Füßen, einige sogar Stöckelschuhe. Ein junges Paar hatte einen geflochtenen Picknickkorb dabei, der mit einem Küchentuch abgedeckt war und aus dem verdächtige Geräusche drangen, die sich als das Gequäke eines Säuglings entpuppten.

      Nachdem man sich gegenseitig gemustert und festgestellt hatte, dass alle auf den gleichen Betrüger hereingefallen waren, beratschlagten sie gemeinsam, was zu tun sei.

      Den meisten schien es ratsam, nicht länger zu verweilen, sondern sich alleine auf den Weg zu machen, weil sie sonst unweigerlich einer deutschen Zollstreife in die Hände fallen würden. Eine kleinere Gruppe wollte weiterhin an der Station ausharren, in der Hoffnung, dass der Kurier doch noch auftauchen werde. Da niemand eine Landkarte besaß, übergab die größere Gruppe die Führung einem jungen Mann, der behauptete, das Gelände zu kennen. Man brauche nur der Bahnlinie zu folgen und sich irgendwann nach Westen wenden.

      Bei leichtem Nieselregen zogen sie los. Elsa Rozenberg nahm ihren Jüngsten bei der Hand und drückte seine Hand so fest, dass es Joshua wehtat. Sie ließ nicht zu, dass er sich auch nur einen Fußbreit von ihr entfernte. Immer wenn er zu straucheln drohte, fing sie ihn auf.

      Bald begann es zu dunkeln, und die Flüchtlinge begannen auf den Gleisen zu torkeln. Öfter rutschten sie auf nassen Bahnschwellen aus und stolperten über den Schotter, wobei etliche sich blutige Knie und Ellbogen holten. Wer so unvorsichtig war und den Bahndamm verließ, riskierte die Böschung hinab zu rutschen und in einem Wassergraben zu landen. Vor allem für die Frauen mit ihrem schlechten Schuhwerk war der Marsch beschwerlich. Immer wieder mussten die Männer warten, damit Frauen und Kinder aufschließen konnten.

      Der junge Mann führte sie an eine Stelle, wo die Bahnstrecke angeblich die Staatsgrenze bildete. Nun hieß es, über Wiesenzäune zu steigen und durch Büsche und Hecken zu kriechen. Jedes Mal, wenn ein verdächtiges Geräusch sie aufschreckte, suchten sie Deckung. Joshuas Mutter warf sich auf den Boden, zog Joshua zu sich herab. Sie drückte dabei sein Gesicht so tief ins Gras, sodass er kaum noch Luft bekam. Doch jedes Mal stammten die Geräusche nur von Rindern, die neugierig nachschauten, wer da mitten in der Nacht durch die Wiesen schlich. Zu ihrem Glück begegneten sie keiner Menschenseele.

      Nach einer Weile stießen sie auf ein Ortschild mit einem deutschen Adler: »Gemeinde Mützenich – Kreis Monschau«. Sie waren im Kreis gelaufen. Erschrocken kehrten sie um und tasteten sich wieder durch das Gehölz, aus dem sie gerade gekommen waren. Schließlich gelangten sie über einen Karrenweg auf eine Lichtung.

      Als die Wolkendecke kurz aufbrach, konnten sie im Mondlicht eine baumlose Ebene erkennen. »Schaut her, das ist das Hohe Venn«14, sagte der junge Mann: »es gehört schon zu Belgien. Wir haben es geschafft!« Alle fassten wieder Mut, auch wenn der Weg noch mühsamer wurde, als der Steig auf einmal aufhörte.

      Joshua spürte, dass der Boden unter seinen Füßen zu wabbeln und zu schwabbeln begann. Hin und wieder federte irgendetwas seine Schritte ab, aber bald gluckste in seinen Schuhen das Wasser. Es ging nur noch durch Sumpf und Morast. Statt über Bahnschwellen stolperten sie nun über Grasbüschel. Sie wateten durch Pfützen und Rinnsale, die in Tümpeln und Wasserlöchern mündeten. Vom Regen völlig durchnässt schlotterten sie vor Kälte. Die kleinen Kinder begannen zu wimmern.

      Sie waren am Ende ihrer Kräfte, als unverhofft die Umrisse eines Bauernhofes auftauchten. Einige Männer pirschten sich heran, um sich zu vergewissern, dass sie die Grenze passiert hatten und wirklich in Belgien waren. Als sie näher kamen, schlug ein Wachhund an. Im oberen Stockwerk СКАЧАТЬ